Nach den Krisenzeiten der Corona-Pandemie sind wir nun wieder weitgehend zum „Normalzustand“ zurückgekehrt. Man muss allerdings fragen, ob das wirklich das „alte Normal“ ist, oder nicht etwa in vielen Bereichen ein „neues Normal“. Die Corona-Pandemie hat in vielen Bereichen und in einigen Branchen doch einige Impulse gesetzt, die nachwirken. Daran sollte man auch denken, wenn man besonders in die Zukunft gerichtete und lohnende Investments plant.
Wir gehen heute anders mit der Pandemie um – aber viele Impulse sind wirksam geblieben
In der jüngsten Zeit kam es in vielen Teilen der Welt wieder zu erschreckend hohen Infektionszahlen, in Europa sind vor allem in Frankreich und Spanien die Zahlen bei den Neuinfektionen wirklich alarmierend, zum Teil sogar noch höher als zum Beginn der Pandemie im März 2020. Insgesamt geht man damit allerdings deutlich gelassener um. Kaum ein Land zieht mehr komplette Lockdowns in Erwägung (außer vielleicht Israel, aber auch nur, weil klar wurde, dass sich ein großer Teil der Menschen an Maßnahmen offensichtlich sowieso nicht halten wird). Keiner erwägt auch mehr, Maßnahmen oder Vorkehrungen durchzudrücken, die man auch schon zuvor nicht auf die Reihe bekommen hat. Bayern notiert die Kontaktadressen von Getesteten weiterhin auf Zetteln und schafft es dann nicht, Infizierte bis zum völligen Verstreichen einer sinnvollen Quarantäne-Frist überhaupt zu informieren. Und daran wird sich wohl nicht mehr viel ändern. Den Ehrgeiz, das Pflegepersonal in besonders gefährdeten Altersheimen regelmäßig durchzutesten, hat auch schon jeder aufgegeben. Fußballer und Mallorca-Partygänger sind einfach wichtiger, das muss man einsehen.
Mittlerweile ist man weithin sogar bereit, die früheren strengen Kontaktbeschränkungen und den Lockdown als möglicherweise zu weit gegriffen anzusehen. Vielleicht auch, weil die größte Menge der Infizierten nun Jüngere sind und kaum Intensivfälle die Kliniken in irgendeiner Weise zu überfordern drohen. Kurz: Man geht trotz steigender Infektionszahlen sehr entspannt mit der Situation um – und es macht den Anschein, als wollte man sich von seinem „Normalzustand“ nun auf keinen Fall mehr abbringen lassen.
Das Interessante dabei ist allerdings, das einige Impulse, die während der Lockdown-Zeit und in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen im nunmehr wieder eingekehrten Normalzustand weiterwirken. Einiges davon könnte unsere Welt durchaus recht nachhaltig verändern. Und aus dem angestrebten „Normalzustand“, also quasi den liebevoll gehegten Werten der 50er Jahre, ein sehr anders aussehendes „neues Normal“ werden lassen. Das ist natürlich auch immer interessant für Investitionen in zukünftig wichtig werdende Bereiche und Schlüsseltechnologien.
Die Arbeitswelt von morgen
Die weitreichendsten und am besten messbaren Impulse hat die Coronazeit in der Arbeitswelt gesetzt. Das Unternehmen ESET, ein IT-Sicherheitsdienstleister, hat in den letzten Monaten eine multinationale, sehr umfangreiche Studie durchgeführt (man kann sie in vollem Umfang hier downloaden. Ausgewertet wurden dabei Befragungen in 620 Unternehmen und bei 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland und der Schweiz.
Auf den Punkt gebracht sehen die Ergebnisse wie folgt aus: 78 % der deutschen Unternehmen und sogar 90 % der schweizerischen Unternehmen planen, Home Office zumindest weiterhin zu ermöglichen. Das ist ein drastischer Wandel im Vergleich zu Vor-Pandemie-Zeiten, wo kaum ein Unternehmen so etwas überhaupt nur in irgendeiner Weise in Erwägung gezogen hatte. Home Offices und Distance Working galten als zu kompliziert, zu teuer und in der Praxis als völlig undurchführbar. Hier gilt wohl das altbekannte deutsche Sprichwort „Versuch macht kluch“. (Hätten wir doch beim Thema regenerative Energieerzeugung oder ökologische und nachhaltige Landwirtschaft auch mal solche Erleuchtungen…).
Mit zu diesem Willigkeits-Wandel mögen sicherlich auch die Ergebnisse der Produktivitäts-Auswertungen in den Unternehmen beigetragen haben. Bei fast 60 % der Unternehmen kam es selbst trotz der ziemlich hemdsärmeligen und ungeplanten Umsetzung von Home-Office-Lösungen zu keinen Verlusten in der Arbeitsproduktivität der Mitarbeiter, bei 10 % kam es sogar zu einer Steigerung. Nur 31 % der Unternehmen verzeichneten zum Teil starke Rückgänge in der Produktivität (bis zu 56 %), besonders in Thüringen, Schleswig-Holstein und Bremen. Bei den Behörden waren es ebenfalls knapp 28 %. Das mag zum Teil daran liegen, dass der Ausbau schnellen Internets in Deutschland nicht gerade mit Höllentempo voranschreitet. (So viel zum Thema „Wir brauchen nicht 4G an jeder Milchkanne“). Überwiegend wohl aber an der mangelhaften IT-Ausstattung der Unternehmen und insbesondere der Behörden (ein Teil der deutschen Gesundheitsämter hat noch nicht einmal eine IT-Infrastruktur).
Ein noch viel wichtigerer Punkt ist, dass sich die IT-Sicherheit bei der ganzen Geschichte auf einem – darf man mit Fug und Recht sagen – erbärmlichen und völlig rückständigen Niveau befindet. Selbst einfache Basis-Technologien wie VPN-Zugriff nutzen in Deutschland nur rund 44 % der Unternehmen und nur 42 % der Behörden. Bei den Passwörtern schafft es nicht einmal ein Drittel, auf Zwei-Faktor-Authentifizierung zu setzen. Darüber hinausgehende, moderne Sicherheitsmaßnahmen? Bei den allermeisten Unternehmen schlicht: Fehlanzeige.
Was bedeutet das für Anleger?
ESET ist ein IT-Sicherheitsanbieter, die Studie ist damit naturgemäß sehr interessenlastig (für das Unternehmen) ausgefallen. Andere Studien, wie etwa vom ifo-Institut, bestätigen die Zahlen aber weitgehend. Nach Studien von IGES und Forsa fühlen sich auch 56 % der befragten 7.000 Beschäftigten im Home Office produktiver als im Büro. Auch die DAK ermittelte einen Anteil von 57 %, die sich selbst in der Corona-Zeit und oft mit Kinderbetreuung daneben lediglich „gelegentlich gestresst“ fühlen. Der Anteil der „regelmäßig gestressten“ sank dabei von 21 % vor der Pandemie auf nur noch 15 %.
Man kann davon ausgehen, dass sich auch von den Unternehmen, die Produktivitätsverluste durch Home Office hinnehmen mussten, niemand langfristig dem offensichtlich starken Trend zum Distance Working auf Dauer widersetzen kann und auf Präsenz am Arbeitsplatz halsstarrig bestehen kann. Selbst die Politik macht, zwar zögerlich und wenig effektiv, wie immer, aber immerhin – erste Versuche, Menschen ein Distance Working leichter zu machen. Rund 40 % aller Jobs sind Schätzungen zufolge, die die Uni Düsseldorf für realistisch hält, im Home Office machbar.
Angesichts der ziemlich katastrophalen Situation in Bezug auf die Sicherheit beim Distance Working und das weitgehende Fehlen praktikabler, bereits installierter Lösungen und auch angesichts des dringend benötigten Aufholbedarfs bei der IT-Ausstattung allgemein, scheint sich hier ein Feld aufzutun, in das in den nächsten Jahren wohl stark investiert werden wird. Auch die Bundesregierung hat bereits angekündigt, zumindest die Gesundheitsämter technisch auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen und will dafür insgesamt 4 Milliarden allein in die Gesundheitsämter investieren. Davon mehrere hundert Millionen allein in die IT-Ausstattung. Auch die IT-Sicherheit in Krankenhäusern wird nach dem Wunsch der Bundesregierung stark verbessert werden müssen. Zudem will man (mal wieder) in den Breitbandausbau investieren. Schulen haben bislang nur minimale Prozentsätze des eigentlich für die Digitalisierung zur Verfügung stehenden Budgets abgerufen, werden aber in Zukunft wohl auch endlich einmal in die Gänge kommen müssen. Sicherheit wird dann auch dort ein Thema werden müssen (wenn man erstmal genug Computer und Tablets hat, also wohl erst „später“).
Solche Technologien können in Zukunft also deutlich lohnender werden, vermutlich werden einige bewährte Anbieter in diesem Bereich ihre Umsätze dann steigern können. Auch völlig neue Lösungen, wie etwa Sicherheitslösungen für BYOD-Ansätze („Bring Your Own Device“, der Einsatz privater Computer und Mobilgeräte für Arbeitsaufgaben) könnten deutlich mehr Beachtung finden, gute und vor allem sehr sichere Cloud-Lösungen dann wohl auch.
Der Impuls zur Nachhaltigkeit
Einer Studie zufolge, über die wir schon früher einmal berichtet haben, wollten deutlich mehr als die Hälfte der Menschen ihre Lebensmittel bewusster auswählen und dabei mehr auf Nachhaltigkeit und die eigene Gesundheit achten. Während der Lockdown-Zeit war dieser Anteil der Menschen, die sich von nun ab bewusster „gesund“ ernähren wollten, deutlich höher. Lebensmittel, die „Immunität“ fördern sollen, waren naturgemäß der Hype schlechthin (fast so gesucht wie Klopapier), allerdings kann man davon ausgehen, dass dieser Trend mit der zunehmend entspannteren Haltung gegenüber der Pandemie wohl wieder abflauen wird.
Beim nachhaltigen Einkauf – hier geht es auch um allgemeine Nachhaltigkeitskriterien von Lebensmitteln, etwa im Hinblick auf den Klimaschutz – weisen die Zahlen aber immer noch auf ein deutlich höheres „Mindful Shopping“ hin als vor der Pandemie. Auch der Fleischkonsum ist in Deutschland – sicherlich auch durch die im Zuge der Pandemie-Bekämpfung aufkommenden unsäglichen Zustände in der Tierhaltung und vor allem in der Fleischverarbeitung – noch einmal um ein deutliches Maß nach unten gerutscht. Selbst bei Milchersatzprodukten (Pflanzenmilch) gibt es einen sehr deutlichen Zuwachs. Nach Schätzungen von ProVeg kommen täglich rund 200 neue Veganer und rund 2.000 Vegetarier hinzu. Wohl auch, weil die Medizin und die Ernährungswissenschaft nun endlich dazu bereit sind, die Vorzüge einer fleischlosen Ernährungsweise endlich einmal deutlich anzuerkennen.
Das hat natürlich deutliche Auswirkungen auf die Marktpotenziale von solchen Produkten. Die enormen Wassermengen in der Herstellung verbrauchende und auch sonst mit einer katastrophalen Ökobilanz und CO2-Bilanz und massiven Umweltfolgen behaftete Kuhmilch wird immer weniger konsumiert. Pflanzliche Milchalternativen holen dagegen auf. Zwar ist das Verhältnis immer noch sehr ungleich (mit rund 5 Millionen Euro Umsatz jährlich ist Kuhmilch um ein Vielfaches marktbestimmender als alle Pflanzenmilchsorten zusammengenommen, mit denen „nur“ rund 290 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet werden). Allerdings ist die Pflanzenmilchbranche allein im letzten Jahr um 23 % gewachsen. Zu beachten sind dabei möglicherweise auch die zahlreichen Startups, die an einer „Milch ohne Kühe“ arbeiten. Auch das könnte sich langfristig, durch den „sauberen“ Labor-Herstellungsprozess genau wie beim im Labor gezüchteten Fleisch aus einzelnen, entnommenen Muskelzellen, durchaus auch zu einer Alternative entwickeln. Nur sind bislang die Kosten für solche Technologien zu hoch, da das Halten von Kühen nun einfach einmal am billigsten ist (insbesondere heute, wo immer weniger Kühe immer mehr Milch geben). Hier könnte es aber durchaus zu einem Bewusstseinswandel kommen. Dazu könnten auch zunehmende Bereitschaft zum ausschließlichen Konsumieren ökologisch vertretbarer Produkte die Situation mittelfristig stark verändern.
Als Anleger sollte man am besten den gesamten Bereich im Auge behalten. Pflanzenmilch ist auch allein schon wegen ihrer enormen Margen interessant, den Herstellungskosten von nur wenigen Cent pro Liter stehen von Verbrauchern akzeptierte Verkaufspreise von bis zu 3 EUR pro Liter gegenüber – was für die Unternehmen natürlich eine sehr interessante Gewinnsituation ergibt. Ringt sich die Politik dann auch noch durch, die Bezeichnung „Pflanzenmilch“ endlich offiziell zuzulassen und die abwertende Bezeichnung „Drinks“ nicht mehr verpflichtend zu machen, könnte das ebenfalls Auswirkungen auf die Bereitschaft zum Konsum haben.
Die Autoindustrie und die Mobilität
Dieser ganze Bereich ist und bleibt so unberechenbar wie er auch vor der Krise schon war. Autohersteller kränkeln vor sich hin, ausgelöst von bei Weitem nicht ausreichenden Absatzzahlen bei den Neufahrzeugen. Die Politik ist nun nicht mehr bereit (mit Ausnahme der SPD, die das natürlich noch immer weithin lauthals fordert) Verbrennungsmotoren mit Kaufprämien zu fördern. Einige Automobilhersteller (wie jüngst Volkswagen bei MAN) kündigen Stellenstreichungen im 10.000er Paket an, erhöhen aber gleichzeitig ihre Übernahmeangebote für andere Unternehmen. Die stark erhöhten Kaufprämien für batteriegetriebene E-Autos haben zwar zu einem (eher kleinen) Boom geführt, angesichts der vielen ungelösten Probleme bei der batteriegetriebenen Elektromobilität (Ladeinfrastruktur-Situation, sehr schlechte Ökobilanz bei der Herstellung, zukünftig ganz sicher zu erwartender Mangel an dringend benötigten seltenen Erden, nicht planbare Netzauslastung, Betrieb der Fahrzeuge in Deutschland weitgehend mit Kohlestrom…) wird das aber aller Voraussicht nach nicht der Sprung in die Zukunft.
Wasserstoff könnte das sein, an entsprechenden Fahrzeugen mangelt es aber weltweit völlig. Zudem müsste man einmal bei Strategien zur Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff (sowohl in Fahrzeugen als auch in der Industrie) überhaupt erst einmal in die Gänge kommen (was möglicherweise noch Jahrzehnte dauert bei diesem Tempo).
Der „Gewinner“ der Pandemie war ganz klar das Fahrrad – sehr viele Händler waren schon Mitte des Jahres an E-Bikes komplett ausverkauft. Sogar spontan entstandene (dann aber wieder entfernte) Popup-Radwege hatte man den zahlreichen neuen Radfahrern zur Verfügung gestellt, und damit die Mobilität in den Städten zum Teil deutlich verändert.
Es ist natürlich durchaus nachvollziehbar, dass sich viele nicht der Enge und der Infektionsgefahr der öffentlichen Verkehrsmittel aussetzen wollten, sondern lieber an der frischen Luft radelten. Auch in Zukunft wird die ach so „ökologische“, zu großen Teilen mit Kohlestrom fahrende Bahn wohl eher kein Weg in die Zukunft sein, Dieselbusse wohl auch nicht die Mobilität der nächsten Jahrzehnte darstellen.
Wohin es verkehrstechnisch in der nahen Zukunft gehen wird (sicher nicht in Richtung Passagierdrohnen, Herr Verkehrsminister, denn allein schon Wikipedia erklärt, es gäbe bis heute kein einziges, auch nur annähernd praxistaugliches Modell), kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch niemand sagen. Im Grunde gibt es eine sehr große Lücke im Individualverkehr, wo passende Lösungen für die bestehenden Mobilitätsbedürfnisse völlig fehlen. Hier gilt es als Anleger, das Augenmerk auf komplett neue, sinnvolle und ökologische Lösungen zu richten, die sich vielleicht auf dem Markt zu etablieren versuchen. Im öffentlichen Verkehr wird die Zukunft sicherlich eher den wirklich ökologischen, zweckdienlichen und eng getakteten Lösungen gehören. Obwohl man nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie die Bereitschaft der Menschen, sich wieder in Massenverkehrsmittel zu quetschen und 30 verschiedene Fahrpläne auswendig zu lernen, eher etwas vorsichtig beurteilen sollte – insbesondere nach den Erfahrungen der Pandemie.
Fazit
Das „neue Normal“ unterscheidet sich doch in einigen Bereichen relativ deutlich vom althergebrachten „Normal“ vor der Pandemie. Auch wenn viele Akteure, Politiker und Großkonzerne sich mit aller Gewalt bemühen, die alten (teils untragbaren Zustände) aufrechtzuerhalten. Das gilt für die Fleischbranche ebenso wie für den Automobilbereich und das Kaputtsparen der Bahn (neue Uniformen statt neuer Mobilitätskonzepte). In ökologischer Hinsicht bewegt sich erwartungsgemäß nur wenig, die Energiekonzerne haben immer noch das Sagen und fordern für jede kleinste Veränderung horrende Entschädigungen, die sie aufgrund der idiotischerweise einmal vereinbarten Schiedsgerichtsbarkeit dann meist auch bekommen.
In einigen Bereichen spielen die Bürger in der Masse aber einfach nicht mehr mit – und das sind genau die Bereiche, wo es auch in Zukunft wohl signifikante Veränderungen geben wird. In der Arbeitswelt, beim Konsum und der Erzeugung von Lebensmittel und bei Mobilitätslösungen. Dorthin sollte man wohl in der nächsten Zeit auch als Anleger seinen Blick richten und nach interessanten, brauchbaren Lösungen oder aufstrebenden Unternehmen Ausschau halten, finden wir. Denn dort wird sich höchstwahrscheinlich die Welt zu einem vermutlich sehr unterschiedlichen „neuen Normal“ verändern – wohl schon mittelfristig.