Nun gut – die technische Analyse von Börsenkursen scheint wohl eher etwas für wirklich eingefleischte Profis zu sein. Falsch. Das mag vielleicht für einzelne Details und ihre Bedeutung gelten, Grundlagenwissen in Bezug auf technische Analyse ist aber für jeden Anleger eine gute Sache, der sich mit der Börse beschäftigt. Das Wichtigste und Grundlegendste sollte man schon kennen, um auch die eigenen Entscheidungen immer mit etwas halbwegs Solidem untermauern zu können. Das bewahrt einen immerhin davor, stets lediglich Trends nachzulaufen, Experten zu kopieren oder Entscheidungen “nach Gefühl” treffen zu müssen – alles Dinge, die am Ende gern in Verlusten enden. Die wichtigsten Dinge aus der technischen Analyse deshalb einmal kurz gefasst in diesem Beitrag.
Wer braucht überhaupt Chart-Analysen?
Viele Dinge sind vor allem für Day-Trader interessant, manches aber durchaus auch für den Rest der Anleger. Profitieren kann am Ende jeder davon. Einen Nebeneffekt von eingehenden Analysen von Charts ist, dass man mit der Zeit ein sehr gutes Gespür für Märkte entwickelt.
Dafür notwendig ist aber, bei der Analyse mit Verstand vorzugehen. Das Arbeiten mit “Kochrezepten” wie etwa “wenn du dieses oder jenes Zeichen siehst, musst du…” bringt einen langfristig nicht weiter. Es geht, wie bei so vielem im Leben, vor allem darum, Charts bewusst zu analysieren, alles so viel wie möglich zu hinterfragen und eine Kursentwicklung immer mit Bedacht zu analysieren: Warum bewegt sich dieser Kurs gerade so, was steht dahinter? Und was will mir der Indikator WIRKLICH sagen? Wer sich diese Fragen immer wieder stellt, wird auf lange Sicht seine Fähigkeiten beim Handeln, seine Intuition und auch seinen Blick für Entwicklungen deutlich schärfen können – und damit häufiger als andere Schaden rechtzeitig abwenden und Gewinne erhöhen können, weil er Chancen zu nutzen weiß.
Die Grundlage von Chart-Analysen
Unser menschliches Handeln ist in überraschender Weise von Wiederholungen geprägt. Das heißt, in bestimmten Situationen oder unter bestimmten Umständen reagieren wir immer auf die gleiche Weise. Dazu kommt noch, dass in bestimmten Situationen die meisten Menschen auch ähnlich reagieren. Da wir das auch beim Handeln an der Börse so praktizieren (es ist einfach ein Teil unseres evolutionären Erbes), führt das dazu, dass man immer wieder auf dieselben Muster trifft – und daraus zweierlei schließen kann:
- Was passiert sein muss, wenn fast alle so reagieren
- Wie es allerhöchstwahrscheinlich weitergehen wird, weil alle so oder so reagieren werden
Das ermöglicht uns prinzipiell eine ganze Menge Dinge zu erklären und auch vorherzusagen – weil sie sich schlicht und einfach immer wiederholen und Reaktionen von vielen Menschen auf bestimmte Reize oder Situationen immer in der gleichen oder in einer sehr ähnlichen Weise ablaufen.
Ansätze und Zeitfenster
Was man grundlegend einmal wissen sollte: Bei der Chartanalyse gibt es verschiedene Ansätze, die nebeneinander durchaus ihre Berechtigung haben. Was man aber immer beachten muss, ist das Zeitfenster, in dem ein Ansatz gültig ist.
Wenn Sie also eine bestimmte Formation im Chart entdecken, müssen Sie immer prüfen, über welchen Zeitraum hinweg sich diese Formation erstreckt. Das kann entscheidend sein dafür, ob eine bestimmte Formation (Dinge wie “Dreifachböden”, “Flaggen” und “Wimpel”) überhaupt Aussagekraft hat – oder eben nicht.
Aus dem vorher beschriebenen Reiz-Reaktions-Muster ist das auch völlig logisch abzuleiten: Auf einen bestimmten Reiz reagieren die meisten Menschen immer in einer sehr ähnlichen Weise – allerdings auch immer in einem sehr ähnlichen (meist eher knappen) Zeitraum. Sehen wir ein Zeichen, das auf einen deutlich längeren Zeitraum für die Entwicklung einer Reaktion hinweist, ist es höchstwahrscheinlich nicht die “Standard-Reaktion”, die wir kennen und sonst sehen – sondern einfach etwas anderes.
Lesen Sie bei Gelegenheit auch unseren Beitrag zur Börsenpsychologie, um sich mit einigen grundlegenden Reaktionen von Menschen an der Börse einmal vertraut zu machen.
Das ist schon einmal die grundlegendste aller Weisheiten, die man nie vergessen sollte. Auch wenn es einem grundsätzlich immer wieder einmal passiert. Aber Fehler sind menschlich.
Muster erkennen – die Formationslehre
Hier beginnt es bereits, etwas technischer zu werden – aber nicht sehr. Stellen Sie sich einfach einmal einen grafischen Kursverlauf vor. Das Auf und Ab und das Schwanken und stellen Sie sich vor, Sie betrachten einen Kursverlauf über sehr lange Zeiträume, aber sehr detailliert.
Wenn Sie nun daran denken, dass sich Reaktionen auf bestimmte Situationen immer wiederholen und immer sehr ähnlich bis völlig gleich ablaufen: dann müssten Sie doch eigentlich ein Muster erkennen, in dem Verlauf der Kurse. Eine Reaktion von Steigen und Fallen innerhalb eines bestimmten Zeitraums auf typische Weise, die immer mal wieder auftritt, in einem kleinen Bereich.
Solche Muster sucht die Formationslehre. Und mithilfe von einigen Zusatzinformationen über den Markt, die Gegebenheiten und den jeweiligen Konjunkturzyklus (Baisse oder Hausse) müsste es doch möglich sein, die zwei grundlegenden Fragen zu beantworten:
- Was ist passiert, dass der Kurs sich so entwickelt hat?
- Welche Reaktion wird höchstwahrscheinlich nun als Nächstes erfolgen?
Grundsätzlich ist es auch möglich, solche Muster zu finden, zu erkennen und klar abzugrenzen. Damit beschäftigt sich genau die Formationslehre bei der technischen Analyse.
Allerdings gilt das alles nur mit einigen Einschränkungen. Muster können sich gegenseitig überlagern, verfälschen und damit unerkennbar werden. Zudem können Muster leicht variieren, so dass man sie einerseits recht leicht übersehen kann (und damit wichtige Hinweise und Zeichen verpasst) und andererseits auch Computerprogramme nicht mehr in der Lage sind, automatisch Muster aufzuspüren und anzuzeigen, weil sie bereits zu stark variieren, um streng mathematisch definierbar zu sein.
Es hängt also am Ende immer davon ab, wie gut man in der Lage ist, möglichst viele Muster zu erkennen und ihren Ablauf und ihre Hinweiskraft richtig zu interpretieren. Kurz: dass man in der Lage ist, die beiden grundlegenden Fragen weitestgehend richtig zu beantworten.
Das Candlestick-Diagramm
Selbst wer sich noch nie eingehend mit der Börse beschäftigt hat, wird diese Art von Diagramm wahrscheinlich kennen. Es handelt sich nicht um einen einfachen, eingezeichneten Kursverlauf, sondern um eine “Kerze”. Damit werden an einem Punkt immer gleich mehrere Informationen gleichzeitig gegeben:
- der Eröffnungs- und Schlusskurs (der “Körper” der Kerze)
- jeweils in unterschiedlichen Farben je nach steigendem oder fallendem Kurs: rot (Schwarz im Schwarzweißdiagramm) bedeutet fallender Kurs, Grün (Weiß im Schwarzweißdiagramm) einen steigenden Kurs
- Höchstkurse und Tiefstkurse des jeweiligen Tages (die “Dochte” der Kerze)
Diese Codierung ist übrigens keine Erfindung der Neuzeit, wie man meinen möchte. Schon die alten japanischen Reishändler nutzten eine ganz ähnliche Art der grafischen Darstellung (mit echten Kerzen) um ihre Verkäufe besser analysieren und vorausplanen zu können. Für die gesamte technische Analyse – und für die Formationsanalyse im Besonderen – sind Candlestick-Diagramme unverzichtbar.
Schon beim Candlestick-Diagramm kann man – allein aus der Form und Art der Kerzen und ihrer Dochte – eine Menge ablesen. Ein paar typische Bilder wollen wir für den Anfang einmal hier beschreiben.
- Bild 1: sehr große rote Kerze, winziger Docht oben, etwas längerer Docht unten
Hier können wir klar erkennen, dass eine Menge Trader fluchtartig verkauft haben. Der Kurs wäre sogar noch weiter abgesackt, wurde aber (wie so häufig) am Ende noch ein bisschen gestützt. Im Endergebnis handelt es sich aber um einen massiven Kursverlust wegen der zahlreichen Verkäufe innerhalb kürzester Zeit. - Bild 2: eine grüne oder rote Kerze mit einem kaum sichtbaren Körper; aber langen Dochten an beiden Seiten
Der Eröffnungs- und der Schlusskurs sind nahezu gleich, die langen Dochte zeigen jedoch, dass es zwischenzeitlich durchaus Bewegung am Markt gab. Am Ende haben sich die Kurse aber wieder stabilisiert, der Markt hat aber insgesamt recht ausgeglichen reagiert. - Bild 3: große grüne Kerze, kurze Dochte nach oben und unten
Hier sieht man genau das Gegenteil vom ersten Bild. Der Kurs geht nach oben und zwar massiv nach oben. Der kurze untere Docht zeigt kaum Einbrüche, der kurze obere Docht deutet darauf hin, dass der Schlusskurs fast auf dem hohem Niveau geblieben ist, das er zwischenzeitlich erreicht hatte. Ein relativ klares Zeichen also für einen “Kaufrausch” der Anleger, die damit den Kurs stetig und nachhaltig nach oben getrieben haben. - Bild 4: Eine “offene” Chartkerze (die des jeweiligen Tages) mit mittelgroßem Körper und kurzen Dochten
Hier passieren oft Anfänger-Fehler: Eine noch “offene” Kerze hat eine sehr geringe Aussagekraft, interpretieren sollte man Kerzen immer erst, wenn sie “abgeschlossen” sind. Die Kerze ist immer das Bild einer aktuellen Situation, das sich durchaus auch noch recht massiv ändern kann. Eine Interpretation zu diesem Zeitpunkt wäre wenig stichhaltig, man muss also in jedem Fall abwarten.
Es zeigt sich also, dass die Kerzen durchaus schon für sich eine recht große Aussagekraft haben. Diese Aussagekraft steigt, je mehr Kerzen man zusammennimmt, um eine vergangene Entwicklung zu interpretieren. Da jede Kerze bereits in sich mehrere wertvolle Informationen trägt, die man oft auch gut mit den jeweiligen außerbörslichen Informationen und Geschehnissen auf dem Markt (etwa die Bekanntgabe von US-Arbeitsmarktzahlen) in Deckung bringen kann, eröffnet sich hier schon ein guter Übungsspielraum für Anfänger.
Nehmen Sie sich einfach einmal die Zeit und verfolgen Sie für einige Tage die Nachrichten, die für den DAX wichtig sind. Nehmen Sie sich dann das Candlestick-Diagramm des DAX für diese Tage vor und sehen Sie nach, ob Ihnen die Kerzen etwas über den Handelstag verraten und ob Ihnen daran irgendetwas schlüssig erscheint und etwas nachvollziehbar wird. Für den Anfang mag das schrecklich kompliziert sein, mit der Zeit und mit etwas Geduld werden Sie aber immer mehr in den Kerzen lesen.
Und weiter…
Nachdem wir nun einmal die absoluten Basics der technischen Analyse und die Grundlagen der Formationsanalyse kennengelernt haben, wollen wir uns in den nächsten Beiträgen einmal einzelne, sehr typische Formationen grundlegend näher ansehen. Im Verlauf der nächsten Beiträge wollen wir Ihnen dann auch noch ein wenig tiefer gehendes allgemeines Wissen zur technischen Analyse vermitteln, das Sie als Anleger immer gut gebrauchen können und das Ihnen auch bei schwierigen Entscheidungen den einen oder anderen Hinweis geben kann.
Wir werden uns dabei aber immer auf das tatsächlich praktisch Anwendbare und allgemeine beschränken, um Sie nicht mit schwer verdaulichem, professionellen “Ballast” zu belasten.
Weiterführende Links
- Vergleichsrechner für Online-Broker
- Wie kann ich Analysten-Einschätzungen richtig bewerten?
- Value, Quality oder Growth: Welche Anlagestrategie verfolgen Sie?
- Erfolgreiche Anleger überprüfen die Anlagestrategie am besten regelmäßig
- Ein (kurzer) Crashkurs für Kleinanleger zum Thema: Geschäftsberichte und Kennzahlen