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Vollgeld als Lösung für die Probleme des Buchgeld-Systems?

In unserem letzten Beitrag haben wir uns ein wenig eingehender mit dem Buchgeld oder Giralgeld beschäftigt. Das hat – für die meisten unbemerkt – tatsächlich einen sehr großen Einfluss auf die Wirtschaft und die Wirtschaftsentwicklung. Dabei haben wir auch kurz erörtert, welche Probleme es mit sich bringen kann, wenn Banken immer mehr Geld praktisch „aus dem Nichts“ schaffen können. Wir sind dabei nicht die einzigen, die das beschäftigt – auch viele Wirtschaftswissenschafter sehen das durchaus kritisch. Aus diesem Grund gibt es die Idee des sogenannten „Vollgelds“ als alternatives Geldsystem. Was das ist und wie das funktionieren soll, wollen wir kurz in unserem Beitrag beleuchten.

Ein wenig tiefer ins Geldsystem

Schon der Existenz von Buchgeld als Quasi-Parallelwährung und über dessen Eigenleben sind sich die meisten Normalsterblichen kaum wirklich bewusst. Das ist allerdings nur ein Teil des ganzen Systems. Hinter alledem steht auch ein bestimmtes Geldsystem, das festlegt, auf welche Weise die im Umlauf befindliche Geldmenge überhaupt geschaffen wird.

Der Mythos, dass die gesamte im Umlauf befindliche Geldmenge durch entsprechende Goldreserven oder andere Sachwerte gedeckt sind, stimmt schon sehr lange nicht mehr. Schon mit dem Beginn des ersten Weltkriegs wurde diese Deckungspflicht von vielen Staaten weitgehend ausgesetzt. Vielerorts wohl, um den bevorstehenden Krieg mit seinen horrenden Ausgaben finanzieren zu können. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann das bis in die 70er-Jahre geltende Bretton-Woods-System geschaffen, bei dem es einen festen Tauschkurs zwischen Feingold und US-Dollar gab. Andere Währungen wurden fest an den Dollar gekoppelt. Und da die US-Notenbank Fed darauf achtete, dass die Dollarbestände der jeweiligen Länder ebenfalls durch eine entsprechende Goldmenge gedeckt waren, entstand ein relativ stabiles System. Dieses koppelte die Geldmenge immer an eine bestimmte Menge vorhandenen Goldes.

Das heute gültige System – fachsprachlich auch „Fiat-Geld“ genannt, verzichtet allerdings völlig auf irgendeine Kopplung an Realwerte wie Gold. Das heute im Umlauf befindliche Geld hat quasi keinen eigenen „inneren“ Wert. Der Wert heutiger Währungen wird vor allem dadurch bestimmt, dass eine Regierung die Währung als Zahlungsmittel vorschreibt. Und dass sowohl der Wert vor allem von allen am Handel beteiligten auch akzeptiert und nicht infrage gestellt wird. Unser gewöhnliches Fiat-Geld funktioniert also in weiten Teilen ebenso nach dem Akzeptanz-Wert-Prinzip wie etwa der Bitcoin. Der Wert unseres heutigen Gelds bezieht sich hauptsächlich auf das Vertrauen darauf, dass eine bestimmte Geldmenge auch zu einem zukünftigen Zeitpunkt noch – zum gleichen Wert – als Tauschmittel akzeptiert wird. Also das Vertrauen in Wertstabilität und ausgebende Institution.

Die Erlaubnis dazu, neues Geld zu schaffen, liegt zunächst bei den Zentralbanken. Wie wir im Beitrag über Buchgeld gesehen haben, schaffen aber in unserem System auch die Geschäftsbanken selbst praktisch ständig neues Buchgeld. Durch die Vergabe von Krediten und Dispos, durch den Ankauf von eigenem Vermögen und andere Dinge. Dieses von den Geschäftsbanken erzeugte Buchgeld ist dabei nicht immer zwangsläufig vollständig durch die im Umlauf befindliche Menge an Zentralbankgeld gedeckt (nur über die 1 % hohe Mindestreserve, die die Bank als Zentralbankguthaben vorweisen muss). Das Monopol zum „Geld drucken“ (oder analog: Buchgeld schaffen) ist also nicht mehr nur allein den Zentralbanken vorbehalten, sondern schon lange auf die einzelnen Geschäftsbanken übergegangen. Und genau an diesem Punkt beginnen viele Experten, ein echtes Problem mit dem heutigen Konzept des Fiat-Gelds zu haben.

Vollgeld als Alternative zum Giralgeld in beliebigen Mengen

Die Idee des sogenannten „Vollgeld-Systems“ beruht nicht darauf, dass man wieder zu einer vollständig von Realwerten gedeckten Geldmenge zurückkehren würde. Von dieser Idee hat man sich weltweit schon lange verabschiedet. Der wesentliche Grundcharakter des Vollgeldsystems beruht dagegen vor allem darauf, dass das Monopol des Schaffens von Geldmengen tatsächlich wieder vollständig an die Zentralbanken zurückkehrt.

Das heißt: Die einzelnen Geschäftsbanken können nicht mehr nach Belieben und in unendlich großen Mengen Buchgeld erschaffen. Sondern es muss die Geldmenge, mit der gearbeitet wird, auch in vollem Umfang bei der Zentralbank hinterlegt sein. Die Zentralbanken wären dadurch wieder in die Lage versetzt, die in Umlauf befindlichen Mengen an Buchgeld direkt limitieren zu können. Eine Geschäftsbank kann nur mehr in diesem Umfang Buchgeld erzeugen. Nicht mehr nach Belieben und (für die Zentralbanken) völlig unkontrollierbar.

Zumindest in der Theorie könnte das die Sicherheit der Einlagen von Bankkunden bei einer einzelnen Bank durchaus erhöhen. Das Buchgeld, das ja eine Forderung des Bankkunden gegen die Bank darstellt, wäre dann eine Forderung direkt an die Zentralbank des jeweiligen Landes, also eine strukturgebende Institution. Dazu müsste natürlich erst sichergestellt werden, dass die jeweilige Zentralbank tatsächlich vertrauenswürdiger ist als die einzeln wirtschaftende Geschäftsbank, wenn es um die Sicherheit geht.

Einzelne Finanzexperten sehen auch einen Vorteil darin, dass sich durch die höhere Kontrollmacht der Zentralbank eventuell viele Blasenbildungen auf den Finanzmärkten bereits im Vorfeld wirkungsvoll verhindern lassen. Und zwar, weil in der Vergangenheit festgestellt wurde, dass im Zuge einer Blasenbildung Banken plötzlich sehr viele und sehr hohe Kredite vergeben haben. Wenn den Banken die Möglichkeit zur plötzlichen und unvermittelten Schaffung von großen Mengen Giralgeld entzogen würden, könnte das die Entwicklung von Blasen bereits im Vorfeld eindämmen. Das meinen zumindest einige Finanzexperten.

Letzten Endes müsste sich in einem Vollgeld-System auch ein Banken Run recht wirksam verhindern lassen. Wenn genug Menschen darauf vertrauen, dass ihr Erspartes sicher bei der Zentralbank hinterlegt ist und jederzeit verfügbar bleiben wird. Vermutlich könnte das einige tatsächlich noch mehr beruhigen als die aktuell geltende Einlagensicherung. An deren Stabilität und Wirksamkeit haben viele, zumindest in schweren und weitreichenden wirtschaftlichen Krisensituationen, durchaus Zweifel. Es hängt eben weitgehend davon ab, ob man den heute eingesetzten Sicherungsmechanismen vertraut, die kaum ein Laie wirklich durchschaut und einschätzen kann, auch im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und ihr Greifen im Krisenfall.

Eine zentrale europäische Einlagensicherung, wie sie heute von vielen gefordert würde, könnte dieses Vertrauen noch einmal kräftig schwächen. Die Einführung eines Vollgeld-Systems könnte dagegen wieder deutlich mehr Sicherheit vermitteln und somit zukünftig einzelne Bank Runs verhindern. Gerade bei größeren Banken besteht dabei oft das Risiko, dass der einzelne Bank Run den Zusammenbruch ganzer Wirtschaftssysteme durch einen nachfolgenden Domino-Effekt einläutet.

Das Risiko für Banken ist durch die Einschränkungen bei der Erzeugung von eigenem Giralgeld auch deutlich niedriger. Sie haben damit deutlich weniger Möglichkeiten, waghalsige Politik zu betreiben und sich selbst durch Fehler oder unglückliche Spekulationen in die Insolvenz zu bringen – und damit Kundengelder aufs Spiel zu setzen. Zwar sind sie in ihrem Handeln entsprechend eingeschränkt, andererseits wird der gesamte Bankenapparat in einem Vollgeld-System auch zwangsläufig stabiler.

Mehr Kontrolle für die Zentralbank bedeutet auch, dass die Wirtschaftspolitik von einem zentralen Punkt aus – und damit deutlich wirksamer – gelenkt werden kann. Konjunkturzyklen kann mit einer massiven Aktion von einer Stelle aus begegnet werden. Was die Bekämpfungsmaßnahmen im Einzelfall sicherlich deutlich wirksamer macht, als wenn zahlreiche Banken durch die Schaffung von hohen Mengen an eigenem Giralgeld einzelne Maßnahmen komplett unterlaufen.

Gerade hier ist allerdings auch der Knackpunkt, bei dem sich Befürworter und Kritiker die Köpfe heißreden. Einen solchen Machtgewinn und Einfluss für die Zentralbanken findet nicht jeder begrüßenswert. Zudem müsste man ja grundlegend darauf vertrauen, dass die Wirtschaftspolitik der Zentralbank in diesem Fall immer genau die richtigen und angemessenen Maßnahmen setzt.

Da das natürlich nicht zwangsläufig so sein muss, ensteht an dieser Stelle ein sehr unkalkulierbares Risiko. Fehler oder Fehleinschätzungen der Zentralbank könnten fatale Folgen haben, die durch kaum mehr etwas aufgefangen werden könnten. Auch die EZB lag in der Vergangenheit  mit ihren Aktionen schon einmal kräftig daneben. Und sie konnte durchaus häufig keine Lenkungswirkung mit den von ihr verabschiedeten Maßnahmen erzielen. In einem so uneinheitlichen wirtschaftlichen Umfeld wie dem Euro-Raum ist zudem fraglich, ob es einer Zentralbank überhaupt gelingt, eine verantwortliche Geldpolitik durchzusetzen. Oder ob sie nicht einfach unter den zahlreichen an sie herangetragenen Anforderungen von Politik, Wirtschaftsvertretern und Banken der einzelnen Staaten schlicht zerrissen und damit nahezu handlungsunfähig würde.

Wer in diesen Tagen die Nachrichten liest, wird schnell feststellen, von wie vielen Seiten an der EZB bereits heute gezogen und gezerrt wird und wie vielen Forderungen, Drohungen und übelster Kritik sie bereits heute ausgesetzt ist. Wäre sie die allein entscheidende Macht über die gesamte Geldpolitik der EU, wären diese Forderungen und diese Kritik wohl noch deutlich schlimmer. Allein schon von den Banken, die dann ja immer darauf angewiesen wären, eine ausreichende Menge an Zentralbankgeld zu erhalten, um wirtschaften zu können.

Wie realistisch ist es, dass wir ein Vollbank-System bekommen?

Die Schweiz hat gerade erst vor zwei Jahren bei einem Volksentscheid nicht genug Befürworter für einen Wechsel zu einem Vollbank-System zustande bringen können. Ob aus Bedenken oder einfach aus Mangel an Verständnis und Information bei den Bürgern sei erst einmal dahingestellt.

Nicht anders würde es wohl zum derzeitigen Zeitpunkt bei uns ausgehen. Eine solche starke zentrale Macht und Lenkungshoheit bei der Zentralbank wird vermutlich jede Menge Gegner auf den Plan rufen, die ihre eigenen Interessen bedroht sehen. Bis hin zur Politik, die dann oft ihre Interessen ebenfalls nicht in geplanter Weise durchbringen kann. Auch die einzelnen Geschäftsbanken im Land könnten sich deutlich gegen einen solchen Vorschlag stellen, da insgesamt ja ihre Handlungsfreiheit stark beschnitten würde. Und auch die Spielräume, um Gewinne zu erwirtschaften, deutlich kleiner werden könnten. Das wird sicherlich nicht allen Banken schmecken.

Auch bei den Bürgern ist fraglich, ob sie einer solchen starken Zentralmacht zur Wirtschaftslenkung tatsächlich zustimmen würden. Im Allgemeinen stehen die Zeichen in den letzten Jahren eher auf profundem Misstrauen, wenn es um starke staatlich-zentrale Institutionen und deren zunehmenden Machtgewinn geht.

Insgesamt sieht es für einen Wechsel auf ein Vollgeld-System also eher schlecht aus. Mit zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Euro-Raum nach der Corona-Krise und ungenügendem Anspringen der Wirtschaft nach dem „Neustart“ könnte sich das aber – zumindest von Bürgerseite – eventuell ändern. Vorausgesetzt, man sieht die EZB als kompetent genug an und vertraut ihr in ausreichendem Maß, mit ihrer Politik aus der Krise führen zu können. Das bleibt abzuwarten.

Als Idee steht das Vollgeld-System aber immerhin nicht schlecht da, allen Einwänden zum Trotz sehen auch Kritiker eines solchen Systems durchaus, dass der Wechsel zum Vollgeld-System positive Effekte auf die Stabilität der Wirtschaft und die Verhinderung von Preisblasen haben könnte. Selbst wenn man noch keine langfristigen Praxis-Erfahrungen mit einem solchen System hat. Immerhin die Theorie ist aber überzeugend.

Dem können wir uns nur in genau dem gleichen Wortlaut anschließen.

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