In der letzten Zeit – und ganz besonders im letzten Jahr – konnte man ein interessantes Phänomen bei den Hauptversammlungen von Aktien-Unternehmen beobachten: Sie waren plötzlich deutlich besser besucht als je zuvor. Auch viel mehr Kleinanleger haben sich auf den Weg gemacht, um die Hauptversammlungen zu besuchen. Das finden wir ganz grundsätzlich eine sehr begrüßenswerte Sache, Rechte sind nun einmal dazu da, um auch tatsächlich davon Gebrauch zu machen.
Dennoch stellt sich aber die Frage nach den Gründen, die dahinterstecken. Ist es vor allem Unzufriedenheit? Womit? Und: Welche Kritik ist wo angebracht und worüber sollte man noch nachdenken? Wir sind diesen Fragen nachgegangen.
Monsanto als Startschuss?
Um es einmal kurz und knapp auf den Punkt zu bringen: Mit der Arbeit des Vorstands von Bayer sind sehr viele nicht mehr zufrieden. „Ganz und gar nicht zufrieden“ trifft es wohl eher. Der Missmut der Anleger ging sogar soweit, dass man – das erste Mal in der Geschichte der DAX-Unternehmen – dem Unternehmensvorstand in der Hauptversammlung die Entlastung verweigerte. Das ist geradezu unerhört. Zur Hauptversammlung des Bayer Konzerns hatten sich auch rekordverdächtig viele Investoren bemüht.
Streit- und Kritikpunkt war – das ist einleuchtend – Monsanto. Bayer hat enorm viel Geld in die Übernahme des Riesenunternehmens gesteckt – und ist damit ziemlich auf die Nase gefallen. Finanziell und wohl auch moralisch.
Man kann nachvollziehen, dass insbesondere Privatanleger ein echtes Problem mit einem Unternehmen haben, auf das immer mehr Klagen zukommen, weil seine Produkte Krebs verursacht haben sollen. Dabei handelt es sich einerseits um Pestizide und Spritzmittel für die industrielle Landwirschaft, aber andererseits auch in gar nicht geringem Umfang für die kleinen Gärten kleiner Leute. Glyphosat, der Name der untrennbar mit Monsanto verbunden ist, ist ein seit Jahren sehr umstrittenes Produkt – immer mal wieder soll es verboten werden, bis die Politik es dann am Ende doch immer wieder zulässt und sich gebetsmühlenartig darauf beruft, dass es „keine Studien gibt, die belegen, dass es eine krebserregende Wirkung hat“. US-Gerichte bewerten das durch die Bank anders – und sprechen den Geschädigten immer wieder wahre Rekordsummen als Schadenersatz zu.
Vorwurf an Bayer: Mangelndes Risikobewusstsein
Die bedrückende Dimension ist allerdings weniger eine moralische oder eine weltgesundheitliche – sondern schlicht eine finanzielle: Man kann Bayer, vielleicht zu Recht, vorwerfen, nicht genügend hingesehen zu haben vor der Übernahme, das Risiko ignoriert und die wirtschaftlichen Folgen nicht bedacht zu haben, als man sich diesen nun mittlerweile recht übel riechenden Klotz ans Bein gebunden hat.
Das haben die Anleger – sowohl private als auch eine ganze Reihe von institutionellen Investoren – mit der Verweigerung ihrer Entlastung des Vorstands deutlich abgestraft. Das war eine klare rote Karte.
Zwei Drittel des Kapitals auf den Hauptversammlungen
Einer jüngst durchgeführten Studie zufolge waren in diesem Jahr mehr Anteilseigner auf den Hauptversammlungen zugegen als je zuvor. Mit 67 % waren bei den DAX-Unternehmen mehr als zwei Drittel des Kapitals zugegen – und äußerten, falls nötig, auch klar ihren Unmut.
Etwa bei der Deutschen Bank, wo bei der Abstimmung deutlich weniger für eine Entlastung des Vorstands stimmten als noch im Vorjahr – der Unmut unter den Anlegern wächst also.
Mit Bayer ist wahrscheinlich eine Hemmschwelle überschritten worden – irgendwie scheinen es Anleger nun plötzlich auch für möglich zu halten, einen Vorstand auch einmal nicht zu entlasten – und so ein klares Zeichen zu setzen. Zuvor haben sich viele einfach nicht getraut, tatsächlich „Nein“ zu sagen. Mit diesem Überschreiten einer Linie ist aber immerhin der Weg für eine ehrliche und ernst gemeinte – und vor allem klar geäußerte – Kritik plötzlich offen, so scheint es zumindest.
Mehr Kritik als je zuvor – was sollte sich ändern?
Was man dieses Jahr auch deutlich merkt, ist die Unzufriedenheit der Investoren mit sehr vielen Vorständen und der Art ihrer Unternehmensführung. Die Kritik erkennt man weitestgehend allerdings nur an der Zustimmungsquote für die Entlastung und vielleicht an einigen vereinzelten Kommentaren von Anlegern oder institutionellen Investoren.
Womit die Anleger unzufrieden sind, lässt sich gar nicht so genau festmachen. Immerhin schütten die deutschen DAX-Konzerne vergleichsweise enorm hohe Dividenden aus – deutsche Unternehmen kommen zusammengenommen dabei auf mehr als 50 Milliarden Euro. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sie auch enorm gute Erträge erwirtschaften müssen, dass die Lage für sie also günstig ist. Der warme Dividendenregen und die positive Ertragssituation für die großen Konzerne sollten Anleger eigentlich eher freuen. Daran gibt es aus Anlegersicht ganz bestimmt nichts zu kritisieren, wenn das Geld geradezu ins eigene Anlageportfolio regnet – oder vielleicht doch?
Die Frage lautet: Ist es tatsächlich die richtige Zeit für den Geldregen?
Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob es im Augenblick wirklich die Zeit dafür ist, mit riesigen Dividenden um sich zu werfen und vor allem die Anleger glücklich zu machen – oder ob es nicht viel eher an der Zeit wäre, massive Investments zu tätigen und sich für die kommende Zukunft zu rüsten. Ganz Deutschland und das betrifft vor allem auch die Unternehmen, hinkt bei der Digitalisierung meilenweit hinterher, befindet sich schon nahezu an der Grenze zum Abgehängtwerden. Auch im Hinblick auf den wirklich dringend nötigen ökologischen Wandel, hin zu einer umweltverträglicheren Wirtschaft sind zahlreiche Investitionen nötig. Das (jetzt noch) satt erwirtschaftete Geld sollte man, anstatt es mit vollen Händen auszuschütten, vielleicht doch lieber in eine Konsolidierung des eigenen Unternehmens, in eine Stärkung für die Zukunft und vor allem in neue Projekte stecken, die das Unternehmen voranbringen.
Genau das mag es auch sein, was viele Anleger kritisieren – dass Unternehmen irgendwie jubelnd und feiernd auf den Untergang zusteuern, weil sie in der positiven Ertragslage keine Veranlassung dafür sehen, etwas auf den Weg zu bringen. Das kann bei einzelnen Aktionären schon etwas Unmut hervorrufen. Dafür sprechen auch die Zahlen bei den verlorenen Zustimmungswerten.
Inwieweit das zutrifft, hängt natürlich auch immer vom einzelnen Unternehmen ab – man kann das nicht allen vorwerfen. Bei manchen gibt es durchaus auch eine Vielzahl anderer Gründe, sich ihnen gegenüber kritisch zu verhalten.
Auch Kleinanleger haben eine Stimme
Nicht nur, wenn es um DAX-Konzerne geht. Auch als Kleinanleger kann man sein Stimmrecht wahrnehmen – es ist das verbriefte Recht, das man als Anteilseigner immer hat. Und das Argument, das bei Wahlen auch oft so vorgebracht wird – „ich kann doch eh nichts bewirken“ – ist auch hier falsch. Wenn nämlich die Hälfte aller anderen Anleger das Gleiche denkt – wird tatsächlich kein Druck mehr ausgeübt.
Unserer Ansicht nach haben alle Aktionäre nicht nur ein Stimmrecht – sondern auch eine Verantwortung. Die Verantwortung dafür, kritisch hinzusehen und mit der eigenen Stimme klar für einen vernünftigen Weg einzutreten und unvernünftigem Handeln durch ein klares „Nein“ mit der eigenen Stimme Einhalt zu gebieten.
Natürlich müssen wir dabei auch immer mit etwas Augenmaß agieren – eine Verweigerung der Entlastung ist ein sehr hartes Mittel im Bereich des Protestes, das, im Übermaß angewandt, auch eine Menge Schaden anrichten kann. Es geht nicht darum, Unternehmensvorstände zu „bekämpfen“ – sondern es geht um Vernunft. Um unternehmerische Vernunft, aber auch um eine vernünftige Geschäftspolitik. Dafür sollten wir mutig eintreten, notfalls aber auch klar und deutlich unser VETO in den Raum werfen.
Kleinanlegern und Privatanlegern gibt auch die DSW (Deutsche Schutzvereinbarung für Wertpapierbesitz) eine laute und deutliche Stimme. Sie ist jährlich auf rund 700 Hauptversammlungen zugegen und setzt sich satzungsgemäß vor allem für die Interessen von kleinen und privaten Anlegern ein. Zumindest für die Arbeit der DSW sollte man sich als Privatanleger interessieren – und sie gegebenenfalls auch auch als Interessensvertretung für die eigenen Interessen wahrnehmen. (www.dsw-info.de).
Fazit: Unser persönliche Verantwortung bleibt
Wir haben als Anleger nicht nur die Pflicht, verantwortungsbewusst zu handeln, sondern auch für verantwortungsbewusstes und unternehmerisch nachhaltiges Handeln von Unternehmen klar einzutreten. Dafür haben wir unser Stimmrecht – und das sollten wir auch nutzen. Ansonsten dürfen wir uns später nicht beklagen, wenn etwas unseren Interessen ganz und gar zuwiderläuft – und wir noch nicht einmal die Chance genutzt haben, „Nein“ zu sagen.
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