Diverse „Bazookas“ und großzügige Unterstützungsaktionen von (jedenfalls einigen) Akteuren in der Wirtschaft haben bis jetzt schon eine unvorstellbare Menge an Schulden angehäuft. Und man wird wohl noch viel mehr brauchen, um die künftig weiter spürbaren Auswirkungen der Krise gegenzufinanzieren. Zumindest in Deutschland läuft das alles unter dem Motto „Geld spielt keine Rolle!“. Die irgendwann einmal notwendige Rückzahlung des Schuldenbergs bereitet dem Anschein nach keine schlaflosen Nächte. Das wird die künftige Wirtschaftsleistung schon auffangen. Und immerhin hat man noch ein Ass im Ärmel: Langzeit-Anleihen, mit denen man sogar noch Jahr für Jahr Geld verdienen kann. Bei all dem muss man allerdings schon eine Menge Glauben mitbringen.
Geld fürs Schuldenmachen
Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf die Bank, weil Sie kein Geld für eine neue Waschmaschine haben. Sie beantragen einen Kredit über 5.000 Euro. Der Bankbeamte macht sie darauf aufmerksam, dass Sie doch besser gleich 100.000 Euro mitnehmen sollten, da Sie dann Jahr für Jahr 2.000 Euro dafür bekommen könnten und ihre Waschmaschine sich in 3 Jahren direkt von selbst bezahlt hätte. Laufzeit 10 Jahre oder 20 Jahre, wie sie mögen, monatliche Zahlungen: keine. Sie bekommen lediglich Jahr für Jahr Geld. Je höher die Kreditsumme, desto mehr.
Was für jeden Privatmann wie eine völlig absurde Fieberphantasie klingt, ist für den Staat tatsächlich Realität. Die Zauberwörter lauten: „Staatsanleihe“ und „Negativzinsen„. Sprich: Der Staat leiht sich bei seinen Bürgern eine Riesenmenge Geld und lässt sich Jahr für Jahr von den Bürgern zusätzlich dafür bezahlen, dass er es aufbewahrt. Irgendwann – nach 10 Jahren vielleicht – verspricht er zwar, das Geld wieder zurückzuzahlen, allerdings kostet das Aufbewahren bis dorthin schon einmal eine Stange Geld. Man bekommt also am Ende deutlich weniger zurück, als man dem Staat geliehen hat.
Und diese eigentlich wirtschaftlich völlig absurde Strategie funktioniert in der Praxis prima. Die Menschen stehen buchstäblich Schlange, um dem Staat ihr sauer verdientes Geld als „Anlage“ hinterherzuwerfen und nach einem Jahrzehnt weniger Geld dafür zurückzubekommen.
Die deutschen 10-jährigen Bundesanleihen werden nach aktuellen Prognosen voraussichtlich eine Rendite von -0,2 % bis Ende 2021 erreichen können (Tiefststand 2020 waren -0,8 %). Die Schweiz legt als erstes Land in Europa nun auch ihre zehnjährige Staatsanleihe für einen Zinssatz von -0,55 % auf, bei den Dreimonats-Anleihen hat man die Anleger ohnehin bereits seit 2011 an negative Zinsen gewöhnt.
So ähnlich sieht das bei kurzfristigeren Anleihen übrigens auch in vielen anderen europäischen Ländern aus. Bei knapp zwei Dritteln der Staatsanleihen ist die Rendite einer Untersuchung der britischen RBS Bank zufolge negativ.
Dass in dieser Situation kaum jemand schlaflose Nächte hat, weil viel Geld zurückzuzahlen sein wird, ist plötzlich verständlich. Wenn einem selbst bei Negativzinsen buchstäblich die Türen eingerannt und Geld nachgeworfen wird, liegt natürlich der Gedanke nahe, dass man einfach Anleihen mit jahrzehntelanger Laufzeit schnüren könnte und den gesamten Schuldenberg damit für gutes Geld gleich direkt an die eigenen Bürger verhökert. Und bis die dann den Rest des geliehenen Geldes überhaupt wiederhaben wollen, ist man ja längst nicht mehr am Leben. Und auf keinen Fall mehr im Amt und zuständig.
Das massive Schuldendach steht nur durch Vertrauen
Wiewohl man schon moralisch ernsthafte Bedenken haben könnte, die heutige enorme Schuldenlast einfach achselzuckend zukünftigen Generationen aufzubürden, die diese dann irgendwie stemmen müssen, gibt es noch einen viel bedenklicheren Aspekt bei solchen „Lösungsmodellen“: Sie funktionieren allein nur durch Vertrauen.
Solange Menschen darauf vertrauen, dass Staaten ihr Geld sicher aufbewahren und in Jahrzehnten in der Lage sein werden, die fälligen Beträge zurückzuzahlen, mögen sie vielleicht in Kauf nehmen, viel weniger zurückzubekommen, als sie dem Staat einmal geliehen haben. Also faktisch Minus machen.
Daneben müssen Menschen aber auch das Gefühl haben, dass das dem Staat geliehene Geld tatsächlich wirksam in eine „bessere“ Zukunft investiert wird. Eine, in der den einzelnen Bürger ein höherer Wohlstand und eine höhere Lebensqualität erwarten. Ein echter Fortschritt also. Sieht man sich etwas genauer an, wohin die ganzen Förderungen letzten Endes tatsächlich fließen, können einen schon leichte Zweifel beschleichen, ob man nicht wieder einmal um jeden Preis einfach nur den Status Quo mit viel Geld weiterhin zementieren will.
Dazu muss man sich überlegen, dass man, wenn man zukünftig Schulden zurückzahlen will, ja einmal Überschüsse erwirtschaften wird müssen. Das erfordert ein weiteres, konstantes Wachstum der Wirtschaft. Wie man in der Vergangenheit sehen konnte, steht dieses brachial eingeforderte und erzwungene Wirtschaftswachstum sehr häufig im direkten Konflikt mit einer ökologischeren, nachhaltigeren und sozial verträglicheren Wirtschaft mit ausgeglichenen Vermögensverhältnissen innerhalb der Gesellschaft. Unbedingt notwendiges Wachstum ist nicht unbedingt der beste Garant für einen echten, globalen sozialen Fortschritt.
Fallen dieses Vertrauen der Anleger und die Bereitschaft, dem Staat Geld für Verluste zu leihen in sich zusammen, ist das gesamte Modell ohnehin Makulatur. Dann stehen zukünftige Generationen vor einem noch viel größeren Schuldenberg, den sie mit sinkenden Einnahmen dann noch weniger stemmen können als wir mit heutiger Wirtschaftsleistung. Dann beginnt es möglicherweise schon gefährlich prekär zu werden. Außer man druckt weiter Geld und verschiebt die Lösung des Problems dann wieder um ein paar Generationen nach hinten. Das geht aber nicht ewig so weiter – irgendwann muss einmal jemand anfangen zu zahlen.
Wollen wir weiterhin auf ständigen Wachstumszwang setzen?
Ganz am Rande ist hier durchaus interessant, dass selbst die Kirche, deren Ansichten zu vielen Themen schon etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, zu diesem Thema eine sehr klare Meinung hat. Der Papst hat in seinem jüngsten Buch glasklare und sehr deutliche Worte dafür gefunden, was sich seiner Meinung nach ändern muss und was grundlegend falsch läuft.
Er fordert, dass die „Entmenschlichung“ der Wirtschaft dringend rückgängig gemacht werden müsse. Dass man „weltweit nicht ganze Völker auf den Abfall werfen“ dürfe und man arbeitende Menschen nicht mehr „als das entbehrlichste Element eines Unternehmens“ behandeln könne. Sondern man sich von Gewinnmaximierung verabschieden und eine „Umkehr des Prozesses der Entmenschlichung“ dringend beginnen müsse. Die „Globalisierung der Gleichgültigkeit und der Hyperinflation des Individuellen“ müsse umgekehrt werden, die Krise sei die Chance dafür. Am Ende seines Buches fordert der Papst überraschenderweise sogar ein „universelles Grundeinkommen“ als „eine bedingungslose Pauschalzahlung an alle Bürger, die über das Steuersystem verteilt werden kann“.
Nun gut, es ist der Papst und kein Wirtschaftsexperte, von dem diese Worte kommen. Dennoch kann es gut sein, dass er mit seinen Formulierungen sehr vielen, die ebenfalls wegen des Zustands der heutigen Welt besorgt sind, wohl aus der Seele spricht. Zumindest tendenzielle Zustimmung gibt es von durchaus vielen Seiten. Die Wachstumskritik hat sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt, die Kritik an den Strukturen der Wirtschaft auch.
Die Frage ist tatsächlich, ob wir uns durch hemmungsloses Gelddrucken und Ausgeben tatsächlich in eine Lage bringen wollen, in der wir den Weg der Vergangenheit stur und blind weitergehe. Und in der wir uns selbst und zukünftige Generationen unter einen gewaltigen Wachstumsdruck setzen müssen. Einfach, weil wir weiter über Jahrzehnte irgendwie unmenschliche Überschüsse erwirtschaften müssen, um nicht von unseren aufgehäuften Schulden der heutigen Tage erdrückt zu werden.
Es steht die Frage im Raum, ob wir das überhaupt schaffen. Und es schaffen, das Vertrauen der Menschen auch unter widrigen Bedingungen immer so weit aufrechtzuerhalten, dass sie ebenfalls darauf vertrauen, dass wir das schaffen.
Das ist ein gewagtes Spiel. Die Weichen stellen wir jetzt. Und vermutlich haben wir den Punkt bereits verpasst, an dem wir tief Luft holen hätten und etwas grundlegend ändern und solide neu bauen hätten können. Dafür hat uns der Mut gefehlt. Wir setzen lieber auf halsbrecherische Wagnisse.
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