Im vorangegangenen zweiten Teil unserer Serie haben wir uns mit den grundlegenden Strategien befasst, die uns als Privatanleger für ethisches und nachhaltiges Investieren und für das Fördern einer umfassenden „Nachhaltigkeitswende“ zur Verfügung stehen: Desinvestition, gezieltes Investieren, gezieltes Engagement und gezielte Stimmrechtsausübung sowie Impact Investing. Eine Frage bleibt dabei aber immer noch offen: Wie kann ich als Privatanleger überhaupt abschätzen, welche Unternehmen nachhaltig, ethisch und moralisch vertretbar agieren? Welche Unternehmen oder welcher Marktbereich sind ein Investment „wert“, wenn es um Nachhaltigkeit geht? Genau dieser Frage widmen wir uns in diesem Teil der Serie.
Die Schwierigkeit der Bewertung
Gerade bei sehr großen Konzernen mit vielen Tätigkeitsfeldern hat man als Außenstehender und insbesondere als Privatanleger bereits ziemliche Schwierigkeiten einzuschätzen, wie nachhaltig und nach welcher Höhe von moralischen und ethischen Maßstäben das Unternehmen tatsächlich arbeitet und wirtschaftet.
Dazu kommt, dass gerade wichtige Schlüsseltechnologien sowohl zum Nutzen der Menschheit als auch zu ihrem Schaden eingesetzt werden können – kaum jemand weiß etwa, dass man beispielsweise auch Siemens zu den Rüstungskonzernen zählen muss – gerade erst vor Kurzem hat das Unternehmen angekündigt, in diesem Bereich seiner Tätigkeit endlich „sauberer“ werden zu wollen. Das war zumindest ein Versprechen. Für alle, die Rüstungsproduktion und die Herstellung von Kriegsgeräten grundsätzlich ablehnen (gewalttätige Konflikte gibt es schließlich wirklich schon genug, man muss sie nicht unbedingt auch noch durch die Verfügbarkeit von immer neuem Kriegsmaterial anheizen), fällt Siemens also glatt durch. Zumal das Unternehmen ja quasi selbst zugibt, dass man im Bereich der „Sauberkeit“ noch einiges nachzuholen hat.
Das ist nur ein Beispiel, dem man auch andere große Unternehmen wie MAN, Airbus und Thyssen-Krupp an die Seite stellen darf. Auch sie gehören zu den Rüstungsunternehmen. Umso nachdenklicher stimmen kann dann auch, dass die frischgebackene deutsche Verteidigungsministerin die Auffassung vertritt, Rüstungsexporte aus Deutschland sollten auf keinen Fall generell verboten werden, sie persönlich wollte noch vor Kurzem „Rüstungspartnern bei den strengen deutschen Exportregeln entgegenkommen“. Allein wem es um die Nicht-Unterstützung der Produktion von Kriegsmaterial oder Rüstungsgütern geht, hat also schon einmal eine sehr große schwarze Liste für seine Investments, die in Zukunft durch das „Entgegenkommen“ verschiedener politischer Akteure wohl nur noch länger wird, da noch mehr Unternehmen in diesem Bereich auf gute Gewinne hoffen werden.
Bewertung in drei Dimensionen
Wenn man sich an die Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen für eigene Investments macht, kann man das in mehreren Dimensionen tun:
1. Die eigene Weltanschauung
2. Objektive Kriterien der Finanzwirtschaft
3. persönliche Kriterien für die Förderungswürdigkeit
Die erste Dimension ist dabei wahrscheinlich die wichtigste – und gleichzeitig die grundlegende. Einige wollen grundsätzlich nichts unterstützen, was mit Krieg und Gewalt zu tun hat. Andere wollen zusätzlich auch keine Industrie oder Branche unterstützen, die Umweltzerstörung betreibt oder natürliche Ressourcen gnadenlos und ohne an die Folgen zu denken ausbeutet. Andere legen besonderen Wert darauf, dass beim Wirtschaften niemand mitleidlos einfach nur ausgebeutet wird, dass keine Kinderarbeit im Spiel ist und dass das Unternehmen dafür Verantwortung übernimmt, dass in den Produktionsländern wenigstens die grundlegendsten sozialen Mindeststandards unverbrüchlich eingehalten werden.
Wer alles das gemeinsam fordert, kann höchstwahrscheinlich alle großen und bekannten Konzerne der Welt schon einmal direkt auf seine schwarze Liste setzen. Während die einen armen Menschen in Afrika ihre letzten Wasserreserven klauen, um ihnen das abgefüllte Wasser dann zu Preisen zurück zu verkaufen, die sich nur die Reichsten leisten können, betreiben andere riesige Anbauflächen in Dürregebieten und bauen Dinge an, für die Unmengen an Wasser verschwendet werden müssen – einfach weil dort gerade billig produziert werden kann. Wieder andere vermarkten mit viel Werbedruck ach so gesunde Superfoods, für die man dann entweder den halben Regenwald abholzen oder irgendwo eine Menge Menschen ausbeuten muss – das Argument lautet dann häufig, „man verschaffe den Menschen in der Region Arbeit“. Dass man das super-gesunde Zeug dann auch noch um den halben Erdball karren muss, damit hierzulande ein paar ihr Müsli aufwerten und sich einreden können, sie würden nun nie mehr krank, scheint niemanden wirklich zu stören.
Wer seine Werte wirklich mit Nachdruck vertreten will und sehr hohe Ansprüche an Nachhaltigkeit hat, wird wahrscheinlich in sehr großem Stil Deinvestition betreiben müssen – und dafür für gezieltes Investment nur eine kleine Menge handverlesener Investitionsmöglichkeiten finden. Das ist nun auch nicht wertend gemeint – es ist durchaus sehr sinnvoll, nach echter und wirklich belastbarer Nachhaltigkeit zu streben, anstatt sich mit faulen Kompromissen und halb erlogenen Versprechungen und Beteuerungen zufrieden zu geben.
Objektive Kriterien der Finanzwirtschaft
Verbindliches, objektives Kriterium für die Finanzwirtschaft ist der ESG-Ansatz. Er hat sich weithin durchgesetzt und wird generell auch als Bewertungsmaßstab anerkannt. Zudem verwenden ihn auch viele Rating- und Research-Agenturen als Ansatzpunkt für ihre Bewertungen.
Die Buchstaben ESG stehen dabei für (E) Environment, also Umwelt und ökologische Aspekte, (S) für Social, also soziale und gesellschaftliche Aspekte und (G) für Governance, also die Art der Unternehmensführung. Das deckt immerhin die wichtigsten Aspekte der Nachhaltigkeit beim unternehmerischen Wirtschaften ab.
Dennoch muss man sehen, dass es sich dabei nur um eine grundlegende Bewertungsformel handelt, die häufig viele Einzelaspekte des Wirtschaftens unberücksichtigt lässt. Zudem ist bei Unternehmen vor allem das moderne Risikomanagement der Grund, warum ESG-Aspekte heute vermehrt beachtet werden – damit werden allerdings nur die potenziellen materiellen Auswirkungen für das Unternehmen selbst in den Fokus gerückt.
Aus Anlegersicht stellt eine positive ESG-Bewertung einer Anlageform möglicherweise einmal einen unverzichtbaren Startpunkt dar, um sich mit einem Unternehmen näher zu beschäftigen – mehr aber auch nicht. Die eigenen Werte und Anschauungen sollte man nicht unbedingt gleich den ESG-Ratings von irgendjemandem unterordnen, sondern immer kritisch prüfen, ob sich Unternehmensgegenstand, Unternehmensführung und Marktbereich auch mit den persönlichen Anschauungen vereinbaren lassen. Wer weiß, dass die weltweite Zementproduktion einer der größten CO2-Verursacher auf unserem Planeten ist und zudem eine Vielzahl hoch problematischer Giftstoffe erzeugt, wird sich von keinem noch so positiven ESG-Rating wirklich beeinflussen lassen, sondern sein Geld doch lieber in ein Unternehmen stecken, das Möglichkeiten zur Herstellung von zementfreien Betonen erforscht (die gibt es tatsächlich).
SRI – Socially Responsible Investment
Dieses Kriterium ist nicht ganz so exakt geregelt wie die ESG-Kriterien, dafür aber auch häufig deutlich weiter gefasst. SRI-Bewertungen untersuchen in manchen Fällen bis zu 200 oder sogar 300 einzelne soziale, ökologische und ethisch-moralische Kriterien, um zu einer Bewertung einer Kapitalanlage zu gelangen. Wie umfassend die Bewertung am Ende tatsächlich erfolgt, kann im Einzelfall dann allerdings unterschiedlich sein.
Nach einer anderen Lesart der Abkürzung wird der Bewertung auch oft das Begriffspaar „Sustainable und Responsible“ hinterlegt, um die nachhaltigen und ethisch verantwortungsvollen Kriterien bei der Bewertung noch weiter in den Vordergrund zu rücken. Der europäische Branchenverband für nachhaltiges Investieren (Eurosif) ist dagegen schon früh dazu übergangen, zwischen einem strengen Kern-SRI und einem etwas weniger streng gefassten „breiten SRI“ zu differenzieren. Allein die Ansicht aber, welche Kriterien nun zu welchem SRI gehören sind und waren innerhalb Europas bereits stark umstritten.
Im Gegensatz zum ESG-Ansatz mit seinen meist recht einheitlichen Kriterien ist der SRI-Ansatz je nach Zusammenstellung also zum Teil sehr unterschiedlich, was die Bewertungen nur schlecht vergleichbar und damit auch nur sehr wenig aussagekräftig macht. Der Vollständigkeit halber haben wir allerdings auch den SRI in diesem Beitrag erwähnt.
Persönliche Kriterien für die Förderungswürdigkeit
Ganz grundsätzlich sollte man als Investor – und das gilt ganz uneingeschränkt auch für Privat- und Kleinanleger – die persönlichen Werte und Kriterien immer an die oberste Stelle setzen.
Knapp zusammengefasst könnte man sagen:
„Investiere dein Geld ausschließlich in die Welt, die du morgen haben möchtest“
Wer daran glaubt, dass Elektrofahrzeugen die Zukunft gehört, sollte sein Geld dorthinein investieren – und nicht in VW-Aktien. Wer glaubt, dass ökologische Landwirtschaft weltweit der einzig gangbare Weg in die Zukunft ist, sollte seine Investments in diesem Bereich planen. Was uns wichtig und was weniger wichtig ist, sollten wir allein selbst entscheiden – und zu dieser Entscheidung dann auch bei unseren Investitionsentscheidungen stehen.
Auf diese Weise wird das Investieren etwas zutiefst Demokratisches, ein Ausdruck von echter Meinungsfreiheit und von dem Willen als Menschen unsere Zukunft zu gestalten und aktiv in die Hand nehmen und gestalten zu wollen. Das selbstbewusste Treffen von Finanzentscheidungen beim Investieren ist noch demokratischer als eine Wahlveranstaltung in einem Staat. Wir haben die absolute Freiheit, uns so zu entscheiden, wie wir persönlich wollen, wir können unsere eigenen Prioritäten setzen, was wir für die Zukunft als besonders wichtig erachten – und wir brauchen niemals zwischen lediglich vier einigermaßen gleich schlechten und gleich schlecht funktionierenden Alternativen wählen. Beim Investieren sind wir völlig frei in unserer Entscheidung. Nur müssen wir – wie in jedem demokratischen System – diese Freiheit auch nutzen und Entscheidungen nach profundem Wissen und nach eigenem Gewissen treffen. Wer will, dass es so nicht weitergeht, muss diesen Willen auch durch die von ihm getroffenen Finanzentscheidungen und Investitionsentscheidungen deutlich kundtun. Wir müssen als Investoren AKTIV werden.
Im vierten Teil unserer Beitragsserie wollen wir uns – nach diesem allgemeinen Überblick – dann endlich konkreten Auswahlstrategien für das eigene Portfolio widmen und anhand von einigen Beispielen zeigen, wie eine konkrete, auf Nachhaltigkeit basierende Auswahl von Anlagemöglichkeiten in der Praxis aussehen kann. Auch unter Einbeziehung von bewährten Ansätzen wie Best-in-Class oder Best-in-Progress. Dazu werden wir Ihnen eine umfassende Liste an die Hand geben, auf der Sie konkrete und sinnvolle Ausgangspunkte für wirklich nachhaltige Investmentmöglichkeiten finden und für sich persönlich auswählen können. Bleiben Sie also dran – im nächsten Beitrag geht es in die Praxis.