Auch jetzt noch, viele Jahrzehnte danach, wird immer wieder darauf verwiesen: auf das berühmte, deutsche Wirtschaftswunder. Meistens im Zusammenhang damit, dass die Deutschen ja so fleißig seien, und die deutsche Wirtschaft so leistungsfähig, weil sie von unermüdlich arbeitenden, hoch fähigen Menschen Tag und Nacht angetrieben wird. Die Mär wird noch immer kolportiert – und Ludwig Erhard, der quasi als der „Begründer“ des Wirtschaftswunders in die Geschichte eingegangen ist, wird immer noch als so eine Art Heiliger der Finanzpolitik angebetet. Nüchternen Betrachtungen hält die Mär leider nicht stand. Wir liefern ein paar harte Fakten.
Das Märchen von der deutschen Großartigkeit
Das Wirtschaftswunder in Deutschland ist nicht unbedingt einer bestimmten Leistung zuzuschreiben – und auch Ludwig Erhard vertrat Ansichten und Theorien, die heute ganz sicher keiner mehr unterschreiben möchte.
Es scheint sich hier einmal mehr eine ziemlich hervorstechende Eigenschaft der Deutschen zu zeigen: Voll des Lobes auf sich selbst, mit großen Ankündigungen – und mit ebenso großer Diskrepanz zwischen Ankündigungen und (den meist recht kläglichen) tatsächlichen Ergebnissen. Aktuell kann man das auch schon beim Klimaschutz beobachten – es werden überhaupt keine Windkraftwerke mehr gebaut, der Solarstrom-Markt ist in Deutschland schon seit Jahren praktisch tot, unter dem Verlust von 70.000 Arbeitsplätzen. Die so großspurig angekündigte „Energiewende“ ist grandios im Sand verlaufen, anstatt „Vorreiter“ ist man jetzt bald Schlusslicht.
So oder so ähnlich passiert das in ziemlich vielen Bereichen – auch in der Digitalisierung oder wenn es darum geht, irgendwelche internationalen Konflikte durch eigenes Einbringen lösen zu helfen. Es wird immer groß angekündigt – und dann nicht geliefert. Selbst das deutsche „Export-Weltmeistertum“ ist eigentlich nur eine Import-Schwäche der deutschen Wirtschaft. Es wird viel weniger importiert, als eigentlich angemessen wäre, weil die Kaufkraft im Land durch eine enorme Zahl von prekären Arbeitsverhältnissen und einem riesigen Billigstlohn-Sektor unglaublich niedrig ist – und damit Importe nichts bringen, weil die meisten Deutschen sich hierzulande vieles gar nicht leisten können, was aus anderen Ländern kommt.
Das schönt natürlich die Handelsbilanz – zumindest in Zahlen. Ob man sich selbst, der Bevölkerung im Land und der eigenen wirtschaftlichen Zukunft damit tatsächlich etwas Gutes tut, wollen wir eher einmal dahingestellt lassen. Immerhin kann man sich als „Export-Weltmeister“ einmal wieder überlegen fühlen. Das dafür notwendige Selbstbewusstsein für diese überaus vollmundige Selbstüberhöhung bezieht man – immer noch – aus dem Märchen des Wirtschaftswunders und der im Schweiße ihres Angesichts bis zum Umfallen arbeitenden Deutschen, die aus einem Trümmerhaufen ein wirtschaftliches Vorzeigeland gemacht haben. Nun ja – ganz so heroisch war es leider nicht.
Die wirtschaftliche Ausgangssituation
Auch hier wird vieles übertrieben: die deutschen Großstädte lagen zwar zu einem großen Teil in Trümmern, als man sich endlich zur bedingungslosen Kapitulation durchrang – ansonsten war die Infrastruktur in Deutschland aber noch relativ unzerstört. Zum Ende des Krieges litten die meisten Deutschen auch keinen Hunger sondern waren – anders als zum Ende des Ersten Weltkriegs – noch relativ wohlgenährt. Der Krieg brachte natürlich Mangel mit sich, vor allem in den Städten – aber viele andere Kriegsteilnehmer waren deutlich schlimmer betroffen. Das erkennt man, wenn man Fotos aus den Jahren 1944 und 1945 vergleicht, die aus Großbritannien und aus Deutschland stammen. Während man in England mit echten Hungersnöten zu kämpfen hatte, sieht man den Deutschen auf Privataufnahmen kaum einen Mangel an.
Außerhalb der Städte war die Infrastruktur sehr schnell und mit wenig Aufwand wieder instandzusetzen – Schienennetze, Wasserwege und Produktionskapazitäten in den ländlichen Gebieten Westdeutschlands waren zu 80 % bis 85 % noch intakt und konnten schnell wieder genutzt werden. Auch die Arbeiten der berühmten Trümmerfrauen waren nicht heroisch und unentgeltlich – sie waren lediglich ein Billiglohnjob für alle, die sonst keinen fanden, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Billiglohnjobs, wie es später noch viele mehr geben sollte. Wer irgendwie konnte, machte das nicht. Und Frauen waren eben deshalb so häufig dort tätig, weil die Männer gefallen oder in Gefangenschaft waren. Gearbeitet hatten sie alle schon in den Rüstungswerken, weil die Arbeitskräfte gefehlt hatten. Erst die nachfolgende gesellschaftliche Revolution verbannte sie danach wieder für Jahrzehnte hinter den Küchenherd.
Nachdem die Reichsmark praktisch wertlos war, wollten deutsche Politiker sehr schnell eine Währungsreform. Das verweigerten die Besatzungsmächte zunächst, da sie keinen Sinn darin sahen, Deutschland für die verursachte Katastrophe des Zweiten Weltkriegs auch noch zu belohnen. Im Lauf der Zeit dachte man dann allerdings um und kam Ende 1947 dann zu dem Schluss, dass um einen Wiederaufbau Deutschlands kein Weg herumführte. Dabei spielten sicherlich auch im Westen Überlegungen eine Rolle, dass man nicht ganz Deutschland dem Kommunismus preisgeben wollte – und das wäre wohl unweigerlich passiert, wenn die Westmächte den Deutschen keinerlei Hoffnung gelassen hätte. Dann hätte in Deutschland wohl Stalins große Stunde geschlagen.
Die Währungsreform
Am 21. Juni 1948 entschlossen sich die Westmächte dazu, im Westen Deutschlands (der sogenannten „Trizone“) eine Währungsreform durchzuführen und die größtenteils wertlose Reichsmark und die gleichwertige Rentenmark (ebenfalls als RM abgekürzt) gegen die neue Deutsche Mark auszutauschen, damit Deutschland sich wirtschaftlich konsolidieren konnte und der blühende Schwarzmarkthandel, an dem sich auch viele Besatzungssoldaten umfassend und sehr gewinnbringend beteiligten, nicht die Oberhand unter den Wirtschaftszweigen gewinnen würde.
Grund für die Entwertung der Reichsmark, zu der die Rentenmark in einem festen Wertverhältnis von 1:1 stand, war die Wirtschaftspolitik der Nazis: Lebensmittel hatten – aufgrund der Lebensmittelmarken – festgesetzte Preise, es wurde aus den besetzten Gebieten sehr viel Geld abgeschöpft, der Geldabfluss aus dem eigenen Land durch massive Beschränkungen des Devisenverkehrs in der Kriegszeit aber verhindert. Damit sank natürlich der Wert des eigenen Geldes, weil ein enormer Geldüberschuss vorlag. Preise wurden festgesetzt anstatt auf Angebot und Nachfrage zu reagieren – und damit war der Geldentwertung natürlich Tür und Tor geöffnet. Das später ausgegebene Besatzungsgeld steigerte die im Umlauf befindliche Geldmenge noch weiter, sodass die Entwertung auch nach Kriegsende noch weiter voranschritt. Das Angebot an kaufbaren Gütern verringerte sich zu Anfang der Besatzungszeit noch weiter, Menschen horteten auch große Mengen von Lebensmitteln, obwohl das strengstens verboten war. Aufgrund dieser Situation war eine Reform der Währung irgendwann unumgänglich. Für die meisten Leute war der einzige Wert der „Ami“ – bezahlt wurde mit amerikanischen Zigaretten anstatt mit dem schon längst wertlosen Geld.
Die Westmächte entschieden, dass eine Währungsreform unumgänglich sei und tauschten deshalb die alte Reichsmark gegen eine allein gültige neue Währung – praktisch über Nacht – aus, es gab „Kopfgeld“ für die Bevölkerung und etwas Geld in der neuen Währung für die Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung. Der Umtausch alter Reichsmarkbestände in D-Mark erfolgte in einem „fallabhängigen“ Kursverhältnis. Die deutsche Regierung hatte daran keinerlei Beteiligung – sie wurde selbst von den Ereignissen überrascht. Auch Ludwig Erhard, der „Vater des Wirtschaftswunders“ wurde zuvor nicht informiert. Die Währungsreform war allein eine Idee der Besatzungsmächte und des Allierten Rates. In der sowjetischen Besatzungszone verweigerten die Sowjets gegen eine Beteiligung – sie plünderten das spätere Ostdeutschland lieber aus.
Der wirtschaftliche Aufschwung
Die neue Währung, von der nun jeder auch ein klein wenig hatte, führte sehr schnell zu einer leichten Belebung der Wirtschaft. Waren waren plötzlich ebenso über Nacht verfügbar, nun konnte man damit ja Geld verdienen. Zuvor hatte man sie gehortet und war nicht bereit, auch nur ein klein wenig an jemanden abzugeben, der wirklich Hunger litt. Die Tatsache, dass die Läden über Nacht plötzlich voll waren, zeigt, dass eigentlich genug Waren vorhanden gewesen wären – man wollte sie eben nur nicht für die kaum mehr Wert besitzende Reichsmark verkaufen. Die deutsche „Hungergeschichte“ ist also zum großen Teil eine Geschichte der Gier einzelner – und nicht der sozialen Not.
Wegen des begrenzten Kopfgelds und der spontanen Kaufbereitschaft der deutschen Bevölkerung – in nicht wenigen Fällen völlig unsinnige Luxusgüter – stiegen die Preise bereits in den ersten Monaten sehr schnell an. Als die zuvor gehorteten Güter ausverkauft waren, sank das Warenangebot schnell, da nicht so große Stückzahlen produziert werden konnten. Die Preise stiegen dadurch weiter. Erst die restriktive Kreditpolitik der Zentralbank brachte die ständigen Preiserhöhungen Anfang 1949 zum Stillstand.
Wer Sparguthaben oder Aktien besaß, erlebte nach der Währungsreform einen warmen Geldsegen mit noch weiter steigenden Kursen, gewöhnliche Sparguthaben verloren dagegen an Wert. Die Investitionsbereitschaft der Deutschen war allerdings sehr gering. Auch deutsche Unternehmen wollten keine Investitionen tätigen. Das änderte sich erst mit dem Marshall-Plan, der eine Vielzahl von sehr human gestalteten Krediten und einige Zuschüsse für deutsche Unternehmen vorsah. Das Geld von anderer Seite nahm man mehr oder weniger dankbar an, das eigene Vermögen hätte man nicht dafür eingesetzt. Langsam kam es so wieder zum Aufschwung – bisher ohne erkennbare deutsche Leistung.
Selbst gegen diese sehr wohlmeinenden Hilfen wurde an vielen Orten übrigens immer wieder demonstriert – bis hin zum Generalstreik am 12. November 1948. Selbst die Hilfe und die Geschenke waren noch zu wenig.
In den folgenden Jahren regelte man auch die Altschulden Deutschlands im Londoner Schuldenabkommen von 1953, das die Schulden Deutschlands nahezu halbierte. Auch hier war nicht Ludwig Erhard federführend, sondern der Bankier Hermann Josef Abs, der maßgeblich zum Zustandekommen des Abkommens beitrug und damit einen wichtigen Beitrag für das weitergehende Wachstum der deutschen Wirtschaft leistete. Bereits zwei Jahre später folgte das wachstumsstärkste Jahr in Deutschland überhaupt, die Löhne stiegen in nur einem Jahr um 10 % – das ist auch Abs‘ Engagement zu verdanken. Ihn kennt heute allerdings keiner mehr.
Die „hart arbeitenden“ Deutschen
Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten der Deutschen aus dieser Zeit zeigen keine höhere Durchschnittsarbeitszeit als in anderen Ländern Europas und auch keine höheren Überstundenleistungen. Gegenüber vielen anderen Ländern in Europa arbeiteten die Deutschen sogar vergleichsweise wenig. Es hat also niemand „im Schweiße seines Angesichts“ etwas „wiederaufgebaut“. Die Menschen leisteten einfach ihre Arbeitszeit ab, wie in allen anderen europäischen Ländern zu dieser Zeit auch. Da es zu dieser Zeit nirgendwo in Europa wirklich ausreichende finanzielle Sicherungssysteme für Menschen ohne Arbeit gab, musste man eben arbeiten, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das ist aber keine heroische Leistung, sondern ganz einfach eine sinnvoll funktionierende Arbeitswelt, die Gelder nur gegen erbrachte Leistung zur Verfügung stellt. Und einzelne Arbeiten mögen „schwer“ gewesen sein – das waren sie in gleichem Maß aber für Franzosen und Engländer auch. Im Bauwesen und in der Stahlindustrie ist man einfach körperlichen Belastungen ausgesetzt, egal welche Nationalität man hat.
Ludwig Erhard
Der so viel gerühmte „Vater des Wirtschaftswunders“ war als CDU-Politiker von 1949 bis 1963 deutscher Wirtschaftsminister, bis 1966 war er danach auch Bundeskanzler. Der gelernte Diplom-Kaufmann ohne Abitur studierte später doch noch und erlangte einen Doktortitel in Betriebswirtschaftslehre und Soziologie. Als das väterliche Textilwarengeschäft die Inflation nicht überlebte, ging er in die Wissenschaft und führte später das „Nürnberger Institut“ in der Zeit des Dritten Reichs zu seiner führenden Position bei der Marktforschung für Industriekunden. Eine Habilitation scheiterte Anfang der dreißiger Jahre, weil, so die Begründung, „Erhard als Nationalökonom nicht tauge, da ihm die formale Strenge und die Fähigkeit fehlen, klare und schlüssige Gedanken zu fassen und […] sie argumentativ miteinander zu verbinden.“ Das ist natürlich kein besonders gutes Zeugnis für jemanden, der später in der Politik ein „neues Wirtschaftssystem“ erfinden will. Das hat er schon mit seiner Habilitationsschrift versucht – leider war das alles zu zusammenhanglos und wirr, als dass man es als sinnvolle wissenschaftliche Arbeit hätte werten können. Wären seine Gedanken schlüssig gewesen, hätte man das auf 5 Seiten darlegen können – die Arbeit, die jeder heute nachlesen kann, umfasst allerdings 141.
Seine Ansichten, die er auch später immer wieder vertrat, sind dabei alles andere als sozial – wie man für den „Begründer der sozialen Marktwirtschaft“ eigentlich vermuten könnte. Erhards Diktum zufolge müsse der Staat immer stark lenkend in die Wirtschaft und in die Produktion eingreifen, den Einzelinteressenten in der Wirtschaft sei nicht zu trauen und sie würden die Wirtschaft ruinieren. Daneben trat er aber auch für eine Wettbewerbswirtschaft und eine Marktpreisbildung ein – das war allerdings schon 1932, in der Nazi-Zeit fand er die Zwangskartelle der Nazis begrüßenswert, da damit ein, so Erhard, „artfremder Preiskampf“ unterbunden werde. Seiner – auch späteren – Meinung nach müssten vor allem die Löhne künstlich niedrig gehalten werden, damit die Produktion wirtschaftlich bliebe, Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte waren ihm zeitlebens ein Gräuel. Seine Hauptbeschäftigung am Institut für Industrieforschung in Nürnberg war von 1942 an die Planung der Nachkriegswirtschaft nach dem „Endsieg“ der Nazis, damit beschäftigte er sich bis 1945. Seine Arbeit fand dabei große Zustimmung von SS-Gruppenführer Otto Ohlendorf, der seiner wirtschaftlichen Planung für die nationalsozialistische Nachkriegszeit unumwunden zustimmte.
Finanziert wurden diese Forschungen und Arbeiten von der Reichsgruppe Industrie, dem Wirtschaftsverband der nationalsozialistischen Regierung, der per Gesetz die Aufgabe hatte, die gesamten Wirtschaftsverbände aller Wirtschaftszweige dem „Führerprinzip“ unterzuordnen und ihre Satzungen und Gesellschaftsverträge entsprechend abzuändern und gleichzeitig für einen Zwangsanschluss aller Unternehmen und Unternehmer an die jeweiligen Wirtschaftsverbände zu sorgen. Interessante Arbeitgeber für einen späteren „Begründer der sozialen Marktwirtschaft“. Zumindest war Erhard aber in seiner Tätigkeit sehr gut bezahlt, was ihn schnell sehr reich werden ließ. Auch als wirtschaftlicher Berater bei der Integration der annektierten Gebiete in Österreich, Polen und Lothringen hatte er einen gut dotierten Posten.
Schon im Oktober 1945 wurde er von der amerikanischen Militärregierung als Staatsminister für Handel und Gewerbe in Bayern berufen, wurde aber bereits 1946 wieder abgewählt. Als Leiter der Expertenkommission, die eine Währungsreform mit vorbereiten sollte, hatte er zumindest einen kleinen Überblick über das Geschehen. Kurz danach erhielt er seine lang ersehnte Professur zumindest als Honorarprofessor an der Uni München und an der Uni Bonn. Die FDP schlug ihn 1948 dann als Direktor für die Verwaltung für Wirtschaft des vereinigten Wirtschaftsgebiets vor, wo er die Wirtschaftspolitik in den westlichen Besatzungszonen lenken sollte. Von der Währungsreform setzte man ihn überhaupt erst fünf Tage zuvor in Kenntnis – entscheiden durfte er dabei selbstverständlich nichts.
Seine Wirtschaftspolitik erwies sich anfangs als nicht besonders erfolgreich – andere Länder ohne Währungsreform konnten das durch sinnvolle Wirtschaftslenkung deutlich besser. Ein Verdienst, der seiner Wirtschaftspolitik zuzuschreiben ist, ist ein Anstieg der Lebenshaltungskosten um 14 % innerhalb von nur vier Monaten – was am Ende auch zum von den Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreik führte. Die Aussage der Chefredakteurin der Tageszeitung „Die Zeit“ spricht dabei Bände. Sie meint, wenn das Land nicht ohnehin schon ruiniert wäre, würde dieser Mann das ganz gewiss mit seinen absurden Plänen ganz allein fertig bringen und sie gab der Hoffnung Ausdruck, dass er nie Wirtschaftsminister würde. Denn das wäre nach ihrer Auffassung die dritte Katastrophe nach Hitler und der Zerstückelung Deutschlands. Ein gefeierter Held? Damals jedenfalls sicher nicht.
Neben seinen „absurden Plänen“ versuchte er auch immer wieder durch persönliche Intervention bei den Militärbehörden die Rückgabe jüdischen, von den Nazis „arisierten“ Eigentums unbedingt zu verhindern – weil man ihn mit 12.000 DM pro Jahr fürstlich dafür entlohnte. Das entsprach etwa dem Jahresgehalt von sechs Durchschnittsverdienern zu dieser Zeit. Teure „Beraterverträge“ waren also damals schon beliebt, als noch alles in Trümmern lag.
Die schlimmsten Befürchtungen der „Zeit“ bewahrheiteten sich dann – und Erhard wurde als Wirtschaftsminister von Kanzler Adenauer in die Bundesregierung berufen. Er vertrat dabei eine ordoliberalistische Ansicht, nämlich dass der Staat den freien Wettbewerb zu lenken habe. Das Konzept stammt natürlich nicht von ihm, sondern von anderen Ökonomen. Die soziale Marktwirtschaft wurde als Konzept von Alfred Müller-Armack, einem Nationalökonomen und Professor der Uni Köln, entworfen. Seine Theorie begründete sich auf der Ansicht, dass ein „starker Staat“ wie der Nazi-Staat die Wirtschaft besser lenken könnte wie eine Demokratie nach Weimarer Muster. Wie Erhard arbeitete auch er an der Erstellung einer Wirtschaftsordnung für die Zeit nach dem „Endsieg“ – bevorzugt natürlich unter der Führung eines „starken Staates“ wie des Nazi-Regimes.
Fazit
Die Zusammenschau des deutschen Wirtschaftswunders zeigt plötzlich nur mehr sehr wenig Glanz und Gloria – es ist eine Geschichte des Notleidens Einzelner, weil andere in ihrer Gier lieber nichts verkaufen, als es zum geltenden Wert zu verkaufen. Eine Geschichte von großzügigen Geschenken durchaus wohlmeinender Siegermächte, gegen die selbst dann noch protestiert wird, wenn man davon profitiert.
Eine Geschichte von verdienten Alt-Nazis, die ihre Ideen von einer asozialen, die Löhne niedrig haltenden und die Gewerkschaften möglichst ausschließenden Wirtschaftslenkung träumen – und dann ihre Träume noch großteils in die Tat umsetzen dürfen. Hohe Produktionszahlen und niedrige Löhne sind wahrlich kein Rezept, um den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben – wie die „Zeit“ schon Ende der vierziger Jahre klar erkannte.
Es ist eine Geschichte von Menschen, die wie alle anderen in Europa jeden Tag zur Arbeit gehen, weil sie eben müssen – und sich deshalb großartig und fleißig fühlen und das noch 70 Jahre später zum Anlass nehmen, sich für besser als andere zu halten. Eigentlich ist es eine traurige Geschichte – und am traurigsten ist die Verblendung dahinter.
Man kann nur hoffen, dass die heutige CDU nur ihren „Helden“ Erhard feiert und nicht etwa auch noch seine Theorien – oder sie vielleicht gar für die ultimative Lösung in der Wirtschaftspolitik hält. Zu feiern gibt es eigentlich nichts. Deutsche, die wie alle anderen Europäer jeden Tag zur Arbeit gingen und Menschen, die lieber andere verhungern lassen, als zu wenig zu verdienen – und selbst bei Geschenken noch meckern. Das ist wahrlich nicht feierwürdig – und kein bisschen heroisch.