Viele schon haben das 21. Jahrhundert – also das, in dem wir leben – als das Jahrhundert der Schwellenländer beschrieben. Als Schwellenländer gelten dabei all jene Staaten, die zwar noch Entwicklungsländer sind, aber bereits einen deutlichen Aufschwung nehmen, und sich auf dem Weg befinden, bedeutende Industriestaaten zu werden. Die Liste der Länder, für die diese Definition gilt, schwankt je nach untersuchender Institution zwischen 10 und 30, die wirtschaftlich bedeutendsten sind dabei heute aber vor allem China, Russland, Brasilien, aber auch Südafrika, Malaysia, Mexiko und die Türkei.
Run und Run-Away
Die hohen Wachstumsraten in den Schwellenländern (Emerging Markets) machten sie für Großinvestoren von jeher interessant – Kleinanleger haben sie für lange Zeit oft kaum wahrgenommen. Erst ab 2011 kam es zu einem wahren Run auf Investments in die Emerging Markets – einige Länder, darunter China, mussten den massiven Devisenzufluss durch die hohen Investitionen sogar mehrfach begrenzen, um die nationale Wirtschaft und die Exporte nicht zu gefährden, und die Inflationsrate in Grenzen zu halten.
Nach teilweise drastischen Einbrüchen auf vielen Märkten 2013 kam es dann aber zu einer wahren Kapitalflucht: beinahe das gesamte Kleinanlegerkapital wurde von den Schwellenländern fast völlig abgezogen. Amerikanische Wirtschaftsblätter schrieben von einer “Stampede” der Kleinanleger: das Wort, das im amerikanischen Sprachgebrauch verwendet wird, um das Verhalten einer Büffelherde zu beschreiben, die in wilder Panik nur noch flüchtet, nicht mehr zu bremsen ist, und auf dem Weg aus Panik alles niedertrampelt. Das scheint die Vorgänge im zweiten Halbjahr 2013 tatsächlich anschaulich zu beschreiben. Aktuell möchte praktisch kaum ein Kleinanleger mehr in die Emerging Markets investieren. Aber ist das tatsächlich eine realistische Einschätzung – oder war das nur unbegründete Furcht und eine weit reichende Kurzschlussreaktion?
Die tatsächliche wirtschaftliche Situation der Schwellenländer
Wenn man sich die wirtschaftliche Entwicklung in den Schwellenländer in einem längeren Zeithorizont betrachtet, ist sie durchaus erfolgreich. Innerhalb der letzten zehn Jahre lag das Wachstum praktisch immer weit über dem der Industrienationen – mit Wachstumsraten von teilweise weit über 10%. Es gab lediglich drei Jahre, in denen die westlichen Industriestaaten stärker wuchsen, als die Schwellenländer. 2013 war eines dieser Jahre, wo es in vielen Schwellenländern zu teilweise schmerzhaften Einbrüchen kam. In den ersten beiden Quartalen hatten sich die meisten Staaten aber schon wieder von ihren wirtschaftlichen Einbrüchen erholt und viele der größeren Märkte haben bereits wieder eine überdurchschnittliche Performance hingelegt.
Und die lange Jahre währende Wirtschaftskrise, die die westlichen Industriestaaten vor so massive Probleme gestellt hat, und die als Euro-Krise noch immer nicht völlig bewältigt ist, hat die Schwellenländer während der gesamten Zeit praktisch überhaupt nicht tangiert.
Dazu kommt, dass es gerade in aufstrebenden Schwellenländern einen sehr starken Wachstumswillen gibt, der ungebrochen ist. Blühendes Unternehmertum, Eigeninitiative und der unbedingte Wille, zu den Industrienationen und ihrem Wohlstand aufzuschließen, sind in allen Schwellenländern ein wesentlicher Wachstumsmotor. Und das wird nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch von der Bevölkerung mitgetragen. Die Chancen, dass es nach kurzfristigen Einbrüchen immer wieder schnell aufwärts geht, sind also sehr realistisch. Zudem haben sich in fast allen Schwellenländern die Exporte massiv gesteigert, was in absehbarer Zeit auch zu einem Anstieg der Unternehmensgewinne führen wird.
Man braucht aber dennoch für Investments auf Emerging Markets als Kleinanleger in jedem Fall eine langfristige Perspektive und etwas Geduld. Für Panik gibt es tatsächlich keinen Grund – das zeigt die stabile Aufwärtsentwicklung der letzten zehn Jahre. Langfristige Investments machen hier sicherlich noch Sinn – und die Renditechancen sind dabei durchaus ansehnlich. Nur darf man eben bei kurzfristigen Einbrüchen nicht gleich in Panik verfallen.
Das Risiko politischer Unwägbarkeiten und Veränderungen
Natürlich besteht bei Schwellenländern immer auch ein gewisses politisches Risiko – solche Unwägbarkeiten muss man einkalkulieren, sollte sie aber auch nicht überbewerten. Aktuell bietet Russland natürlich angesichts des schwelenden Konflikts mit der EU und den USA einen gewissen Anlass zur Sorge, letzten Endes kann man aber vernünftigerweise darauf vertrauen, dass keines der Schwellenländer tatsächlich schwere wirtschaftliche Rückschritte in Kauf nehmen wird. Das gilt auch für Brasilien, wo die derzeit schwierige soziale Lage von weiten Teilen der Bevölkerung und wirtschaftlich nicht immer positive Maßnahmen von seiten der Regierung Besorgnis erregen könnten – allerdings erst, seit sie während der Fußball-WM erstmals weltweit sichtbar wurden. Bestanden haben sie auch schon zuvor – und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nicht gebremst. Man muss also auch hier differenzieren – und die sozialen Entwicklungsindikatoren entsprechen bei praktisch keinem Schwellenland den üblichen westlichen Standards – auch das gehört zu den üblichen Kennzeichen von Schwellenländern.
Möglicherweise viele unterbewertete Aktien nach dem Ausverkauf
Die “Stampede” ist nicht ohne Folgen geblieben: Viele Aktien rentabler Unternehmen sind jetzt gerade wohl besonders günstig zu haben, vieles ist dabei wohl deutlich unterbewertet. Viele Aktien aus den Emerging Markets werden zudem gerade mit einem Abschlag von fast 25% gehandelt – was in vielen Fällen sehr attraktiv sein kann, weil das in etwa dem Preisniveau von 2008 entspricht. Besonders günstig scheinen im Moment auf vielen Märkten zyklische Aktien zu sein, und Aktien vor allem aus dem IT- und Energiesektor.
Unternehmensbeteiligungen sind für Kleinanleger nur bedingt geeignet
Ein direktes Engagement in einzelne Aktien aus Schwellenländern halten wir für Kleinanleger nicht unbedingt ratsam. Die allgemein anerkannte Empfehlung lautet, dass man solche Beteiligungen nur dann zeichnen sollte, wenn man 5 – 10 Prozent des Unternehmenswerts tatsächlich aus Eigenkapital und ohne Leverage stemmen kann. Alles darunter kann riskant sein – und wenig empfehlenswert. Gerade als Kleinanleger ist eine hohe Diversifizierung das Um und Auf.
Nach Meinung vieler Experten sind aber gerade ETF Fonds auf Emerging Markets eine gute Möglichkeit für Kleinanleger, bei einer langfristigen Anlageperspektive von der guten Entwicklung auf den Emerging Markets zu profitieren. Daneben steht auch noch eine Anzahl durchaus empfehlenswerter Alternativen zur Verfügung. Panik ist aber in jedem Fall unbegründet.