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Die EZB wird zunehmend ein Faktor, mit dem man rechnen muss – in vielen Bereichen

Einige von uns können sich vielleicht noch daran erinnern, was sie in der Schule gelernt haben: „Zentralbanken sind eine Institution, die das Bankensystem eines Landes überwacht und die Geldmenge einer Volkswirtschaft durch bestimmte Maßnahmen reguliert“. Irgendwie sind wir an einem Punkt angelangt, wo man diese doch recht trockene und theoretische Definition des Wesens einer Zentralbank vielleicht hinterfragen – und gegebenenfalls modernisieren müsste. In Bezug auf unsere eigene Zentralbank, die EZB, könnte die Definition nämlich in letzter Zeit schon beinahe lauten: „Sie regelt alles. ALLES“. In jüngster Zeit wird die EZB nämlich in Bereichen und mit Maßnahmen aktiv, die man schon durchaus mit einem Stirnrunzeln betrachten kann. Wir haben uns Gedanken gemacht.

Die traditionelle Aufgabe einer Zentralbank

Wie wir eingangs schon erwähnt haben, die Kernaufgaben jeder Zentralbank liegen – neben der Bankenbeaufsichtigung – vor allem darin, die in Umlauf befindliche Geldmenge zu regulieren und damit Preisstabilität zu gewährleisten. In geringem Umfang gehört zu den Aufgaben damit – indirekt – natürlich auch die Förderung der inländischen Wirtschaft und die Unterstützung ihrer Leistungsfähigkeit. Ein klein wenig Wirtschaftspolitik also. In der Menge, in der man Gewürze über dem Essen dosiert.

Von gewagten Banken- und Staaten-Rettungen ist in der Definition nicht die Rede, auch nicht von der Förderung von Nachhaltigkeit oder der Bekämpfung von Pandemien. Alle diese Probleme kann man auch nicht mit bloßem „Gelddrucken“ lösen und mit vollen Händen verteilen. Das braucht einen grundlegenden Strukturwandel, sorgfältig abgewogene und durchdachte Pläne und Lösungen, die auch funktionieren (nicht wie der ganz offensichtlich nicht vorhandene Pandemie-Plan der Bundesregierung). Geld braucht es dagegen erst an zweiter Stelle – und eine Einmischung der Zentralbank in rein nationale Belange und Probleme, oder auch in europäische, braucht es dabei ganz sicher nicht.

Bevor hier alles gegen die EZB allein geht: Es stimmt, das europäische Zentralbankensystem umfasst genau genommen das ESZB, das europäische System der Zentralbanken, in dem auch die Nationalen Zentralbanken der EU-Staaten mit vertreten sind. Daneben gibt es auch noch das Eurosystem, also jenen Verbund, in dem nur jene Staaten vertreten sind, die auch tatsächlich den Euro eingeführt haben. Alles schön kompliziert und unübersichtlich, wie wir das von EU-Institutionen ja längst gewöhnt sind. Am Ende ist es aber die EZB selbst, die ihre Politik bestimmt. Also wollen wir in diesem Beitrag auch einmal von ihr direkt und persönlich sprechen. Immerhin ist sie ja selbst eine supranationale Rechtspersönlichkeit im Rang eines EU-Organs.

Die Probleme beim Überschreiten des Kernaufgaben-Bereichs

Wenn es eines gibt, das für eine multinationale Zentralbank wichtig ist, dann ist das Neutralität. Eine solche Zentralbank, die für die Währungspolitik mehrerer unterschiedlicher Staaten verantwortlich ist, darf weder einzelne Staaten bevorzugen noch benachteiligen. Das kann man getrost als ein Grundprinzip ansehen, das man in einem solchen Fall einfach nicht verletzen darf.

Den Rahmen dieser Ausgewogenheit hat die EZB allerdings schon in der Vergangenheit weit überschritten, als sie sich mit der „Rettung“ von maroden Mitgliedsstaaten der EU beauftragt fühlte – und in hohem Maß deren Staatsanleihen kaufte, um die Wirtschaft der betroffenen Staaten zu schützen. Schon damals meinten viele, die EZB hätte sich mit diesen Maßnahmen bereits zu weit aus den Fenstern gelehnt und die Position ihrer so wichtigen Neutralität bereits verlassen. Die Stimmen wurden lauter, als die EZB zu allem Überfluss auch noch die Anleihen von im Grunde längst bankrotten Banken in Italien erwarb, um die Pleite abzuwenden.

Man kann darüber natürlich geteilter Meinung sein – immerhin geht und ging es um die Stabilität des gesamten Euro-Raums und aller darin befindlichen Staaten. Eine echte, faktische Pleite einer großen Volkswirtschaft wie Italien würde mit Sicherheit auch den einen oder anderen weiteren Staat mit in den Abgrund reißen und höchstwahrscheinlich die gesamte europäische Wirtschaft natürlich massiv schädigen. Es geht also noch in irgendeiner Weise um das wirtschaftliche, europäische Gemeinwohl. Nennen wir es eine Grauzone.

In der Ära Lagarde verpasst sich die EZB plötzlich eine Vielzahl neuer Aufgaben

Gerade in der letzten Zeit hat man mehr und mehr den Eindruck, die EZB eile von einer hehren Rettungsmission zur nächsten. Es scheint, als könne überhaupt gar nichts mehr ohne die EZB gerettet werden. Was höchstwahrscheinlich ganz sicher weit über den ursprünglichen Aufgabenbereich der EZB hinausgeht, ist nun die Rettung des Klimas, die Präsidentin Lagarde sich und der EZB als Aufgabe nun auf den Leib geschrieben hat.

Es sollen vorrangig jene Unternehmen gefördert werden, die sich „grün“ und nachhaltig verhalten, die Geldpolitik der EZB soll vorrangig auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Wir reden hier, wohl gemerkt, nicht von der Wirtschaftspolitik eines einzelnen Staates, die gern „grüner“ werden dürfte – wir reden von der europäischen Geldpolitik. Und die sollte, da sie reine Geldpolitik ist, keinerlei wie auch immer geartete Farben tragen, sondern schlicht und einfach neutral sein.

Was als „grün“ anzusehen ist, behält sich die EZB dabei vor, selbst zu entscheiden und festzulegen. Eine tatsächliche detaillierte Beschreibung dessen, was die EZB als „grün genug“ ansieht, um es zu fördern und was dabei durch den Rost fällt, gibt es bis heute nicht – und wird es wohl auch in Zukunft nicht ausdrücklich geben, denn das würde das Greenwashing eines Unternehmens ja zu einer sehr einfachen Aufgabe machen, der dann demnächst alle Großkonzerne mit Hingabe gleich nachkommen würden.

Das Problem liegt jetzt eigentlich auch nicht darin, dass jemand – auch eine EU-Behörde – die Weichen in Richtung mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit stellen möchte. Im Fall von jeglicher Art von EU-Behörde wäre so etwas durchaus zu begrüßen, egal um welche Behörde es sich handelt.

Das eigentliche Problem liegt darin, dass sich mit dieser Ausrichtung die EZB nicht mehr marktneutral verhält. Sie bevorzugt in diesem Fall nicht nur einzelne Unternehmen, sondern am Ende wahrscheinlich auch ganz konkret einzelne Staaten – weil sich einfach die Mehrzahl der Unternehmen in den ärmeren Staaten einen hohen Standard beim Klimaschutz (noch) nicht leisten können. Das führt zu Ungleichgewichten, die die Notenbank in diesem Fall nicht ausgleicht, sondern sogar hervorruft. Es kann nicht angehen, einzelne Unternehmen zu bevorzugen und andere dagegen quasi „abzustrafen“ – neutral geht definitiv anders. Und den Klimawandel können wir dann bekämpfen, wenn es ein allgemeines Bewusstsein dafür gibt, das wir das tun müssen – und zwar ein Bekenntnis, das von allen Seiten, von der Politik, der Wirtschaft und auch von der Bevölkerung kommt. Davon sind wir immer noch meilenweit entfernt. Mit dem Drucken von einer Menge Geld, dem wahllosen Verteilen zu nicht wirklich transparenten Kriterien unter einzelnen Unternehmen wird sich das aber nicht ändern lassen. Eher noch im Gegenteil.

Auch bei der jüngsten Krise hat sich die EZB bereits in den ersten Stunden gleich wieder in den Vordergrund gespielt: mit einem groß angekündigten „Maßnahmenpaket“. Angesichts der Nullzinspolitik, an der man offensichtlich auch unter Präsidentin Lagarde festhält, sind die Spielräume bei Zinssenkungen praktisch kaum existent. Weniger als Null geht eigentlich nicht, man könnte höchstens die Negativzinsen ausweiten.

Wenn sich das Problem mit der italienischen Wirtschaft angesichts der Corona-Krise und ihrer wirtschaftlichen Folgen noch ausweitet, wird die EZB wiederum – als einzige Maßnahme, die ihr bleibt – massenhaft Anleihen kaufen müssen, um die Wirtschaft in Italien irgendwie am Laufen zu halten und von den steigenden Zinsen zu befreien, die ihr die Luft abdrücken. Auch andere Staaten werden vermutlich in die Situation kommen, wirtschaftliche Hilfe zu brauchen. Und die EZB wird damit immer tiefer hineingezogen in den Strudel der diversen „Rettungsaktionen“, in den sie sich schon ganz zu Anfang zu sehr hat verstricken lassen.

Man kann nur hoffen, dass sich die EZB am Ende nicht noch auf den uralten Plan von Milton Friedman einlässt, den einige Ökonomen gerade begutachten: das „Helikoptergeld“. Dabei soll – nach Friedman – die Notenbank einfach eine Menge Geld aus dem Nichts zaubern und es ganz einfach ans Volk verschenken. So angenehm das fürs Volk wahrscheinlich wäre – für die Wirtschaft wäre es möglicherweise fatal und die langfristigen Konsequenzen wären nur schwer absehbar. Es wäre eine Verzweiflungsmaßnahme. Reine Verzweiflung.

Was bedeutet das alles aus Anlegersicht?

Als Anleger mit ein wenig Weitblick müssen wir erkennen, das in Zukunft vieles, ja sehr vieles wohl an Notenbank-Entscheidungen hängt. Wie sich die EZB entscheidet, welche Aufgaben sie sich verordnet, wird ganz maßgeblich mitbestimmen, wie die wirtschaftlichen Entwicklungen in einzelnen Bereichen laufen. Die Tragweite von Handlungen – oder allein Ankündigungen – der EZB sollten wir nicht unterschätzen und sie bei Anlageentscheidungen möglichst mitberücksichtigen (und besser richtig einschätzen). Die EZB hat den Boden der Marktneutralität mittlerweile endgültig verlassen und arbeitet nunmehr hauptberuflich als Feuerwehr – für die unterschiedlichsten Probleme. Das wird – auch langfristig – nicht ohne Folgen bleiben. Aus diesem Grund sollten wir als Anleger die EZB nie aus dem Blick verlieren – und auch ihren Worten und ihrem Handeln sehr sorgsam Beachtung schenken.

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