Wir reden hier im Blog über Gewinnchancen und Anlagemöglichkeiten, über Vermögensaufbau und Altersvorsorge und über Anlegerwissen. Gelegentlich ist es allerdings auch an der Zeit, sich einmal über die andere Dimension, über das dahinter stehende Wachstum und das Wirtschaftssystem als Grundlage Gedanken zu machen. Einige Ansatzpunkte zum Nachdenken auch für Anleger haben wir in diesem Artikel zusammengetragen.
Prämisse: Wachstum
Wachstum ist das, was unsere Wirtschaft, aber auch jedes einzelne Unternehmen antreibt. Das ist eine grundlegende Prämisse unseres Wirtschaftssystems. Wo kein Wachstum ist – oder zumindest zu erwarten ist – gibt es auch keine künftigen Gewinne. Professionelle Investoren halten sich eisern an dieses Prinzip, sie haben es komplett verinnerlicht und bewerten die (wirtschaftliche) Welt allein aus diesem Gesichtspunkt heraus. Ohne Wachstum – kein Gewinn.
Sehen wir uns das einmal an einem einfachen Beispiel an: Unternehmen XY produziert eine kleine Auswahl an Backwaren innerhalb eines recht einsam gelegenen Landkreises, jwd – „janz weit draußen“, wie die Berliner sagen. Die Leute lieben die Brote und Semmeln von XY und haben sie täglich auf dem Speisezettel. Das Unternehmen beliefert nur Geschäfte im Landkreis und das schon seit Jahren. Das sorgt für ausreichenden Gewinn, um die Angestellten zu bezahlen und die Maschinen zu warten und zu reparieren und auch der Inhaber verdient gutes Geld an seinem Unternehmen.
Soweit alles gut, könnte man meinen. Das kann noch Jahrzehnte so laufen, alle sind glücklich – die einen mit ihren Semmeln, die anderen mit einem stabilen Geschäft. Alles gut? Nein, ist es nicht.
Nach den Gesetzen der Wirtschaft ist dieses Unternehmen zum Untergang verurteilt und zwar möglicherweise schon bald – weil es nicht wächst. Und was nicht wächst, das schrumpft. Und was schrumpft ist irgendwann kaputtgeschrumpft, kann seinen Betrieb nicht mehr aufrechterhalten und scheitert an den Kosten und den notwendigen Investitionen.
Auf den ersten Blick erscheint das alles völlig unverständlich. Wenn doch alles so gut läuft, könnte es doch einfach auch in Zukunft so weiterlaufen? Die einen backen das Brot, die anderen essen es, alles super. Es ist genau der Punkt, den wir als einfache Privatleute an der Wirtschaft so oft nicht verstehen – und daher auch häufig politische Entscheidungen im wirtschaftlichen Bereich und Unternehmensstrategien nicht. Dinge, die wir aber verstehen müssen – und durchaus auch kritisch betrachten dürfen, ab und an.
Kein Wachstum bedeutet Untergang
Das Problem stellt sich einfach schon allein dadurch, dass es diesen fiktiven Landkreis in Wirklichkeit nicht gibt. Und den Alleinstand eines die Bürger versorgenden Unternehmens schon gar nicht.
So eine Situation würde sofort mindestens ein zweites Unternehmen auf den Plan rufen, das dort Chancen sieht. Es würde angreifen, mit billigeren Semmeln, mit besseren Semmeln, mit anderen Produkten. Ja, Wirtschaft ist immer Kampf, ja Krieg. Und wo man eine Schwäche sieht und ein einzelner Versorger in einem abgeschlossenen Gebiet wird als schwach gesehen, dort versucht man zu übertrumpfen, seinen Gewinn zu machen, den anderen zu beschneiden, um selbst etwas abzukriegen.
Damit würde unser Backwarenhersteller XY irgendwann kleiner werden – angreifen wird hier vermutlich nicht ein einzelner, sondern gleich mehrere Unternehmen mit unterschiedlichen Angeboten. Die einzige Chance des Backwarenherstellers XY wäre, mit neuen Produkten zu kontern und um die Verluste auszugleichen, auf anderen Märkten und mit anderen Produkten Gewinne suchen – also wachsen. Tut er das nicht, werden ihm immer mehr Gewinne aus dem Landkreis weggenommen und der Absatz seiner Produkte wird schrumpfen. Die Menschen können schließlich nicht unbegrenzt Backwaren essen.
Verbraucher profitieren vordergründig von diesem Krieg – sie erhalten immer mehr und immer bessere Angebote von immer neuen Unternehmen, können Neues ausprobieren und mit billigeren Semmeln ihre eigenen Brotkosten senken.
Das ist das Grundprinzip unserer kapitalistischen Wirtschaft. Auf dieser Grundlage läuft alles – wirklich alles.
Das sozialistische Wirtschaftsprinzip hat im Gegensatz dazu nicht den Wettbewerb, sondern vor allem den Bedarf als Grundlage. Wir brauchen jeden Morgen 12.353 Semmeln und 24.000 Brote – wir haben ein Unternehmen, das im Landkreis YZ diese Menge herstellt, mit ein bisschen Reserve vielleicht.
Damit ist alles gut, der Bedarf kann gedeckt werden. Die Wirtschaft funktioniert. Niemand erfindet Spezialbrote, Eiweißbrot und Brot mit südamerikanischen Samen drin, weil niemand einem anderen den Markt und die Kunden streitig machen muss (oder darf). Manchmal gibt es Engpässe, wenn nicht alles so klappt, wie es soll, Ausweichprodukte sind dann rar, aber meistens bekommt man das hin, mit ein bisschen Einsatz und Sonderschichten.
Im Großen und Ganzen wird der echte Bedarf aber gedeckt, alles Notwendige wird zu überschaubaren Kosten produziert, unternehmerische Risiken gibt es nur wenige. Produkte werden natürlich weiterentwickelt, allerdings mit deutlich weniger Innovationsdruck, dafür aber mit deutlich mehr Investitionssicherheit.
Das sozialistische Wirtschaftssystem in den Ostblockländern haben wir allerdings Anfang der Neunzigerjahre voller Empörung abgeschafft, weil wir dort viel zu wenige „tolle“ Produkte fanden und der Kapitalismus ja eine riesige Auswahl an allem Möglichen und Unnötigen bot. Und dauernd was tolles Neues auf den Markt kam.
Ohne Wachstum keine Anlage
Wenn unser Backwarenhersteller XY sich im kapitalistischen Wirtschaftssystem nun also immer neue Märkte suchen muss, auf denen er sich mit tollen, innovativen Produkten nach oben kämpfen und behaupten muss, braucht er dafür Geld.
Es ist Geld nötig für Forschung und Entwicklung von neuen, fortschrittlichen Backwaren, es ist Geld nötig für das Marketing, um diese Produkte zu bewerben und den Menschen zu suggerieren, dass sie das nun unbedingt brauchen, um schöner, gesünder und stärker zu werden – und dass sie besser das XY-Brot kaufen sollten und kein anderes. Die Produktion soll kostengünstiger werden, um im allgemeinen Preiskampf um den günstigsten Preis mithalten zu können, Mitarbeiter müssen eingespart werden, um „wettbewerbsfähiger“ zu werden und neue Maschinen müssen angeschafft werden, um mehr in weniger Zeit produzieren zu können. All das kostet Geld.
Dieses Geld muss von irgendwoher kommen. Die Gewinne aus dem laufenden Betrieb reichen selten für massive Innovationen oder Weiterentwicklungen aus, vor allem, da eigentlich ständig solche Weiterentwicklungen laufen müssen, um nicht abgehängt zu werden. Dieses Geld kommt von Investoren.
Im Idealfall sieht das so aus, dass das Unternehmen von Investoren beispielsweise 100.000 Euro bekommt, dafür in den nächsten Jahren 1 Million Euro mehr Gewinn macht. Von diesem höheren Gewinn bekommen die Investoren dann etwas ab, um sie bei Laune zu halten. Das eingesetzte Geld der Investoren erzeugt also Rendite für die Investoren. Ansonsten hätten sie ja keine Veranlassung, ihr Geld dem Unternehmen zu überlassen.
Im Beispiel des Unternehmens, das in aller Gemütsruhe und ungestört allein seinen Landkreis mit Backwaren versorgt, gäbe es hingegen keine Anlagemöglichkeit. Dieses Unternehmen braucht kein Geld, es finanziert sich zum großen Teil aus den Gewinnen des laufenden Betriebs. Damit kann man ebenfalls längerfristig besser und fortschrittlicher werden. Fremdkapital ist nicht nötig – und damit gibt es auch keine Anlagemöglichkeiten – und natürlich keine Rendite. Die Gewinne werden nicht plötzlich steigen, sondern eher vergleichsweise stabil bleiben. Für Investoren wäre an diesem Unternehmen nichts zu holen und auch nichts zu gewinnen.
Im folgenden Teil unseres Beitrags werden wir uns dann mit den Grenzen und den negativen Folgen von Wachstum befassen – eben dort liegt der Punkt, wo man auch als kleiner Anleger nachdenken und vor allem überlegen sollte, wie und wo man als Anleger tatsächlich investieren möchte.
http://www.diekleinanleger.com/category/finanztipps/
Prämisse: Wachstum - warum wir auch als Anleger unser Wirtschaftssystem manchmal hinterfragen sollten (Teil I),
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