Im Jahr zuvor suchte Deutschland den Impfpass – dieses Jahr suchen alle Tenbagger

Posted by
Im Jahr zuvor suchte Deutschland den Impfpass – dieses Jahr suchen alle Tenbagger

Es ist schon manchmal fast belustigend, wie Menschen in der Masse urplötzlich auf Trends – oder sogar auf bloße Werbekampagnen oder einfache Schlagwörter – anspringen. Der eine oder andere kann sich vielleicht noch an die staatliche Kampagne unter dem Schlagwort „Deutschland sucht den Impfpass“ erinnern. Mit seinen weithin sichtbaren kreativen Plakaten voller an allen möglichen Stellen suchenden Deutschen, den Spots und dem einprägsamen Slogan, den man nie mehr vergisst. Nachdem der Impfpass nun (hoffentlich) gefunden ist, sucht die ganze Welt jetzt den Tenbagger – zumindest die Anlegerwelt. Der dürfte aber im eigenen Depot in den meisten Fällen deutlich schwieriger zu finden sein als zuvor der Impfpass. Immerhin – wenn man seinen Tenbagger findet, hat man ziemlich Glück gehabt.

Was sind Tenbagger nun wieder?

Der Begriff Tenbagger gehört nicht zu den „offiziellen“ Begriffen der Börsenwelt, sondern ist die selbst erfundene Bezeichnung eines Fondsmanagers in den späten 80ern, die sich aber seitdem irgendwie verselbstständigt hat. Als Tenbagger werden dabei ganz einfach Aktien bezeichnet, deren Kurswert sich im Lauf der Zeit verzehnfacht. Und da in unserer Welt nichts ohne Steigerung ins Unermessliche wirklich lang überleben kann, gibt es heutzutage nicht nur die Tenbaggers, sondern auch die Twentybaggers und neuerdings sogar die Multibagger.

Ganz so neu ist die Geschichte mit den Tenbaggers also eigentlich gar nicht. In der letzten Zeit ist die Suche nach diesen speziellen Aktien aber trendmäßig wieder hochgekocht. Jeder durchforstet mal wieder sein Depot und die Börsen nach solchen unentdeckten Schätzen – und wie jeder ernsthafte Schatzsucher natürlich mit der festen Gewissheit, auch welche zu finden.

Mehr zum Thema  Kleinanleger Presseschau 03/2015

Da bei Tenbaggern, Twentybaggern und Multibaggern nicht festgelegt ist, innerhalb welchen Zeitraums sie ihren Kurswert verzehnfacht oder verzwanzigfacht haben müssen, ist es natürlich eine rein individuelle Entscheidung, was einem selbst als Tenbagger gilt. Genau genommen ist eine Aktie, deren Kurswert sich in zehn Jahren von anfangs 24 Cent auf 2,40 EUR erhöht hat, auch ein Tenbagger. Ob das nun die lang ersehnte und dringend gesuchte Goldgrube ist, wollen wir einmal dahingestellt lassen.

Passend zum Trend gibt einem natürlich gerade die halbe Welt irgendwelche Ratschläge, wie man Tenbagger und Multibagger ganz einfach findet. Einzelne Ratschlag-Geber scheuen dabei noch nicht einmal davor zurück, Amazon und McDonalds als unentdeckte Tenbagger-Schätze anzupreisen. Oder Uber.

Escape The Hype

Wie bei den meisten Spontan-Hypes braucht man das Ganze nicht allzu ernst zu nehmen. Hat man zufällig, ohne es zu wissen, einen Tenbagger in sein Depot eingereiht, wird man das irgendwann einmal an der Depotentwicklung merken. Wenn nicht, ist das auch nicht so schlimm. Nicht jeder braucht einen Jaguar, nicht jeder braucht einen Tenbagger in seinem Depot. Man kommt auch anders zum Ziel.

Wenn man einmal die leuchtende Neonfarbe vom Tenbagger-Hype ein wenig abkratzt und Lautsprecher mit den brüllenden Hype-Beats ein wenig leiser stellt, sieht man hinter dem ganzen Tenbagger-Ding eigentlich nur eine Sache, die schon angesagt ist, seit das gute alte Value Investing modern wurde: unterbewertete Aktien.

Schlicht darum geht es: Unternehmen, die kaum jemand kennt, die sich in einer kleinen, eher unbeachteten Nische gut entwickeln und plötzlich mit einem neuen Produkt, das sie schaffen, ihre Gewinne massiv steigern können oder einen wichtigen Bedarf decken. Unternehmen, bei denen der Wert der Aktie niedrig ist, weil sich niemand wirklich für sie interessiert. Und die dann plötzlich alles Interesse auf sich ziehen und gehyped werden. Idealerweise hat man eine große Zahl der Aktien dann schon vorher gekauft.

Mehr zum Thema  Anlage in (Gold)Münzen sinnvoll?

Solche „Erfolgsgeschichten“ passieren in der Praxis aber eben nur höchst selten. Der Grund ist ganz simpel: Studien und die Forschung belegen immer wieder, dass sehr erfolgreiche Unternehmen überwiegend in Trendmärkten arbeiten. Kehrt man die Rechnung um, ist im Schnitt für rund 70 % des Unternehmenserfolgs der Markt verantwortlich, nicht das Unternehmen selbst. Und solche Trend- und Wachstumsmärkte werden von sehr vielen immer sehr genau beobachtet. Die Chance, dass der Masse der Beobachtenden dabei ein unbekanntes, aber sehr leistungsfähiges Unternehmen entgeht, ist äußerst gering.

Allenfalls plötzliche Änderungen der Umstände – etwa neue umfassend wirksame Gesetze (z. B. die DSGVO) oder sich rasch unvorhergesehen entwickelnde neue Situationen haben das Potenzial, kleinen Unternehmen in großer Zahl plötzlich und unvermittelt riesige Marktchancen zu eröffnen, an denen sie deutlich wachsen können – oft über sich selbst hinaus. So oft kommt das aber selbst in unserer schnelllebigen und sich dauernd verändernden Welt nicht vor. Die Dinge bleiben die meiste Zeit im selben ruhigen Fahrwasser.

Goldgräber werden selten reich – solide Investierende sehr häufig

Der Hype wird einen also nicht weiter bringen. Er kann einen im Gegenteil sogar kräftig zurückwerfen, wenn sich die vermeintlich unterbewerteten Aktien dann als Aktien tatsächlich ohne echten, dahinterliegenden Wert herausstellen.

Bei der Suche nach dem Tenbagger sollte man es also nicht übertreiben. Was sich dagegen viel eher lohnt, ist stetiges Investieren in tatsächliche, solide Werte. Solche Aktien mögen sich vielleicht im Kurswert nicht gerade verzehnfachen (das wird auch Amazon wohl kaum mehr), dafür bringen sie aber stetiges Wachstum, Dividenden und stetigen Gewinn.

Auf lange Sicht bringt man es damit weiter als mit der Suche nach Einhörnern. Im Hinblick auf Reichtum macht es durchaus Sinn, ob man am Ende kein Einhorn oder zehn gute Pferde im Stall hat. Zudem: wer ständig nach Superlativen sucht, wird irgendwann einmal beim nächsten Wirecard-Unternehmen landen. Und dann ist möglicherweise nicht nur der Einhorn-Traum geplatzt, sondern man ist die paar Pferde, die man noch hatte, dann auch los. Das klingt nicht unbedingt wie der Weg zum ultimativen Anlageerfolg.

VN:F [1.9.22_1171]
Rating: 0.0/5 (0 votes cast)

Anzeige

One Comment

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert