Das Gespenst der Inflation geht mal wieder um in unserem Land, gepaart mit dem eigentlich gegenteiligen Negativszenario einer massiven Deflation. Diesmal ausgelöst von den wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Corona-Pandemie. Weil das ganze Thema durchaus vertrackt und sowohl Inflation als auch Deflation in ihren vielen, komplexen Auswirkungen gar nicht so einfach zu fassen sind, wollen wir einmal einen grundlegenden (und erklärenden) Blick in der Post-Corona-Welt unserer Wirtschaft auf beide Szenarien werfen.
Inflation und Deflation
Will man beide Definitionen einfach halten, bedeutet Inflation ein allgemeines Ansteigen der Preise für Güter und Dienstleistungen. Im Gegenteil dazu bezeichnet Deflation genau das Gegenteil, dass also die Preise für Waren und Dienstleistungen sinken. Damit hat es sich aber auch schon mit der Einfachheit.
Eine gewisse Inflation – also ein ständiges Ansteigen der Preise von allen Dingen, die man so im täglichen Leben kauft ist normal und gewollt. Auch dann, wenn das zugrunde liegende lateinische Wort eher soviel wie „aufblähen“ bedeutet, ist eine gewisse Inflation gewollt. Halten wir uns weiter mit den Schulweisheiten auf, ist es Aufgabe der Zentralbanken, so gut wie möglich eine Preisstabilität sicherzustellen. Was allerdings nicht bedeutet, dass man versucht, die Inflation auf Null zu drücken. Im Zuge einer konjunkturellen Aufwärtsentwicklung, also einer sich positiv entwickelnden Konjunktur ist eine leichte Inflation unabdingbar und damit auch gewünscht. Natürlich sollten sich zum Erhalt der Kaufkraft auch Löhne in der gleichen Rate nach oben bewegen (was die Reallöhne allerdings nicht immer in vollem Umfang in allen Branchen tun). Auch unsere Spareinlagen sollten eine durchschnittliche Inflation von rund 1,2 % möglichst berücksichtigen, wenn man am Ende der Anlagedauer das Geld auch noch den gleichen Kaufkraftwert samt Zinsen haben soll. Inflationsbereinigt bedeutet also: Sparzinsen – 1,2 % (oder aktuell ermittelte Inflationsraten über die Anlagedauer, wenn man exakt sein will).
Eine gewisse Rolle spielt dabei auch der sogenannte Marktpreis eines Produkts, beziehungsweise der Gleichgewichtspreis, der beim einzelnen Produkt auch immer ein wenig vom vorhandenen Angebot und der aktuellen Nachfrage bestimmt wird.
Die Inflation wird anhand eines festgelegten Warenkorbs ermittelt, dessen Gesamtpreis im Vergleich zu vorherigen Zeiträumen ermittelt wird. Dabei werden sowohl Güter des täglichen Bedarfs als auch langlebige Güter und Energiekosten berücksichtigt. Das ist natürlich immer eine Art „Modellrechnung“ – die Auswirkungen höherer oder niedrigerer Inflation spürt man im Alltagsleben je nach Lebensstil nicht immer oder sogar gegenteilig.
Ein gutes Beispiel dafür ist gerade der sogenannte Chili-con-Carne-Index“, der von einer deutschen Uni berechnet wird und sich nur auf die Preise der Zutaten eines klassischen Chili-con-Carne-Rezepts bezieht. Dem Index zufolge ist ein großer Teil der Hauptzutaten aktuell gerade um 10 % – 25 % teurer geworden. Auch wer nicht gerade Vegetarier oder Veganer ist, wird das im Supermarkt aber wohl kaum bemerkt haben. Grund dafür ist ganz einfach, dass unser „persönlicher“ Warenkorb meistens anders zusammengestellt ist als die Index-Warenkörbe – und wir damit Veränderungen an einzelnen Preisen anders wahrnehmen.
In der aktuellen Lage sinkt die Inflation deutlich ab – um fast 25 % von zuvor 1,2 auf 0,8. Die Dinge des täglichen Bedarfs werden also im „offiziellen“ Warenkorb deutlich günstiger. Offiziell befinden wir uns also in einer Phase der starken Deflation.
Auch das werden vermutlich die meisten von uns gerade nicht wirklich bemerkt haben – vor allem, weil der Grund dafür das massive Nachgeben des Ölpreises in der Krise war. Mit Lebensmitteln an sich hat das nur wenig zu tun. Das muss man immer bedenken, wenn man sich Inflationswerte ansieht. Ein einzelner Wert, bei dem der Preis gerade stark fällt, kann im Gesamtwert oft verschleiern, dass viele andere Preise gerade stark steigen. Für ein aussagekräftiges Bild kommt es immer auch auf die bestehende Nachfrage nach den einzelnen Gütern an.
Die Inflationsrate ist also ein weithin theoretischer Wert, die „gefühlte Inflation“ in unserem Alltag kann ganz anders aussehen. Nichtsdestotrotz hat die Inflationsrate aber gegebenenfalls enorme Auswirkungen auf unsere Wirtschaft.
Auswirkungen der Inflation – und befürchtete Auswirkungen
Hohe Inflationsraten haben Revolutionspotenzial. Vor einigen Jahren musste die chinesische Regierung den Zufluss ausländischer Gelder ins Land im Eiltempo stoppen, weil die Inflationsrate innerhalb kürzester Zeit auf über 5 % geklettert war und die Leute auf die Straße gingen. In einigen lateinamerikanischen Ländern kann schon die Erhöhung von Straßenbahntickets um 40 Cent oder die geringfügige Erhöhung des Benzinpreises solche Revolutionen auslösen – das hat dann allerdings nicht immer etwas mit der Gesamt-Inflation zu tun, sondern oft auch mit sozialen Strukturen im Land, die bestimmte Bevölkerungsgruppen bei bestimmten Preise besonders preissensibel machen.
Hohe Inflation ist für Bürger nicht nur unangenehm – sondern auch wirtschaftlich gefährlich. Sieht man sich die „großen“ Wirtschaftskrisen der Vergangenheit an, erkennt man dabei ein Muster: zunächst kam es zu hohen Haushaltsdefiziten in den betreffenden Staaten, was durch eine Menge „Geld drucken“ wieder wett gemacht wurde, um die Staatsfinanzierung irgendwie sicherzustellen. Da bei einer Inflation der „Wert“ des Geldes (also seine Kaufkraft) sinkt, stieg bei jeder großen Wirtschaftskrise in der Vergangenheit nach dem Geld drucken die Inflationsrate steil an. Der Grund dafür liegt auf der Hand: 100 Milliarden Schulden drücken den Staat einfach weniger, wenn man das Geld entwertet. Damit wird die Schuldenlast – umgerechnet in Kaufkraft-Wert – massiv vermindert. Bei all den großen Wirtschaftskrisen der Vergangenheit entwickelte sich nur leider die Inflation unkontrolliert immer weiter bis zur Hyperinflation – dann kam es zum Kollaps und das gesamte Geldsystem brach zusammen.
Aktuell befinden wir uns in der Wirtschaftskrise – zumindest dem offiziell berechneten Warenkorb zufolge – also eher in einer Deflationsphase. Wie gesagt, betrifft das allerdings nur die aktuellen und offiziell gültigen Werte.
Wir stehen momentan vor einem Problem, dass wir nicht nur eine geringere Nachfrage haben, sondern in vielen Bereichen auch ein deutlich geringeres Angebot. In Wirtschaftsbegriffen nennt man das einen „Angebotsschock“. Durch die verringerte Erntemenge, etwa bei Obst und Gemüse. Weil einfach die Arbeitskräfte fehlen oder aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen nicht oder weniger geerntet werden kann, kommt es zu einer deutlich verringerten Angebotslage. Auch im Bereich der produzierenden Industrie wird sich, wenn die Produktion nicht schnell und in vollem Umfang wieder anläuft, ebenfalls das Angebot verknappen. Das könnte mittel- bis langfristig die Preise nach oben treiben. Damit würde die Inflation stark ansteigen, was für die einzelnen Staaten angesichts der enormen neuen Staatsverschuldung durch die Krisenbekämpfungsmaßnahmen durchaus wünschenswert sein könnte, um die Staatsfinanzierung auch bei den wirtschaftlich bereits „angezählten“ Staaten in Europa sicherzustellen. Die Versuchung könnte groß sein.
Zudem besteht auch eine ganz reale Gefahr darin, dass die Konsumlaune der Deutschen schnell wieder steigt – die Industrie aufgrund vieler Schutzmaßnahmen und Auflagen mit der Produktion aber nicht hinterher kommt. Dann haben wir den klassischen Grund für eine steigende Inflation.
Nicht zuletzt muss man auch ein sehr kritisches Auge auf die Pläne haben, wenn globale Lieferketten „entflochten“ werden sollen und wieder mehr Produktion in unserer unmittelbaren Nähe stattfinden soll. So sinnvoll natürlich die Entflechtung komplexer Lieferketten – auch aus ökologischer Sicht – ist, birgt sie dennoch ein großes Risiko für mögliche nachfolgende Preissteigerungen. Und damit durchaus auch ein beträchtliches Risiko, dass die Inflation stark ansteigt. Angesichts der hohen Staatsverschuldung in Europa und der gerade deutlich ausgeweiteten Geldmenge kommt das – jedenfalls wirtschaftstheoretisch – schon wieder einmal einem Tanz auf dem Vulkan gleich. Wenn wir das alles innerhalb kurzer Zeit haben wollen, könnten wir sehr schnell dem Gespenst einer Mega-Inflation gegenüberstehen.
Das bedeutet nicht, dass eine erhöhende Inflation nicht staatlich beherrschbar wäre – wenn man sie rechtzeitig bemerkt und rechtzeitig entschieden gegensteuert. Wir befinden uns nicht in einer Situation, wie etwa nach dem Ersten Weltkrieg, wo einfach der Spielraum für Gegenmaßnahmen gar nicht vorhanden war (enorme Staatsverschuldung durch massive Käufe von benötigtem Kriegsmaterial und Reparationszahlungen, die durch eine massive Ausweitung der Geldmenge finanziert werden mussten, in der Produktion fehlende Männer, zerschlagene Industrien und gleichzeitig hohe Nachfrage nach Gütern des täglichen Bedarfs). Wir haben heute genug Möglichkeiten, gegenzusteuern – wenn wir mutig genug sind. Nur wachsam müssen wir sein und vor allem rechtzeitig handeln.