X

Kursziele, Prognosen und Fibonacci-Retracements

Jeder Trader sollte individuell entscheiden, mit welchem Online-Broker er auf einer Wellenlänge ist. Auch die Online-Präsentation spielt hierbei eine Rolle. pixabay.com © dawnfu (CC0 Public Domain)

Auf den Märkten herrscht immer wieder einmal Unsicherheit. Kurse sind turbulent und Kursentwicklungen nicht selten chaotisch. Das verunsichert natürlich. Eine Betrachtungsweise, die in den letzten Jahren vor allem bei vielen privaten Anlegern mehr und mehr in den Hintergrund geraten ist, ist die Betrachtung von Kurszielen. Natürlich kann niemand schlüssig vorhersagen, bei welchem Kurs Aktie A am Tag X notieren wird. Aber als gedankliche Herangehensweise eignen sich Kursziele sehr gut. Sie schaffen zumindest ein wenig Klarheit. Und sind oft auch eine Entscheidungshilfe für Anlage-Entscheidungen.

Was sind überhaupt Kursziele?

Ein Kursziel ist ganz einfach der Kurs, den eine Aktie (oder auch ein Index) nach der Ansicht von Analysten zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen wird. Naturgemäß handelt es sich dabei immer nur um eine – mehr oder minder zutreffende – aber meist gut begründete Schätzung. Hinter ihr stehen meist eine umfassende Finanzanalyse durch Experten und die Verwendung von mehreren angewendeten Prognosetechniken.

Um diese Schätzung ein wenig zu präzisieren, wird dann meist nicht der Kurs zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern eine bestimmte Kursspanne angegeben. Der Zeithorizont wird dabei oft nur sehr grob gefasst. Viele Kursziel-Analysen beziehen sich dann auf einen längeren Zeithorizont, meist 12 Monate ab dem Analyse-Zeitpunkt. Kürzere oder längere Zeithorizonte sind dabei aber durchaus auch üblich – etwa zwischen 6 und 24 Monaten.

Ein „konkretes“ Ergebnis darf man hier also nicht erwarten. Wohl aber kann man in der Zusammenschau und im Vergleich mehrerer Kurszielanalysen miteinander oft sehr gut erkennen, welches Gewinn- und Verlustpotenzial eine Aktie oder ein Index nach fundierter Expertenmeinung und eingehender Analyse hat.

Marktpsychologische Einflüsse bleiben außen vor

Ein Punkt, den man bei Kursanalysen immer kritisch betrachten muss ist, dass prinzipiell marktpsychologische Faktoren bei den Analysen nicht berücksichtigt werden. Subjektive Meinungen, Anschauungen, Stereotype und individuelle Bewertungs-Verzerrungen oder verbreitete, auf unserer Gehirnstruktur beruhende Bewertungsverzerrungen (Biases) von Marktteilnehmern fließen als Faktoren in Analysen nicht mit ein. Jede Analyse geht grundsätzlich davon aus, dass sich alle Marktteilnehmer rationell und vernünftig verhalten.

In unseren häufig regelrecht „getrieben“ agierenden Märkten ist das natürlich hoch problematisch. Dass solche Effekte, selbst wenn sie nur kurzfristig auftreten, selbst die fundierteste Analyse bloß noch Makulatur machen können, sollte einem bewusst sein. Natürlich hätte niemand die Corona-Pandemie vorhersehen können – aber selbst der Effekt einer schon angekündigten Kaufprämie für E-Autos würde in einer fundierten Analyse weitestgehend unberücksichtigt bleiben.

Diese Effekte muss man dann selbst nach eigener Einschätzung in das Analyse-Ergebnis mit einfließen lassen, um für sich selbst zu einer schlüssigen Beurteilung zu kommen. Daran sollte man denken. Zudem gründen Analysen immer ausschließlich auf den zum Analysezeitpunkt bereits bestehenden Umgebungsbedingungen.

Wozu nützen Kursanalysen dann?

Der Nutzen von Kurszielanalysen liegt weniger darin, einen zukünftigen Kurszielwert möglichst genau und möglichst richtig zu erfahren – auch wenn man sich das als Anleger natürlich wünscht. Der Nutzen, gerade als Anleger, liegt vielmehr in der fundierten und umfassenden Analyse und Gewichtung aller wichtigen Faktoren, die die zukünftige Kursentwicklung bestimmen werden. Selbst wenn das nicht alle einflussgebenden Faktoren sein mögen, erspart es einem doch die individuelle Betrachtung und Einordnung aller dieser Faktoren. Was, wenn man das als Laie tut, durchaus schon sehr fehleranfällig sein kann. Zudem fehlen für eine statistisch-mathematische Einschätzung dann auch die Modelle und Tools zur Ermittlung einer zahlenmäßig sinnvollen Prognose. Das ist in der Praxis durchaus komplex und eine Menge Rechenarbeit, die man auch beherrschen muss.

Innerer Wert und technische Analyse

Jede professionelle Kurszielanalyse arbeitet immer auf zwei Ebenen. Einerseits auf der Ebene des inneren Werts eines Unternehmens (bei Aktien). Andererseits mithilfe von verschiedenen technischen Analysemethoden oder Modellen zu Eintrittswahrscheinlichkeiten von bestimmten Ereignissen.

Innerer Wert

Für die Bestimmung des inneren Werts wird die Fundamentalanalyse herangezogen. Aus einer ganzen Reihe betriebswirtschaftlicher Kennzahlen wird der innere Wert eines Unternehmens ermittelt und mit den Ergebnissen von profunden Marktanalysen und einer Analyse der Gesamtwirtschaft (in Zahlenform) angereichert.

Dieser innere Wert oder intrinsic value eines Unternehmens kann auf verschiedene Weisen ermittelt werden und ist damit nie ein absoluter Wert. Sondern immer eine gewisse Bewertungsspanne. Auch bei der Analyse der gesamtwirtschaftlichen Situation und der Analyse eines bestimmten Marktes kann es natürlich Abweichungen geben, die sich dann ebenfalls im Gesamtergebnis widerspiegeln können.

Die wichtigsten Kennzahlen, die in der Fundamentalanalyse eine Rolle spielen, kennen Sie wahrscheinlich zum Teil. Und Sie verwenden sie selbst vielleicht manchmal als Hintergrund Ihrer Anlage-Entscheidungen (allerdings als Laie wohl nur in der „Light-Version“ für eine schnelle Beurteilung, nicht für umfangreiche Berechnungen): das KGV, das KUV und die GKR. Kurs-Gewinn-Verhältnis und Kurs-Umsatz-Verhältnis kann man auch als Laie oft gut zur Einschätzung benutzen, ebenso wie die Gesamtkapitalrendite.

In der professionellen Analyse kommen dann zusätzlich noch Kennzahlen wie das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das Kurs-Cashflow-Verhältnis und die Eigenkaptialquote sowie das Market-to-Revenue-Verhältnis zum Tragen. Dazu werden diese Kennzahlen in einer professionellen Analyse immer gewichtet eingesetzt und die Betrachtungen durch einige weitere Einflussfaktoren fallweise ergänzt.

Man muss sich hier immer vor Augen halten, dass die Fundamentalanalyse zu den treuesten Anhängern der Effizienzmarkthypothese gehört, also grundlegend voraussetzt, dass sich alle Marktteilnehmer immer völlig rational verhalten und sich der Marktwert (Kurswert) immer sehr genau im Bereich des realen (inneren) Werts eines Unternehmens ansiedelt. Das kann man durchaus auch kritisch in Frage stellen. Bislang tut man das zumindest in diesem Bereich allerdings noch nicht.

Technische Analyse

Die technische Analyse arbeitet im Gegensatz dazu vor allem mit Trendlinien, Unterstützungslinien, Widerstandslinien und generell mit Eintrittswahrscheinlichkeiten. Besonders für die Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit spielen die sogenannten Fibonacci-Retracements eine überaus wichtige Rolle.

Unterstützungs- und Widerstandslinien erklären sich zumindest im Groben von selbst. Es gibt für jeden Wert, sei es nun Aktienwert oder Indexwert, eine meist allgemein akzeptierte untere Wertegrenze, unter die dieser Wert nur sehr schwer fallen wird. Das Pendant dazu ist die Widerstandslinie, die ein Kurswert höchstwahrscheinlich nicht durchbrechen wird. Die Unterstützungslinie und die Widerstandslinie stellen dabei eine Verbindung jener Punkte dar, unter die der Kurs in der Vergangenheit nicht gefallen ist. Sie sind deshalb naturgemäß immer waagerechte Linien im Kursdiagramm. Die Position dieser Linien kann sich natürlich im Lauf der Zeit verändern. So wird etwa eine mehrfach durchbrochene frühere Widerstandslinie zu einer neuen Unterstützungslinie für neue Analysen. Umgekehrt gilt das Gleiche. Mehrfach durchbrochene Unterstützungslinien von absteigenden Kursen stellen eine neue Widerstandslinie beim Wiederansteigen der Kurse dar.

Zwischen beiden Linien liegt nach allgemeiner Lesart der sogenannte „Trendkanal“. Das heute gängige Trendmodell verwendet für die Ermittlung der Trendlinie (in charttechnischer Hinsicht) drei wichtige Komponenten: die Trend-Komponente, eine Saison-Komponente und die sogenannte Rausch- oder Noise-Komponente. Trends können dabei nicht nur linear, sondern auch aktuell geschätzt oder als gleitender Durchschnitt geschätzt werden. Eingesetzt wird dabei gewöhnlich das Modell, das die vorhandenen Daten nahelegen. In der Praxis muss das aber nicht zwangsläufig die absolut zutreffende Gesetzmäßigkeit hinter den Daten darstellen. Um das Ganze dann noch treffsicherer zu machen, wird zusätzlich auch ein sogenanntes Bestimmtheitsmaß verwendet. Damit kann man ermitteln, welches Modell den Datenverlauf in der analysierten Zeitreihe am zutreffendsten widergibt.

Saison-Komponente und Rauschkomponente werden ebenfalls mithilfe bestimmter mathematischer Modelle geschätzt. Diese Modelle sind schon lange in Verwendung und hinsichtlich ihrer Aussagekraft häufig gegengeprüft und verbessert. Sie stellen zum Teil sehr komplexe Berechnungen dar, die hohen Rechenaufwand erfordern.

Fibonacci-Retracements sind dann die „hohe Schule“ solch komplexer statistischer Berechnungen. Die Grundannahme dahinter ist, dass vorangegangene Aufwärts- und Abwärtsbewegungen immer um einen bestimmten, vorhersehbaren Prozentsatz korrigiert werden. Daraus ergeben sich für die Chartanalyse wichtige Linien im Bereich von 38,2 %, 50 % und 61,8 %. Diese Fibonacci-Retracements sind nicht letztgültig beweisbar, aber weithin akzeptiert.

Ihren Namen haben sie aus der dahinter stehenden Fibonacci-Folge, einer sehr wichtigen Folge natürlicher Zahlen in der Mathematik, die ihr Entdecker im 13. Jahrhundert verwendet hat, um das Wachstum einer Kaninchenpopulation mathematisch zu beschreiben. Die Annahme, dass Wachstum in der Natur einem Additionsgesetz folgt, das sich grundlegend an der Fibonacci-Folge orientiert, gilt seit der Entdeckung der Folge im 13. Jahrhundert bis heute als durchaus schlüssig und kann vielfach verifiziert werden. Auch einige andere erstaunliche Besonderheiten dieser Zahlfolge, wie die Annäherung der Quotienten an den Goldenden Schnitt oder die Tatsache, dass sich auch die Teilbarkeit von natürlichen Zahlen in regelmäßigen Abständen allein durch die Position in der Fibonacci-Folge gesetzmäßig ablesen lässt, spricht dafür, dass es sich bei der Fibonacci-Folge um eine wichtige Gesetzmäßigkeit handelt, die in vielen Bereichen Relevanz haben kann. Vor allem bei Wachstumsprozessen, die natürlich oder quasi-natürlich sind.

Fazit

Aus allem zuvor Gesagtem ergibt sich klar, dass man Kurszielanalysen nicht einfach mit dem Hinweis, dass es sich um einen „hilflosen Versuch, das Zufällige und Unberechenbare zu berechnen“ abtun kann. Dass nicht jedes prognostizierte Kursziel erreicht wird, liegt allein schon daran, dass die Effizienzmarkthypothese ganz einfach viel zu optimistisch mit dem Verstand und der Rationalität unserer Zeitgenossen umgeht und Vernunft als grundlegende menschliche und bestimmende Eigenschaft voraussetzt. Was sie ganz sicher nicht ist, wenn man sich unsere Welt und die menschliche Geschichte ansieht. Es ist eher Unvernunft die Regel. Und deren Grad kann tatsächlich niemand errechnen. Da überraschen wir uns mit immer neuen Rekorden an vollständiger menschlicher Verblödung regelmäßig selbst.

Davon abgesehen bieten aber Kurszielanalysen eine sehr gut fundierte Basis für eigene Überlegungen als Anleger – die man ganz sicher nicht abtun kann. Umfassende Analysen sind sicherlich um ein Vielfaches fundierter als das eigene „Bauchgefühl“ und können eine gute und relativ verlässliche Einschätzung von Gegebenheiten auf Märkten und bei Unternehmen bieten, auf die man eigene zusätzliche Einschätzungen sehr solide aufbauen kann.

Das eingehende Studium verschiedener Kurszielanalysen ist also durchaus eine lohnende Sache. Allein schon deshalb, weil man mit seinen eigenen Einschätzungen sehr viel zielsicherer wird, wenn man grundlegende, rationelle Gegebenheiten kennt und nicht ignoriert. Das stärkt dann auch die Realitätsnähe eigener Einschätzungen.

VN:F [1.9.22_1171]
please wait...
Rating: 5.0/5 (1 vote cast)

diekleinanleger verwendet Cookies