An der Börse gibt es große und kleine Anleger. Wie nachhaltig manche der „Großen“ allerdings die Anlagen der „Kleinen“ stören können und deren Anlageziele oft regelrecht torpedieren, ist selbst Insidern oft nur wenig bewusst. Der Hochfrequenzhandel – und insbesondere der automatisierte Handel über bestimmte Algorithmen – kann für kleine Anleger aber tatsächlich eine massive Bedrohung darstellen und ihnen substanzielle Verluste bescheren. Auf den ersten Blick erscheint das gar nicht so einleuchtend – selbst offizielle Stellen und Aufsichten haben das über Jahre kaum bemerkt – bei näherer Betrachtung sieht man dann aber das tatsächliche Ausmaß des Schadens.
Der Hochfrequenzhandel und wie er funktioniert
Hochfrequenzhandel ist beileibe nichts Neues. In großen Mengen gehandelt wurde schon immer. Mit zunehmender Leistungsfähigkeit von Rechnern und Internetverbindungen wird aber der Hochfrequenzhandel immer schneller und noch hochfrequenter – und plötzlich tut sich da ein Problem auf. Wo früher noch eine „schnelle Reaktion“ seitens des Investors schon ein gutes Vorzeichen für Börsenerfolge war, entscheiden heute überwiegend Millisekunden über Gewinne und Verluste. Das wäre ja an sich noch schön und gut – heute ist eben alles ein wenig schneller – wenn es nicht in diesem Bereich gewaltige Unterschied in der Leistungsfähigkeit der Systeme gäbe.
Gegenüber einem Hochleistungsrechenzentrum verhält sich der Internetzugang eines Privatanlegers ungefähr wie der Wettlauf zwischen einer über die Wiese spazierende Ente zu einem Porsche mit laufendem Motor. Wo das Entchen das Ziel gerade erst einmal sieht, ist der Porsche schon lang durch. Und genau dieser Zeitverlust, den unser Entchen nun einmal in Kauf nehmen muss, kostet viel Geld. Entchen kann das Rennen nicht gewinnen – und es kann noch nicht einmal mithalten.
Dazu kommt noch, dass im Hochleistungsbereich heute kein Mensch mehr Entscheidungen treffen muss. Selbst dieser Zeitverlust ist eingespart, dafür sorgen maschinenlesbare Nachrichten, auf die der Rechner praktisch sofort reagiert und seine Orders in rund 1 – 2 Millisekunden platziert. Nicht eine Order – sondern hunderte gleichzeitig. Und bis Entchen die Ziellinie erreicht hat, ist schon längst wieder alles anders geworden. Weil die Börse natürlich genauso schnell auf große Mengen von Käufen und Verkäufen reagiert. Immerhin sind auch dort Turbo-Großrechner im Einsatz. Wobei moderne Systeme heute schon beginnen, sich mit Mikrosekunden-Reaktionen (also Millionstel von Sekunden) zu befassen.
Dazu kommen auch andere Strategien, die Arbitrage ausnutzen, sich computergesteuert und automatisiert „vordrängeln“, so dass Orders von Kleinanlegern immer weiter nach hinten geschoben werden, bis sie – trotz vergleichsweise schneller menschlicher Reaktion – nur noch recht wenig wert sind. Eine recht gemeine Strategie, die Orders anderer Handelsteilnehmer aufzuspüren und vor ihnen zu kaufen – was dann durch dieses „Vordrängeln“ den ursprünglichen Order-Absendern einen teilweise deutlich schlechteren Preis beschert. Beim Verkauf ist es umgekehrt, hier müssen dann eben beim Verkauf noch größere Verluste hingenommen werden. Wobei – muss man fairerweise bemerken – diese Problematik nicht mehr nur Kleinanleger, sondern durchaus eine ganze Menge von Fonds betrifft (in die aber wiederum viele Kleinanleger investieren). Die Gewinn- und Verlust-Situation verschlechtert sich dadurch zusehends, auch für diese „Großen“, aber nicht ganz großen Anleger.
Und auch die weniger fairen und nicht mehr ganz „sauberen“ Strategien wie das gezielte Treiben von Kursen, das Vorspiegeln einer hohen Nachfrage für einige Sekunden, worauf andere automatisierte Handelssysteme ebenso blitzschnell reagieren, gibt es durchaus. Und sie sind nicht selten. Immerhin lohnt sich so etwas massiv. Einige wenige Millisekunden schneller zu werden, kann die Gewinne bereits vervielfachen.
Die Problematik verschärft sich zusehends
Nun gut, könnte man sagen, wenn ich nicht gerade Daytrader bin und mit meinem 6Mbit-Internetzugang eben einfach damit leben muss, immer das Nachsehen zu haben – dann kratzt mich das doch herzlich wenig. Leider ist dem aber nicht so. Es betrifft schlicht jeden.
Wer seine Aktien über automatische Stop-Loss-Limit-Orders absichert, ist schon einmal massiv betroffen – da seine Schadensbegrenzung erst ganz am Ende hinter allen anderen Orders der Hochfrequenzhändler kommt. Und die Notbremse damit nur noch sehr wenig wirksam ist. Dazu kommen in den letzten 4 – 5 Jahren sehr häufige unerklärliche Kursstürze einzelner Papiere – mit 20, 30 oder sogar über 50 Prozent Wertverlust, für sehr kurze Zeiträume. Kurz danach erholen sich die Papiere wieder. In den letzten Jahren tritt dieses Phänomen gehäuft auf, die Gründe für das plötzliche Absacken sind unerklärlich. Ein eingestelltes Limit würde in diesem Fall (zu spät) greifen und eigentlich wertvolle Papiere zu einem sehr schlechten Preis auf den Markt werfen. Kurze Zeit später hätten sie dann ihren ursprünglichen Kurs wieder, nur sie sind dann leider zu einem sehr schlechten Preis verloren. So etwas kann enorm viel Geld kosten. Auch einem Privatanleger.
Das ist aber noch immer nicht alles. Hochfrequenzhandel ist eben nicht nur sehr schnell, sondern, es wird auch immer im großen Maßstab gehandelt. Und dieser überdimensionale Maßstab an plötzlichen Handelsbewegungen rüttelt natürlich auch die Börsen kräftig durcheinander.
Heute ist man sich sicher, dass der Hochfrequenzhandel für viele massive Schwankungen an der Börse in den letzten Jahren zumindest kräftig mitverantwortlich ist. Wer innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde 10.000 Orders oder mehr platziert, verändert nun einmal kräftig etwas am Markt. Das ist unweigerlich. Diese Zahl ist übrigens nicht übertrieben – solche Größenordnungen sind durchaus üblich. Und sie können, wie die Vergangenheit gezeigt hat, selbst den Dow Jones innerhalb von Minuten um satte 1.000 Punkte herunterrasseln lassen. Und solche Schwankungen und Instabilitäten haben letztendlich für jeden Anleger Bedeutung. Während die Großen dagegen automatisiert in Sekundenbruchteilen darauf reagieren können und damit sogar oft noch Gewinne machen, bleiben die kleineren Anleger den Schwankungen hilflos ausgeliefert – und können sie bestenfalls einfach hinnehmen. Und in den letzten Jahren war da einiges hinzunehmen.
Und selbst die, die der Börse fernbleiben und einfach ihre Altersvorsorge in einem Fonds stecken haben, sind betroffen: jedenfalls indirekt, denn die Gewinne, die dem Fonds entgehen, entgehen am Ende auch ihnen.
Marktregulierungsmaßnahmen sind schwierig
Für die Regulierungsbehörden, die nach jahrelangem Übersehen das Problem nun endlich erkennen, ist die Situation überaus schwierig. Zwar ist man sich recht einig darüber, einzelne Praktiken als Marktmanipulationen und Marktmissbrauch zukünftig verbieten zu wollen – diese Praktiken aufzudecken und überhaupt nachzuvollziehen, was passiert ist, ist technisch nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Die Datenmengen, die zur Aufdeckung von Manipulationen oder marktmissbrauchenden Praktiken überprüft werden müssten, sind gigantisch – und von keinem Rechensystem derzeit auch nur annähernd in vertretbarer Zeit zu bewältigen.
Dazu stellt sich dann nachfolgend schon mal die grundlegende Frage, wie eine Behörde überhaupt Zugriff auf ausländische Trader bekommen sollte – ein ganz banales Rechtsproblem. Überdies müsste jemand aus einem automatisierten Algorithmus eines Hochfrequenzhändlers überhaupt erst herauszulesen imstande sein, dass hier und da ein „Trick“ dahintersteckt. Nicht alles ist immer offensichtlich, sondern häufig gut getarnt. Zwar erkennen Computer auch heute schon verdächtige Handelsmuster und „Phantom-Orders“, die zwar in großer Zahl vorhanden sind, aber eigentlich gar nicht ausgeführt werden sollen, aber das ist noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs. Gegen Programmierer, Ideen und Algorithmen sind die Behörden im Wettrüsten im großen Nachteil – und der wird sich nicht so schnell ausgleichen lassen. Immerhin reagiert die Gegenseite auch sehr schnell und sehr flexibel auf alle möglichen Gesetzesänderungen und passt sich an. Den Hochfrequenzhandel einfach zu verbieten, ist auch keine Lösung – und so überhaupt nicht durchsetzbar.
Unser Fazit
Die Problematik wird es wohl noch lange geben – und als Kleinanleger ist man den Geschehnissen wohl mehr oder weniger ausgeliefert. Niemand verdient so viel, wie er eigentlich könnte, aber damit muss man wohl leben. Zumindest sollte man die Problematik auch als Kleinanleger wenigstens kennen – und sich ihrer bewusst sein. Immerhin, so schätzen Experten, werden wohl gut bis zu 40 % der Umsätze an der Frankfurter Börse automatisiert getätigt. Hochfrequenzhandel und seine Folgen sind also wohl in jedem Fall ein „Marktfaktor“.
Weiterführende Links
- Vergleichsrechner für Depotanbieter
- Welche Aufgaben hat die Börsenaufsicht?
- Dirk Müller zu Hochfrequenzhandel (HFT)
- Was sind die Vor- und Nachteile einer Stop Loss Order?
- Was ist ein Future?
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