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Die Rauhnächte sind ein alter Mythos – den Hexensabbat gibt es aber wirklich, zumindest für Anleger

Weihnachten hatte in den ersten Jahrhunderten des Christentums kein genau festgelegtes Datum. Erst um 350 n. Chr. legte man das Fest auf das Datum des heidnischen römischen Sonnenkults, praktischerweise in die Nähe des Julfestes der Germanen im Norden rund um die Wintersonnenwende, das es schon lange vor dem Christentum gab. Danach beginnen auch im alten christlichen Glauben die „Rauhnächte“, in denen traditionell die Seelen der Verstorbenen, Geister und Dämonen als „Wilde Jagd“ umgehen, eine Zeit der Geisteraustreibung. Eine Menge Aberglauben und Mythen also, nichts wirklich Fassbares. Den Hexensabbat gibt es für Anleger dagegen wirklich – und man sollte sich auf jeden Fall vor ihm in Acht nehmen.

Was ist der „Hexensabbat“ an der Börse?

Hierbei geht es um nichts Geisterhaftes oder Magisches, sondern um ganz handfeste Kursturbulenzen. Und der Hexensabbat an der Börse findet nicht nur einmal im Jahr statt, sondern gleich viermal. Damit es sich auch richtig lohnt.

Der Termin ist genau festgelegt: Hexensabbat ist immer am dritten Freitag jeweils im März, Juni, September und Dezember. Es sind die großen Verfallstage für alle Terminkontrakte (Futures und Optionen), bei denen an diesem Tag jeweils der Abrechnungspreis festgestellt wird. Das beginnt mittags um 11:50 mit dem sogenannten „Fixing“ der STOXX-Familie und um 13:00 mit DAX, TecDAX und MDAX um 13:00 und endet am Abend des Börsentages mit der Feststellung der Abrechnungspreise von Aktien. In den USA liegt der Termin zwischen 15:00 und 16:00 Uhr, Lokalzeit New York (also 21:00 Uhr unserer Zeit). Die Amerikaner nennen diese Stunde der Abrechnung „Triple Witching Hour“.

Am selben Tag herrscht auch an allen anderen Börsen weltweit Hexensabbat, da überall zeitgleich am selben Tag Kontrakte verfallen, auch auf Rohstoffe, Währungen, verschiedene Indizes und internationale Aktien.

Einen kleineren Hexensabbat gibt es zusätzlich jeden dritten Freitag im Monat, er hat allerdings nur für eine kleinere Anzahl bestimmter Terminprodukte Bedeutung.

Warum sollte man sich als Anleger vor dem Hexensabbat in Acht nehmen?

Wer als Anleger einen sehr langen Anlagehorizont hat, kann sich an diesen Tagen relativ entspannt zurücklehnen und die auftretenden Schwankungen wie alle anderen kurzfristigen Schwankungen einfach weitgehend ignorieren. Bei kurzfristigen Anlagen oder ganz besonders, wenn man im Daytrading aktiv ist, sollte man an diesen Tagen aber einen etwas eingehenderen Blick auf seine Positionen werfen.

Das Problem ist dabei einerseits, dass das Volumen von Terminmarkt-Geschäften relativ hoch ist, andererseits kann man durch Käufe oder Verkäufe des FDAX in größerem Umfang den Kurs des DAX durchaus beträchtlich beeinflussen – was einige auch immer wieder versuchen. Findet die Aktion kurz vor Abrechnungsschluss statt, wirkt sie sich auf die Preise aller ablaufenden DAX-Derivate aus und beeinflusst den Abrechnungskurs oft deutlich.

Aus all dem kann man schließen, dass man an den Hexensabbat-Tagen im Jahr immer damit rechnen muss, dass Aktienkurse und Indizes sich an diesen Tagen auch ohne äußere Einflüsse ziemlich turbulent verhalten können. Besonders bei Aktien bedeutender und sehr großer Konzerne kann man zum Teil extreme Kursausschläge beobachten. Ist der Tag dann zu Ende, ist alles meist wieder relativ ruhig. Dass Kurse volatil werden, damit muss man in jedem Fall also rechnen – in welche Richtung sie im Einzelnen ausschlagen und wie massiv, lässt sich leider kaum vorhersagen (das wäre sonst ein Fest für jeden Daytrader). Es handelt sich dabei aber um eine „innere“ Börsenmechanik, die im Einzelnen kaum zu durchschauen und vorauszuberechnen wäre. Letzten Endes leitet sich auch gerade aus dieser Unberechenbarkeit die börsenübliche Bezeichnung „Hexensabbat“ oder „Dreifacher Hexensabbat“ her, weil die Ausschläge so unberechenbar und unerklärlich sind, dass sie wie böse Magie oder Hexenwerk wirken.

Tatsächlich ist die Erklärung nicht ganz so mystisch. Die enorme Zunahme des Handelsvolumens auf dem Derivatemarkt hat natürlich auch Auswirkungen auf den Kassamarkt. Jeder, der auf dem Derivatemarkt aktiv ist, möchte zum Verfallstag natürlich seine Interessen wahren und versucht das mit einer großen Menge an Transaktionen noch zu erreichen. Das ist  ein legitimes Interesse, auch wenn die Grenze zur versuchten Manipulation hier manchmal schon recht deutlich überschritten wird. Und da unterschiedliche Akteure unterschiedliche Interessen verfolgen, werden die Kurse mal in die eine, mal in die andere Richtung gezerrt. Wer am Ende gewinnt und den Kurs erfolgreich in die von ihm gewünschte Richtung treibt, davon kann man sich an jedem Hexensabbat immer wieder neu überraschen lassen.

Auch der Wissenschaft ist es bisher nicht gelungen, selbst in zahlreichen Studien, irgendwelche Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Dass es an Verfallstagen vorwiegend abwärts geht, hat sich nicht bestätigt, auch sonst sind keine irgendwie verwertbaren, wiederkehrenden Muster zu erkennen. Das Fazit: Jeder Hexensabbat sieht tatsächlich völlig unterschiedlich aus – und endet auch immer unterschiedlich.

Wie sollte man sich als Kleinanleger an Hexensabbat-Tagen verhalten?

Wer – was sich für Kleinanleger ohnehin meist empfiehlt – auf einen besonders langfristigen Anlagehorizont setzt, kann sich die Turbulenz des Tages einigermaßen amüsiert ansehen, braucht ansonsten aber nicht viel befürchten. Es handelt sich um eine extrem kurzfristige Schwankung, die schnell vorübergeht und sich langfristig, wie die meisten anderen regelmäßigen Kursschwankungen im Jahreszyklus, nicht maßgeblich auf den Anlageerfolg bei längerfristigen Anlagen auswirken wird.

Alle anderen sollten an diesen Tagen möglichst den Kopf einziehen. Insbesondere, wenn sie gehebelte Derivate im Depot haben oder mit sehr engen Absicherungen arbeiten. In diesem Fall lohnt es sich, vorbereitet zu sein und den Tag immer schon länger zuvor kommen zu sehen und sich Gedanken über eine möglichst wirkungsvolle Absicherung der eigenen Positionen zu machen. Das kann im Einzelfall ganz unterschiedlich aussehen. Auf jeden Fall sollte man aber damit rechnen, dass einem diese Tage gegebenenfalls beträchtlichen Schaden zufügen können.

Der Versuch, „den Sturm zu reiten“, mag zwar verlockend sein – als Kleinanleger sollte man von einem solchen Vorhaben aber tunlichst absehen. Natürlich bestehen beträchtliche Gewinnchancen mit Optionen, die „aus dem Geld“ notieren. Wer kein absoluter Profi ist, für den besteht aber kaum eine Chance, hier wirklich Gewinne zu realisieren. Dafür kann man sich im Gegenteil unter Umständen mit fehlgeschlagenen Versuchen ganz gehörig die Finger verbrennen. Das wahrscheinlichste Endergebnis bei Versuchen von Kleinanlegern.

Als Profi-Tipp kann man sich noch merken, dass sich die Schwankungen der Verfallstage meist schon am Vortag bemerkbar machen. Hier sollte man also bereits etwas auf der Hut sein. Die stärksten Ausschläge finden übrigens immer nach den Verfallszeitpunkten der jeweiligen Derivate-Kategorien statt. In Deutschland ist also der frühe Nachmittag der Zeitpunkt der größten Turbulenzen. Mehr lässt sich beileibe aber nicht an allgemeingültigen Regeln aufstellen.

Heute glaubt zwar niemand mehr, dass Hexen Unwetter und Hagel herbeizaubern und von Stürmen die Äcker verwüsten lassen – zumindest an der Börse steht man aber an einigen Terminen im Jahr immer noch echtem „Hexenwerk“ gegenüber. Und bösen Mächten, die den Kurs in ihre Richtung treiben möchten. Völlig unberechenbar. Aber wie es schon im Mittelalter hieß: „Wer die Tage der Hexen kennt, dem ist es ein Leichtes, davon keinen Schaden zu nehmen“.

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