Die Eurokrise hat die EU schwer gebeutelt – und hat sie immer noch im Griff. Nicht wenige EU-Staaten stehen mit ihrer Verschuldung gefährlich nah am Abgrund und das trotz niedriger Zinsen. Und von einer brummenden Konjunktur kann in vielen Bereichen des Euro-Raums kaum eine Rede sein. Den Eurobonds als Sicherheitsnetz und als Erleichterungsmaßnahme für schwer verschuldete Staaten hat man innerhalb der EU schon 2012 eine klare Absage erteilt, allen voran Deutschland. Nun macht es den Eindruck, als würden quasi durch die Hintertür doch Europa-Anleihen in einer anderen Form kommen. Antreiber ist in diesem Fall die EU-Kommission.
Staatsanleihen – und wie sie funktionieren
Das Prinzip von Staatsanleihen ist im Grunde recht einfach: der Staat leiht sich bei seinen eigenen Bürgern Geld. Die haben in der Regel welches – und auch ein Interesse daran, ihr Geld anzulegen.
Wie bei einem gewöhnlichen Darlehen geben die Bürger dem Staat eine beliebige Summe für eine festgesetzte Zeit (meist fünf oder zehn Jahre). Es wird ein „Vertrag“ ausgestellt und am Ende der Laufzeit zahlt der Staat seine Schuld beim Bürger zurück – nebst zuvor vereinbarten Zinsen.
Hier entsteht eine Win-Win-Situation: der Staat kommt über seine eigenen Bürger an Mittel, um Investitionen tätigen zu können – der Bürger erhält eine sichere Anlagemöglichkeit für sein Vermögen und vertraglich zugesicherte Zinsen für seine Anlage. Und er kann sowohl mit der Rückzahlung als auch mit den vereinbarten Zinsen fest rechnen. Alles also eine sehr gute Sache soweit.
Allerdings sollte man bei jedem Darlehen auch immer darauf achten, wem man sein Geld leiht. Nicht jeder Schuldner ist ein guter Schuldner – manche haben schon so viele Schulden angehäuft, dass ihnen Rückzahlungen sehr schwer fallen und dass durchaus das Risiko besteht, dass sie ihre Schulden möglicherweise irgendwann nicht mehr zurückzahlen können.
Wie bei gewöhnlichen Bankkrediten auch, greift auch hier das Risiko-Zinsen-Verhältnis: Hat ein Schuldner eine geringere Bonität, wird die Bank beim Kreditangebot die Zinsen nach oben schrauben, um das eigene höhere Risiko abzudecken. Das funktioniert auch nach dem gleichen Prinzip, wenn ein Staat der Schuldner ist – je höher das mögliche Ausfallrisiko, desto höher auch die Zinsen, die der Markt bei der Geldbeschaffung verlangt.
Umgekehrt gilt das genauso: Wenn ein Staat eine besonders gute Bonität aufweist und man sich sehr sicher ist, dass er seine Rückzahlungen auch leisten kann, besteht auch mehr Nachfrage nach solchen hochsicheren Anlagemöglichkeiten mit einer garantierten Rückzahlung und garantierten Zinsen. Durch die hohe Nachfrage kann der Staat die Zinsen nach unten drücken, da sowieso eine hohe Nachfrage danach besteht, dem Staat das Geld hinterher zu werfen. Besonders Pensionskassen und Rentenversicherungen sind auch darauf angewiesen, einen großen Teil ihres Geldes in sogenannte festverzinsliche Anleihen zu stecken. Das kann so weit gehen, dass die Zinsen sogar in den negativen Bereich rutschen – in diesem Fall müssen Anleger dann bereits dafür zahlen, dass sie ihr Geld so sicher parken dürfen, wie jüngst wieder einmal bei der deutschen Bundesanleihe. Den institutionellen Anlegern, die vom Gesetz her zu einem gewissen Prozentsatz an festverzinsliche Anlageformen gebunden sind, bleibt dann auch nichts anderes übrig – daher sinkt die Nachfrage auch nicht, trotz Negativ-Zinsen. Erfahrungsgemäß flüchtet auch eine große Zahl an Bundesbürgern in unübersichtlichen Marktlagen und bei drohenden Wirtschaftskrisen in die „sicheren“ Bundesanleihen – und drücken durch diesen Run dann die Zinsen noch weiter nach unten (wie wir in einem unserer letzten Beiträge schon berichtet haben, tun sie damit genau das Falsche und ihrem Vermögen auf keinen Fall etwas Gutes).
Staatsschulden und Geldbeschaffungskosten
Mit der Staatsverschuldung in der EU sieht es nicht so rosig aus, wie uns immer gern glauben gemacht wird. Viele EU-Staaten befinden sich in einer äußerst prekären Lage, wenn es um die Schuldensituation geht. Wir reden hier nicht nur von Italien und Griechenland – das trifft durchaus auch andere.
Das Problem bei der Sache ist, dass solche Staaten bereits hohe Zinsen in Kauf nehmen müssen, wenn sie sich auf den internationalen Märkten Geld besorgen wollen – wegen der bereits bestehenden hohen Schulden und dem hohen Ausfallsrisiko – Italien musste jüngst sogar bis zu 40 % Zinsen in Kauf nehmen.
Wenn zu den von den Gläubigern erwarteten Rückzahlungen dann auch noch hohe Zinszahlungen kommen, belastet das angeschlagene Staatsfinanzen natürlich noch einmal deutlich. Auch wenn das Kapital nicht zurückgezahlt wird, müssen doch zumindest die Zinsen bezahlt werden. Da immer neue Kredite aufgenommen werden, steigt die Verschuldung damit natürlich immer weiter.
In der nachfolgenden Tabelle können Sie einmal einen Blick auf die aktuelle Schuldenquote einiger europäischer Länder werfen – sie sind in % BIP angegeben, also bezogen auf die Wirtschaftsleistung des jeweiligen Staates. Zahlen ab 2018 sind Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF).
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Liste_europ%C3%A4ischer_L%C3%A4nder_nach_Staatsschuldenquote
Nicht berücksichtigt ist dabei die sogenannte „verdeckte Staatsverschuldung“, also alle Zahlungsverpflichtungen, die ein Staat an seinen Beamtenapparat, an Kranken- und Rentenversicherungen und an anderen Ausgaben hat und für die keine Deckung durch vorhandenes Kapital besteht, sondern die aus laufenden Mitteln bestritten werden müssen. Es handelt sich dabei ebenfalls um Schulden im klassischen Sinn, weil sich diese Zahlungsverpflichtungen natürlich summieren und der Staat ihre Deckung garantiert. Würde man das mit einrechnen, läge die Verschuldung noch deutlich höher.
Bei all diesen Zahlen ist zu bedenken, dass nach den Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrags die Schulden eines Staates nicht höher liegen dürfen als 60 % des BIP. Über diesen Wert sind viele Staaten der EU bereits deutlich hinaus – und der Rest doch oft recht knapp dran.
Euro-Bonds als Lösung?
Die Idee nach der Wirtschafts- und Schuldenkrise in Europa war, gerade angeschlagenen Staaten die Möglichkeit zu geben, sich mit weniger hohen Kosten Kapital beschaffen zu können. Dafür sollten die Staatsanleihen aller EU-Staaten gebündelt werden – das Gesamtpaket hätte damit eine höhere Bonität als die einzelne Staatsanleihe eines schuldengeplagten oder gar hoch überschuldeten Staates.
Damit könnten sich hoch verschuldete Staaten zu deutlich geringeren Kosten Geld beschaffen, die niedrigeren Zinsen würden die Staatsfinanzen weniger stark mit Ausgaben (Zinszahlungen) belasten und damit Gelder für Sanierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen frei machen, um den Schuldenstand langfristig abbauen oder zumindest deutlich reduzieren zu können.
Der Nachteil einer solchen Konstruktion liegt aber auf der Hand: die Staaten mit einer stabilen Wirtschaft und einer niedrigen Verschuldungsquote würden in einer solchen gebündelten Anleihe zumindest für einen Teil der Schulden anderer Staaten mithaften und müssten auch die Zahlungsausfälle eines hoch verschuldeten Staates mit abdecken. Im Falle von großen Staaten – wie etwa Italien, der drittgrößten Volkswirtschaft der EU – wäre das Übernehmen des Ausfalls für jeden anderen EU-Staat aber ein enormes finanzielles Risiko und eine gewaltige Last – selbst für Deutschland.
Das praktisch gleichmäßige Verteilen des Schuldenrisikos einzelner Staaten auf die gesamte Euro-Gemeinschaft ist also aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ganz unproblematisch. Dazu darf angenommen werden, dass, wenn alle Staaten für die hohen Schulden eines Einzelstaats haften, bezweifelt werden darf, dass das die Haushaltsdisziplin und die Motivation zur Sanierung der Schuldenlage beim betroffenen Einzelstaat wirklich erhöht. Angesichts der Erfahrungen, die wir in den letzten Jahrzehnten damit gemacht haben, wie Regierungen mit dem Schuldenstand eines Staates umgehen, dürfte eher das Gegenteil eintreten.
Aus diesem Grund wurde den sogenannten Euro-Bonds sehr früh eine Absage erteilt, besonders laut von Deutschland, das als stabilste Volkswirtschaft in der EU vermutlich die Hauptlast der Haftung träfe.
Neue Euro-Bonds unter anderem Namen?
Wie man aus der Tabelle unter obigem Link sehen kann, werden sich Prognosen zufolge die Schuldenstände auch in den nächsten Jahren nicht drastisch verändern – insbesondere bei den schuldengeplagten Ländern mit hoher Verschuldung kann sich das Risiko auch schnell noch verschärfen.
Jüngst kam die EU-Kommission deshalb mit einem neuen Vorschlag an: Man könnte doch, so die Kommission, die Staatsanleihen aller EU-Staaten bündeln und als eigene Finanzprodukte handeln. So wie sich die EU-Kommission das in diesem Fall vorstellt, sollen dabei rund 70 % erstklassige Staatsanleihen in diesem Bündel vorhanden sein und 30 % Papiere mit höherem Ausfallsrisiko. Das Ganze läuft unter dem Begriff „European Safe Bonds“ – oder im Finanzjargon „Esbies“.
Die EU-Kommission plant dabei keine Haftung im Hintergrund – das Risiko geht in diesem Fall auf den Anleger über, nicht auf die einzelnen Staaten. Durch die Bündelung soll erreicht werden, dass mehr Investoren in italienische und griechische Staatsanleihen investieren – was aus verständlichen Gründen im Moment eher nur wenige tun.
So weit so löblich – allerdings hat der Entwurf schon einige Schwachpunkte: Viele Experten sehen die Esbies als einen Weg, am Ende doch Euro-Bonds durchzudrücken – die Esbies wären in diesem Fall gewissermaßen nur der Einstieg. Darüber kann man geteilter Meinung sein – ein gewisses Risiko besteht allerdings tatsächlich.
Ein anderer wichtiger Kritikpunkt an dieser Form von Anlagen ist, dass gerade bei großen Ländern wie Italien durch die 70:30 Verteilung nur ein Teil der Staatsanleihen in Esbies eingebaut werden kann. Der verbleibende Rest würde von Anlegern dann – im Vergleich zu Esbies – noch als deutlich unsicherer bewertet werden und die Zinsen für diese Rest-Anleihen würden möglicherweise noch deutlich steigen – was die italienischen Staatsfinanzen noch mehr ins Wanken bringt, weil die Finanzierungskosten noch weiter steigen. Zusätzlich haben in Italien die Banken einen hohen Teil der Staatsanleihen. Gibt es hier Ausfälle, geraten die in Italien immer noch verstaatlichten Banken unter Druck. Mit der Folge, dass ein Teufelskreis ins Laufen kommt, der sich durchaus weithin über Europa ausbreiten könnte.
Und ob Esbies ein ausreichendes Mittel wären, um eine größere Krise tatsächlich abzuwettern, bleibt fraglich. Bei einer Pleite Italiens oder einer anderen großen Volkswirtschaft geraten unweigerlich auch andere Länder mit unter Druck – ob die „stabilen“ Volkswirtschaften bei sich verschärfenden Situationen dann tatsächlich in der Lage sein werden, die Verluste mit ihrer Leistung aufzufangen, bleibt eher fraglich. Sollte es hier Zweifel geben, führt das zu Zweifeln an der Sicherheit der Esbies – und deren Zinsen könnten steigen. Damit wäre die Zinsensituation für alle Länder wiederum ungünstiger.
Am Ende läuft es – allen Versuchen zu kreativen Finanzkonstruktionen zum Trotz – eben auf die Frage hinaus, ob Europa in währungspolitischer Hinsicht tatsächlich zusammenstehen will und die Risiken eines einzelnen auf alle verteilen will – selbst wenn sich dieser einzelne keine große Mühe gibt, seine maroden Staatsfinanzen zu sanieren. Es ist eine Grundsatzfrage in einer solchen währungspolitischen Institution – und so lange die Antwort darauf von der Mehrzahl der Staaten klar „Nein“ lautet, sollte das auch eine EU-Kommission akzeptieren. Die Frage, die es dann zu klären gibt, lautet allerdings, wie man gedenkt, einzelne Länder davon abzuhalten, mit waghalsigem Schulden-Hazard sich selbst und möglicherweise halb Europa mit in den Untergang zu reißen. Diese Frage muss man wohl aber eher politisch als währungspolitisch beantworten – möglichst bald wäre gut.
Esbies: Kommen die Eurobonds nun durch die Hintertür?,
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