Wie die meisten Anleger wahrscheinlich wissen, gibt es einen recht simplen Zusammenhang zwischen Leitzins und Aktienkursen: Sinkt der Leitzins, erhöht sich das KGV (das Kurs-Gewinn-Verhältnis) von Aktien in ungefähr demselben Maß. Wird umgekehrt der Leitzins angehoben, fällt das KGV um ungefähr den gleichen Wert. Beide Veränderungen gehen dabei mit einer gewissen Zeitverzögerung einher. So weit, so einfach. Aber ist es tatsächlich so einfach?
Das KGV als Kennzahl
Zunächst einmal: Schon das KGV ist in der Praxis als Kennzahl wesentlich komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Beim KGV werden ja häufig Schätzungen für die Zukunft betrachtet und diese Schätzungen sind eben genau das: Schätzungen. In der Praxis wird man feststellen, dass Kurs-Gewinn-Verhältnisse insgesamt recht stark schwanken können – das hängt nicht nur vom herrschenden Zinsniveau ab, sondern eben auch von der Inflation und ganz wesentlich von den Chancen und Risiken, die ein Papier bietet. Eine weitere Rolle spielen auch die Branche und das jeweilige Land, das man betrachtet.
Interessant für Anleger ist besonders der Kehrwert des KGV – die sogenannte Gewinnrendite. Sie stellt die „Verzinsung“ der Aktie für den Anleger dar. Besonders der Kehrwert des KGV orientiert sich schon recht deutlich am herrschenden Zinsniveau – bis zu einem gewissen Grad.
Allerdings sinkt das KGV des gesamten Aktienmarkts statistisch gesehen auch langfristig – das kann man an den DAX-Werten gut nachvollziehen. Der historische Durchschnitt aus der Vergangenheit liegt bei etwa 14,6 – während man ab 2008 als Durchschnittswert in der Regel auf Werte deutlich unter 10 kommt. Das ist aber nur einmal die Statistik. Sie zeigt aber klar, dass es hier deutliche Schwankungsbreiten gibt, die man auch berücksichtigen muss, wenn man Auswirkungen der Geldpolitik auf einen Aktienmarkt untersucht.
Geldpolitische Maßnahmen
Sieht man sich die Bandbreite möglicher geldpolitischer Maßnahmen an, darf man natürlich nicht nur allein die Änderungen an den Leitzinsen betrachten, die Zentralbanken durchführen. Das Spektrum geldpolitischer Maßnahmen reicht noch deutlich weiter. Ein sehr wichtiger Punkt sind – vor allem bei der EZB – beispielsweise auch Maßnahmen wie Anleihekäufe.
Eine weitere wichtige Maßnahme sind direkte Devisenmarkt-Interventionen einer Zentralbank. Damit werden die Wechselkurse zwischen den Währungen durch die Zentralbank direkt beeinflusst, indirekt aber auch das Inflationsniveau im Land. Daneben können auch abgestimmte Interventionen von Zentralbanken mehrerer Länder erfolgen.
Neben den tatsächlichen Maßnahmen in der Zins- und Devisenmarkt-Interventions-Politik spielen aber auch verbale Ankündigungen der jeweiligen Zentralbanken bereits eine – deutlich erkennbare – Rolle.
Neben den rein währungsgebundenen Maßnahmen kommen dann noch zahlreiche weitere Instrumente ins Spiel:
- Zins-, Diskont- und Lombardpolitik wirken als Instrumente vor allem über die Banken
- die sogenannten „ständigen Fazilitäten“ setzen deutliche Signale, wie die Geldpolitik der Zentralbank sich in naher Zukunft entwickeln wird, auch diese Signale sind für Märkte bedeutsam
- Offenmarktgeschäfte (wie z.B. die schon erwähnten Anleihekäufe) sind ein wesentliches geldpolitisches Instrument der Zentralbanken, um die Geldpolitik entweder expansiv oder restriktiv zu führen
- auch die Mindestreservepolitik der Zentralbanken spielt eine Rolle für die Geldpolitik
Geldpolitik ist insgesamt ein komplexes Feld, bei dem sich einzelne Strategien und Maßnahmen auch gegenseitig beeinflussen – und in ihrer Kombination dann wiederum den Aktienmarkt. Neben den geldpolitischen Maßnahmen der Zentralbanken muss man daneben auch immer den Einfluss der Geldpolitik einer Regierung noch mit berücksichtigen. Durch die Schaffung bestimmter Gesetze, durch Ankündigung von bestimmten Maßnahmen oder Veränderungen werden ebenfalls Veränderungen am Aktienmarkt ausgelöst. Sich bei einer Betrachtung jetzt einfach auf den Leitzins zu beschränken, greift also deutlich zu kurz.
Studienergebnisse
Für den US-Markt gibt es zahlreiche Studien, die den Einfluss der Geldpolitik auf den Aktienmarkt – und auch die Aktienkurse – untersuchen. Die meisten dieser Studien beleuchten jeweils nur Teilbereiche des Aktienmarkts oder besondere Zusammenhänge.
Schon die erste bedeutsame Studie aus dem Jahr 1995 von Tarhan, die unter anderem auch die Bedeutung von Offenmarktgeschäften auf die Aktienkurse untersucht, kommt zu einem recht klaren Schluss: es lassen sich keine signifikanten Effekte nachweisen. Wohl hingegen auf Bundesanleihen. Zu dem gleichen Ergebnis in Bezug auf Staatsanleihen kommen auch andere, nachfolgende Studien regelmäßig. Der Effekt nimmt allerdings mit Verlängerung der Laufzeit deutlich ab.
Bei einigen nachfolgenden Studien, die sich speziell auf den Aktienmarkt in den USA konzentrieren, wird einiges deutlicher. Der klar erkennbare Effekt ist, dass der Markt und die Kurse nur sehr schwach auf erwartete Zinsänderungen der Zentralbank reagieren, umso stärker jedoch auf unerwartete. Der Effekt ist jedoch in den einzelnen Sektoren des Aktienmarkts unterschiedlich stark ausgeprägt – einige Marktsektoren reagieren stärker als andere.
Die umfangreichste Studie zu diesem Thema, von Durham 2005, kommt allerdings zu wesentlich umfassenderen Ergebnissen. Durham untersucht sowohl den US-Aktienmarkt, als auch die Märkte von 15 anderen Ländern, darunter auch einige europäische Länder. Er gliedert seine Ergebnisse auch nach Sektoren und nach Unternehmensgröße. Kurzgefasst lautet der Schluss dieser Studie:
- dass man Einflüsse nicht über den gesamten Markt hin verallgemeinern kann
- dass der Einfluss der Geldpolitik auf Aktienkurse laufend und immer stärker abnimmt
- dass Marktteilnehmer heute besser und schneller in der Lage sind, geldpolitische Maßnahmen der Zentralbanken auszugleichen
Aktienmärkte in Europa
Auch für Europa gibt es einige gezielte, später erstellte Studien, die den Einfluss von geldpolitischen Maßnahmen der EZB untersuchen. Dabei kommen sehr unterschiedliche Modelle und Vorgehensweisen zum Einsatz, um der Komplexität der Untersuchungen gerecht zu werden. Auch hier zeigen die meisten Studien nur geringe Reaktionen der Aktien auf die Geldmarkpolitik der EZB. Im Gegensatz dazu finden einige Studien allerdings einen erkennbaren Einfluss speziell auf die Aktienvolatilität.
Bei einigen jüngeren Studien, insbesondere bei Bohl (2008) zeigt sich allerdings ein nachweisbarer negativer Effekt auf die Aktienkursentwicklung besonders bei unerwarteten Zinsänderungen der EZB – der sogenannte Überraschungseffekt.
Das Fazit
Die – allzu einfache – Faustregel, dass sich die Aktienkurse jeweils umgekehrt bewegen, wenn sich die Leitzinsen ändern, kann man so nicht als allgemeingültig betrachten. Die Effekte sind, wenn überhaupt, dann nur kurzfristig und nicht in allen Bereichen gleich ausgeprägt. Einen wesentlichen Einfluss auf die Auswirkungen haben auch Unternehmensgröße und der Marktbereich, in dem das Unternehmen angesiedelt ist. Wichtig für die Kursentwicklung sind überwiegend die wirtschaftliche Situation des Unternehmens, die Investitionsmöglichkeiten und Investitionsbedingungen für Unternehmen im Land und das allgemeine Wirtschaftswachstum. Dazu spielen auch die Arbeitsmarktbedingungen, vor allem die Flexibilität des Arbeitsmarkts eine grundlegende Rolle. Geldpolitische Maßnahmen allein verändern also kaum etwas und haben in der Praxis nur sehr geringen Einfluss.
Weiterführende Links
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