Immer wieder taucht er einmal in den Medien- und in den Börsennachrichten auf: der ifo Geschäftsklimaindex. Abwechselnd wird er als Anzeichen für die „Kauflaune der Deutschen“, als „Konjunktur-Barometer“ und als „Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung“ gehandhabt. Was sich hinter dem Index verbirgt, wie die Zahlenwerte eigentlich genau ermittelt werden und welche Aussagekraft man dem Geschäftsklimaindex tatsächlich zutrauen kann, beleuchten wir einmal näher in unserem Beitrag.
Wer den Geschäftsklimaindex erstellt – und wie er erstellt wird
Hinter dem ifo Geschäftsklimaindex steht das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung der Uni München (ifo Institut). Es berechnet durchgehend seit 1972 den Index und gibt die Ergebnisse öffentlich bekannt. Was den wenigsten bekannt sein dürfte: Die Ergebnisse werden monatlich ermittelt und veröffentlicht, samt aller Zahlenreihen und Grafiken. Diese Daten findet man auf der entsprechenden Webseite des Instituts in Form von kostenlos downloadbaren PDF-Dateien, die jeweils einen aktuellen Monatsbericht enthalten („Konjunkturperspektive“ für den jeweiligen Monat).
Die Erhebung und Auswertung der Daten ist dabei äußerst komplex. Grundlage bilden Fragebögen, die in der ersten Woche jedes Monats an bis zu 9.000 Firmen in unterschiedlichen Branchen gesandt werden. Gefragt wird dabei konkret nach der Beurteilung der aktuellen Geschäftslage, die mit gut, befriedigend oder schlecht beurteilt werden kann und nach den Geschäftserwartungen für die nächsten 6 Monate, die mit günstiger, gleichbleibend oder ungünstiger beantwortet werden kann. Daneben wird auch noch nach der erwarteten Nachfragesituation (höher, unverändert oder verschlechtert) und nach der erwarteten Beschäftigungsfluktuation (mehr Mitarbeiter, gleichbleibender Mitarbeiterstand, weniger Mitarbeiter in den nächsten sechs Monaten) gefragt.
Die Ergebnisse der Befragungen stellen dann die Basisdaten für die Errechnung der Zahlen dar, in die Auswertung fließen meist bis zu 7.000 Fragebögen mit ein.
Das erfolgt in mehreren Schritten:
- Gewichtung der erhaltenen Antwortdaten
Die Aussagen größerer Firmen haben mehr Gewicht als die Aussagen kleinerer Unternehmen, sie werden deshalb auch rechnerisch stärker berücksichtigt. - Eine Branchengewichtung wird angewendet
Im ifo Institut gibt es klare Vorstellungen darüber, welche Branchen bedeutsamer für Deutschland sind und welche weniger bedeutsam. Das im ersten Schritt erhaltene Ergebnis wird daher noch einmal nach den sogenannten „Branchengewichten“, wie sie beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) verwendet werden, gewichtet. Die Aussagen von Unternehmen in der Automobilbranche haben damit natürlich deutlich mehr Gewicht als die Aussagen von Unternehmen aus der Bekleidungsbranche. - Es wird ein geometrischer Mittelwert gebildet
Die Bildung der Mittelwerte wird bei den Fragen zur aktuellen Geschäftslage und bei Fragen zur erwarteten Geschäftslage angewendet, die als Saldo gegeneinander aufgerechnet werden. - Berechnung des Index
Die beiden geometrischen Mittel bilden das Geschäftsklima ab, das aktuell herrscht. Aus diesem Geschäftsklima heraus wird dann der Index berechnet.
Die Berechnung des Index erfolgt ganz einfach in Form eines Vergleichs: Man zieht das letzte entweder auf 0 oder auf 5 endende Geschäftsjahr heran und setzt das aktuelle Geschäftsklima ins Verhältnis dazu (z.B. 2015 = 100 %, 2019 = xx %).
Als grafische Form der Darstellung wird oft die Konjunkturuhr verwendet: Ein in Viertel geteilter Kreis, wobei jedes Viertel für eine andere Phase des Konjunkturzyklus steht: Aufschwung – Boom – Abschwung – Rezession. Diese Phasen werden im Uhrzeigersinn der Reihe nach durchlaufen. Damit ergibt sich eine zwangsläufige Reihenfolge der Phasen, die in der Darstellung der Daten bereits vorweggenommen wird.
Was uns die Zahlen sagen sollen
Der vom ifo Institut angepeilte Zweck des Index ist die Möglichkeit zur möglichst frühen Erkennung von konjunkturellen Entwicklungen und von anstehenden Veränderungen der Konjunkturphase, in der sich das Land befindet. Eine anstehende Trendwende soll also mithilfe des Index schon im Vorfeld klar erkennbar sein.
Wirtschaftswissenschaftlich gilt dabei das sogenannte MCD-Maß (months of cyclical dominance). Es besagt, dass eine wirksame und abgesicherte Vorhersage einer Trendwende nur dann möglich ist, wenn der Index dreimal hintereinander, das heißt in drei aufeinander folgenden Monaten, in die gleiche Richtung ausschlägt.
Natürlich wird der ifo Geschäftsklimaindex am Ende vor allem mit den Entwicklungen des BIP in Beziehung gesetzt – das heißt, man erwartet vom ifo Geschäftsklimaindex, mögliche zukünftige Veränderungen des BIP nach oben oder nach unten hin vorherzusagen.
Die Aussagekraft des ifo Geschäftsklimaindex
Zunächst müssen wir uns einmal vor Augen führen, dass es sich beim Geschäftsklimaindex lediglich um Zahlen handelt – und zwar um Zahlen, die auf eine sehr komplexe Weise erhoben und ausgewertet werden. Was man sich auch vor Augen führen sollte ist, dass nur rund 35 % aller in Deutschland aktiven Branchen vom ifo Geschäftsklimaindex überhaupt erfasst werden – gut zwei Drittel aller Branchen bleiben dabei also unberücksichtigt.
Das könnte zunächst zu der Vermutung verleiten, dass aufgrund der hohen Anzahl überhaupt nicht beachteter Branchen und der zahlreichen, auf den ersten Blick willkürlich erscheinenden (Über-)Gewichtungen einzelner Branchen die Zahlen vielleicht gar nicht so aussagekräftig sein mögen. Das Ganze würde allerdings nicht Wissenschaft heißen, wenn man nicht auch das schon längst genau untersucht und berechnet hätte – und in exakten Zahlen angeben könnte.
Wenn man sich mit Korrelationen herumschlägt und ein bisschen rechnet, kommt man zu folgendem Ergebnis: Rund die Hälfte (49 %) aller Veränderungen am BIP können durch den Geschäftsklimaindex bestimmt werden. Das ist, wenn man es mathematisch genau nimmt, nun wirklich nicht so prickelnd. (Man muss bedenken: Würde man ganz einfach raten, läge die statische Trefferwahrscheinlichkeit bei der Frage, ob es Veränderungen gibt oder nicht bei genau 50 %).
Sieht man sich die Prognose-Fähigkeit des Geschäftsklimaindex an, erkennt man eine minimal höhere Korrelation – das heißt aber nichts weiter, als dass Unternehmen mit ihren Angaben in einigen Fällen die tatsächlich zu erwartende Wirtschaftsentwicklung vorwegnehmen können. Hier liegt der Korrelationsfaktor aber lediglich bei 0,65 statt bei 0,7 – also wirklich nur geringfügig höher als bei der Vorhersagegenauigkeit in Bezug auf Veränderungen des BIP.
Ein guter Test für die Zuverlässigkeit eines Index ist immer ein Blick in die Vergangenheit. Wenn wir einen Blick in das Jahr 2008 zurück werfen und uns den Index ansehen, erkennen wir dort, dass man bei den Geschäftserwartungen zwar die Richtung erkennen konnte, dass es sich um eine echte Krise, zumal von solchen Ausmaßen wie sie später hatte, handelte, war dort aber in keinster Weise abzulesen. Den wirklichen Aufschwung, der danach für eine Weile einsetzte, konnte man ebenfalls nicht wirklich ablesen. Das beruhigt nun nicht gerade. Sich blind auf den Index zu verlassen, wäre also höchstwahrscheinlich fatal, ihn zur Bewertung von politisch-wirtschaftlichen Maßnahmen und ihrer Wirkung heranzuziehen wohl auch.
Was wir daneben auch noch bedenken müssen ist, dass die Einschätzung oder die Stimmung in den Vorstandsetagen einiger großer Unternehmen ja keine harten Zahlen sind. Zwar wird allerorts fleißig gerechnet, prognostiziert und abgeschätzt – aber könnten Unternehmen oder Chefs so glasklar in die Zukunft blicken, würden wohl viele Pleiten oder Fehlentscheidungen gar nicht stattfinden. Man arbeitet daher mit relativ „weichen“ Angaben, die auf prinzipiell subjektiven Einschätzungen von Unternehmensführern beruhen. Diese subjektiven Einschätzungen sind dann die Basis für komplizierte Berechnungen, bei denen zusätzlich noch zahlreiche Gewichtungen zum Einsatz kommen, die möglicherweise das sich bietende Bild noch weiter verzerren.
Sich auf den Markt verlassen, der sich verlässt
Natürlich haben Veränderungen im Geschäftsklimaindex immer auch Änderungen an den allgemeinen Erwartungen oder Einschätzungen der Anleger zur Folge. Wenn sich der ifo Geschäftsklimaindex erholt, wird das von vielen als ein positives Signal gesehen – und entsprechend reagiert. Diese Reaktion erkennt man dann wieder an den Kursveränderungen in vielen Indices (zum Beispiel beim DAX), der ja auch und vor allem den Optimismus und Pessimismus der Anleger mit widerspiegelt.
Auf diese Weise betrachtet haben die veröffentlichten Zahlen wiederum eine Wirkung auf die Kursverläufe – als echtes, auf harten Zahlen begründetes „Barometer für die Wirtschaftsentwicklung in der nahen Zukunft“ sollte man den ifo Geschäftsklimaindex aber keinesfalls betrachten. Auch Vorstände großer Unternehmen können sich bei ihrer subjektiven Einschätzung mal irren.