Die Mahnung an alle Regierenden

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Die Mahnung an alle Regierenden

Ein bekanntes deutsches Sprichwort sagt, dass niemand so schlecht sein kann, dass er nicht noch zumindest als abschreckendes Beispiel dienen könnte. Auch in vielen alten Weisheitskulturen galt es als höchster Grad von Vollkommenheit, aus den Fehlern anderer zu lernen, anstatt selber welche zu machen. Aktuell bietet sich für alle Regierenden in der Welt wieder einmal eine gute Möglichkeit, sich in dieser Tugend zu üben. Vielen würde es möglicherweise auch nicht schaden, sich darin ein wenig mehr zu befleißigen. Denn ganz offensichtlich haben sie so manches bis jetzt nicht verstanden. Die Rede ist von Argentinien als wirklich mahnendem Beispiel: für Misswirtschaft einerseits und andererseits dafür, wie schnell einem als Regierender die Dinge unrettbar aus den Händen gleiten können. Wir werfen einmal einen umfassenden Blick auf die Situation im Land.

Misswirtschaft kann die besten Voraussetzungen vollständig aushebeln

Oder in eine Lern-Lektion übersetzt: Es kann jeden (Staat) treffen, wenn er sich nur dämlich genug anstellt. Und wenn die Dinge erst einmal ins Rutschen geraten sind, geht es oft schneller und weiter bergab, als irgendwelche Ökonomen überhaupt hinterherrechnen oder prognostizieren könnten.

Was im Fall von Argentinien besonders erschüttert, ist, dass sich das Land zwar immer wieder taumelnd erhebt, die Zusammenbrüche aber in regelmäßigen und immer kürzeren Abständen kommen, wie die Wehen einer Hochschwangeren kurz vor der Geburt. Nur, dass wir uns im Fall von Argentinien lieber nicht vorstellen möchten, was aus diesen wehenhaften Zusammenbrüchen am Ende geboren werden wird.

Aber fangen wir einmal von vorn an: Am Anfang waren da einmal Schulden – hohe Schulden. Aber das ist mittlerweile in der Lage unserer Welt ohnehin ein Kavaliersdelikt, das auch viele andere Staaten betrifft und das anscheinend nur wenigen wirklich schlaflose Nächte bereitet. Wer heute als Industrie- oder auch als Agrarstaat hip ist, hat Schuldenberge, zu denen er aufblickt. Nach Corona bekommen viele dabei nun bereits eine Nackenstarre und eine krasse Verkrümmung der Wirbelsäule. Aber immerhin laufen die Dinge noch, so irgendwie.

Bei Argentinien ist das anders. Irgendwie ist die hohe Schuldenlast des Landes (2019 waren es 93,3 % des BIP) noch drückender als bei anderen Ländern. Sieht man sich im Vergleich dazu Italien an, das es im Juni 2020 auf 149,5 % des BIP brachte, könnte man die Lage in Argentinien zwar als ernst, aber immer noch vergleichsweise harmlos sehen. Italien funktioniert immerhin noch. Mit einer um die Hälfte höheren Schuldenquote.

In Argentinien ist aber alles anders. Dieses Jahrtausend ist schon einmal kein gutes für Argentinien. Insgesamt 8-mal hat man es seit dem Jahr 2000 geschafft, eine Staatspleite hinzulegen. Die letzte wurde 2020 nach sehr zähen und langwierigen Verhandlungen durch eine mühsam errungene Umschuldung gerade noch so abgewertet. Bei einer bis auf 50 % angestiegenen Inflationsrate zum Ende des Jahres 2019 kann man aber nun nicht gerade sagen, dass alles gut wäre. Auch die endlich durchgesetzte Umschuldung hat die Inflationsrate bis zum Juli auf gerade einmal 40,6 % gedrückt.

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Was um Gottes willen ist hier schief gelaufen?

An den Rahmenbedingungen in Argentinien kann es nicht liegen. Die sind so, dass wohl einige südeuropäische Länder davon nur träumen könnten. Wertvolle und gesuchte Rohstoffe und abbaubare Bodenschätze in großer Menge, hervorragende Anbindung an die Welt über zahlreiche wichtige Häfen, eine vergleichsweise moderne Industrie, besonders im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern. Dazu kommen sehr hohe Vorkommen an Erdöl und Erdgas.

Im letzten Jahrhundert hat sich das Land auch prächtig entwickelt. Nicht zuletzt durch die enorm hohe Zuwanderung aus dem alten Europa, das nicht nur Modernisierung, sondern auch europäische Werte ins Land brachte. Nachdem sich Europa in den 50er Jahren mühsam wieder aufraffen musste, lief Argentinien wirtschaftlich und weltwirtschaftlich zu seiner Höchstform auf. Und war wiederum Ziel für zahlreiche Auswanderer, denen die wirtschaftliche Lage im Nachkriegseuropa einfach zu schlecht war und sich zu langsam verbesserte. Auch sie brachten Wissen, Know-how und jede Menge an Pioniergeist ins Land. Weite Teile Argentiniens sind bis heute von deutschsprachiger Bevölkerung geprägt, die ihre Traditionen und ihre Sprache weiterpflegen, ansonsten aber waschechte Argentinier sind.

Diese eigentlich hervorragende Ausgangslage, die mindestens für eine hohe Bedeutung in der Weltwirtschaft gereicht hätte, wurde aber von Regierenden konsequent und sehr nachhaltig zerstört. Die hirnlose Gewalt und die völlig unfähige Wirtschaftslenkung der Militärregierungen tat das ihre. Danach war Argentinien vor allem von Korruption und Nepotismus geprägt und am Ende zerfressen. Das hat eines der reichsten Länder der Erde (das war Argentinien noch in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts) zu einem elenden Armenhaus werden lassen. Und sieht man sich die wirtschaftliche Entwicklung speziell in den letzten Jahren – entgegen anderslautender Versprechungen der Regierung an – sogar in „no time“. Die Zustände änderten sich in Windeseile von prekär hin zu unsäglich katastrophal. Von einem nahezu leistungsmäßigen Anschluss der Wirtschaft träumt heute nicht einmal mehr irgendjemand in Argentinien. Viele haben nur noch das nackte Überleben im Sinn.

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Für die Finanzierung des Staates wurden immer mehr Steuern aus den vermögenden Teilen der Bevölkerung herausgepresst. Auch um die vielen Armen im Land zu finanzieren, die es selbst nicht bis zum Wohlstand brachten. Am Ende haben alle verloren. Die etwas Reicheren und die Armen, weil sie irgendwann niemand mehr finanzieren konnte – und wollte.

Die Konsequenz sind auch genau die wirtschaftlichen Leistungswerte, die wir heute sehen: Platz 92 von 137 in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit weltweit (da kommt nicht mehr viel dahinter) und Platz 156 von 180 in Bezug auf die wirtschaftliche Freiheit im Land. Und diese Zahlen sind schon mehrere Jahre alt. Kleiner Trost: Sehr viel weiter kann man nicht mehr abstürzen, denn da ist nicht mehr so viel Platz.

Auch die Verteilung der Wirtschaft auf einzelne Wirtschaftszweige spricht eine deutliche Sprache. Seit dem Beginn dieses Jahrtausends hat die Bedeutung des Dienstleistungssektors, der einstmals über 55 % der Wirtschaftsleistung ausmachte, im Vergleich zum Agrarsektor massiv abgenommen. Und das, obwohl die Ausgangssituation für Argentinien vor allem bei ins Ausland verkauften Dienstleistungen eigentlich sehr gut wäre. Da sich hier ein relativ hohes Qualitätsniveau mit wahnwitzig niedrigen Lohnkosten paart. Auch hier hat man’s also gründlich versemmelt, wie’s scheint.

Die Entwicklung der Armutsquoten in einzelnen Gebieten ist bedrückend. Die Wohnsituation für eine riesige Zahl von Menschen prekär – die „villas miseria“, die Elendsviertel rund um die Großstädte wachsen unaufhörlich. Und die Inflation galoppiert ebenso unaufhörlich weiter, Kapitalflucht und riesige Probleme haben schon längst das Ruder bei der wirtschaftlichen Entwicklung übernommen.

Die Moral von der Geschichte

Man kann selbst die günstigsten Ausgangsbedingungen innerhalb kürzester Zeit kaputtregieren. Echte Niedergangsbeschleuniger sind dabei Korruption, Vetternwirtschaft und Regierungen, die immer nur verbohrt in irgendeinem (blödsinnigen) Eigeninteresse handeln und unfähig sind, die Tragweite ihrer Handlungen abzuschätzen oder auch nur willens, die langfristigen Konsequenzen ihres Handelns zu bedenken.

Ein wichtiger Faktor beim Niedergang ist daneben auch, wenn man den Mittelstand in einer Gesellschaft nicht mehr wahrnimmt und für ein Wohlergehen vor allem der mittleren Einkommensschicht sorgt. Auch das ist in Argentinien geschehen. Man hat gesehen, dass da noch ein wenig Geld ist und es gnadenlos aus den Menschen herausgepresst. Wenn die Mittelschicht aber zu weiten Teilen nicht mehr in der Lage ist, sich mit ihrer Leistung wirtschaftlich fortzubewegen und ihren Wohlstand zu vergrößern, wird sie auch irgendwann aufhören, das überhaupt noch zu versuchen. Wozu auch, wenn anscheinend Korruption die einzige Währung im Land ist, mit der man noch etwas erreicht.

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Wie in vielen Ländern ist es aber auch in Argentinien immer die Mittelschicht gewesen, die die ärmsten Schichten im Land vor dem Absturz bewahrt und finanziell am Leben gehalten hat. Umverteilungssysteme leben aber von der Solidarität, zu der auch vor allem die geldgebenden Schichten bereit sein müssen. Verliert sich diese Motivation, ebenso wie die Motivation zum eigenen Fortkommen, ist sehr schnell kein Geld mehr da. Und auch Regierungen können – trotz ihrer vermuteten Allmacht – nicht einfach unbegrenzt Geld aus dem Hut zaubern, wenn es die Wirtschaft nicht schafft, welches zu erzeugen. Am Ende ist alles immer nur Umverteilung. Das wird viel zu oft übersehen – auch hierzulande. Immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse, immer mehr Unmut darüber, immer mehr Arme mitfinanzieren zu müssen und dabei selbst nicht mehr voranzukommen. Das kann sehr schnell in einer Katastrophe enden.

Viele Regierungen sind auch aktuell stark gefährdet, solche Zusammenhänge klar und deutlich zu sehen. Und dementsprechend zu handeln. Das fehlende Interesse für die Menschen und ihr wirtschaftliches Wohlergehen wird dann oft nur durch massive Propaganda-Aktionen, Selbstlob und irgendwelche kruden Ideologien kompensiert. Aber das funktioniert nicht. Die Propaganda wird nur noch müde belächelt, die Ideologien werden von sehr vielen nur noch als spinnert wahrgenommen und ziellose Maßnahmen, die auf vollkommen falschen Voraussetzungen basieren, erzeugen bei vielen nur bereits echte angewiderte Ablehnung (deutsche Autobauer sind nicht der „Motor der Wirtschaft“ sondern in den letzten Jahren eher der permanente Krisenherd mit unersättlichem Kapitalbedarf, lautem Geschrei und vollständig fehlendem Veränderungs- und Weiterentwicklungswillen). Und Pläne zur „Industrie 4.0“ haben noch niemandes Leben verbessert, nicht wenn wir mit der Digitalisierung allein noch in der Steinzeit stecken.

Es geht auch nicht darum, in schwierigen Situationen einfach nur Geld mit der Gießkanne ungezielt auszuschütten und sich dafür täglich zu feiern – es geht darum, echte Perspektiven zu schaffen, für echte Menschen. Solche, die auch ein echtes Fortkommen ermöglichen, und zwar möglichst einer großen Zahl von Menschen. Ansonsten steht Argentinien als mahnendes Beispiel im Raum. Wenn man erst einmal geübt ist darin, mit schöner Regelmäßigkeit alles zu versemmeln und zu Ruinen zu regieren, steht man sehr schnell auf der Rutsche. Und dort nimmt die Fahrt talabwärts dann enorm schnell zu.

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