Während sich die Welt immer noch mit den – bisher kaum überblickbaren – Folgen des Wirecard-Debakels herumschlägt (was wohl noch über längere Zeit noch so gehen wird) sind viele Anleger zunehmend verunsichert. Das Vertrauen in bisher als vertrauenswürdige Institutionen wie die staatlichen Kontrollorgane und die Wirksamkeit ihrer Kontrollen ist gelinde gesagt angeknackst. Und viele stellen gerade erst fest, dass nicht alles, was gut aussieht, auch zwangsläufig gut sein muss. Irgendwie drängen sich da plötzlich Gedanken, Leitlinien aus dem – irgendwie schon etwas angestaubten – Value Investing in den Vordergrund. Hätte man genauer hinsehen sollen, sich von der Oberfläche nicht blenden lassen? Hätte man mehr auf tatsächliche Werte achten sollen? Wie erkennt man aber eigentlich „Wert“? Wir haben uns ein paar Gedanken über den Wert der Ehrlichkeit gemacht – und darüber, mit welchen Gedankengängen man sich als Anleger vielleicht doch besser schützen kann. Und warum Value Investing nie ganz passé ist.
Das abrupte Ende einer Helden-Geschichte
Am Ende war es dann einfach ein schnöder „gewerbsmäßiger Banden-Betrug“. Darauf destillierte jedenfalls die Staatsanwaltschaft den größten Teil des Sachverhalts. Nur, dass zu diesem Bandenbetrug auch eine in Deutschland lizenzierte Bank und eine Bundeskanzlerin gehören, die noch höchstpersönlich in China für die Betrüger Werbung macht. Also doch irgendwie eine größere Sache, eine Staatsaffäre möglicherweise. Zu denjenigen, denen man heute die Schuld gibt, gehören nicht nur die Betrüger selbst, sondern mittlerweile auch die involvierte Wirtschaftsprüfer-Kanzlei Ernst & Young und die BaFin als oberstes staatliches Kontrollorgan. Einige geben auch noch einzelnen Politikern eine Mitschuld an dem ganzen Debakel. Aber das wechselt – je nachdem, wen man fragt.
Die ganze Sache ging in der letzten Zeit auch mehr als ausführlich durch die Medien, also wollen wir uns damit nun auch gar nicht länger aufhalten. Zumal Ereignisse wie dieses zwar vielleicht gerade spektakulär, ansonsten aber ganz sicher kein singuläres Einzelverbrechen sind, das sonst nie vorkommen würde. Gier und nicht ganz saubere Machenschaften sind eben auch ein Teil unserer Welt und gehören zu dieser eben mit dazu. Daran kann kein Einzelner etwas ändern. Wichtig ist für uns Anleger aber, darüber nachzudenken, was uns möglichst gut davor schützt, am Ende Opfer zu werden. Wenn das Vertrauen in alle möglichen Richtungen kräftig erschüttert ist, bleibt uns (wieder einmal) nur, uns auf uns selbst zu verlassen. Und auf unseren eigenen Verstand und die eigene Klarsichtigkeit.
Wir leben in einer Welt der polierten Hochglanz-Fassaden, weil auch das eben marktwirksam, ja fast schon marktüblich ist. Manchmal fallen wir dann auch direkt auf diese Fassaden herein.
Nach vorne hin sah in diesem nun staatserschütternden Betrugsfall ja eigentlich alles ziemlich gut aus. Von gerade einmal 6,4 Millionen Euro Umsatz im Jahre 2004 hat sich Wirecard in regelmäßigen Schritten auf den bereits hundertfachen Umsatz (601,7 Mio. Euro) 2014 vorgearbeitet. Nur zwei Jahre später knackte man die Milliarden-Marke beim Umsatz, zwei weitere Jahre später hatte sich auch das bereits verdoppelt – zumindest auf dem Papier. Es war also nach außen hin eine echte Erfolgsgeschichte. Das einzige, was einem möglicherweise auffallen hätte können, war, dass das alles fast schon ein wenig zu gut lief. Kunden für die Zahlungsdienstleistungen des Unternehmens stellten sich hierzulande reihenweise ein, darunter auch Aldi und Ikea. Fast 300.000 Kunden soll es am Ende gegeben haben.
Zwischendurch tauchten dann immer wieder einmal Vorwürfe auf, dass das Unternehmen in Geldwäsche verstrickt sei. Einige mutmaßten, das läge einfach daran, dass es möglicherweise sehr anziehend für betrügerische Banden wäre, weil kaum Kontrollen von seiten des Unternehmens bei der Kontoeröffnung erfolgten und keine Verdachtsanzeigen gestellt wurden. Von Wirecard wurde das alles immer rundheraus dementiert, und damit war es dann auch immer gut.
Man muss sich natürlich fragen, wenn uns mit voller Absicht eine solche Hochglanz-Fassade vor die Nase gesetzt wird, ob und welche Möglichkeiten wir überhaupt als Anleger haben, diese zu durchdringen. Wenn selbst erfahrene Wirtschaftsprüfer die Bilanzen absegnen, ist das wohl mehr als nur eine Nummer zu groß für den einfachen Anleger von nebenan.
Auch aus Sicht des Value Investing gab es an Wirecard nichts auszusetzen – zunächst einmal
Technisch gesehen wäre vielleicht auch Warren Buffet, der große alte Mann des Value Investing oder sein ebenfalls sehr bekannter Lehrer und der Begründer dieses Investement Ansatzes, Ben Graham, auf diese Bilanzen hereingefallen, hätten ihnen geglaubt.
Auch in einigen anderen Punkten war da vieles glaubwürdig. Es war (und ist) für die Hauptprodukte des Unternehmens, die Erbringung von Zahlungsdienstleistungen, sicherlich ein sehr lukrativer Markt vorhanden. Das zeigt allein schon der massive Zustrom illustrer und ansonsten sehr auf Solidität bedachter Kunden. Bezahlungsservices wie Skrill oder virtuelle Kreditkarten wie mywirecard oder mycard2go sind physische Produkte, die gut bekannt sind und deren Funktion und Leistung von vielen genutzt und auch geschätzt werden. Selbst die brandneuen IoT-Technologien mit intelligenten Waagen und unsichtbarem Bezahlen versteht der Mann von der Straße noch, ebenso wie E-Commerce-Bezahldienstleistungen. Und dass viele FinTech-Startups die Banklizenz von Wirecard benutzen, drängt sich natürlich nahezu auf.
Auch den Leitsatz „Investiere nur in das, was du auch verstehst“ kann man damit sicherlich in vielen Fällen durchaus auch als erfüllt abhaken. Die Funktion einer virtuellen Prepaid-Kreditkarte ist für die meisten nicht schwierig zu verstehen. Und was derjenige tut, der so etwas anbietet, eigentlich auch nicht. Über Geschäfte und Verflechtungen im Hintergrund, die wie bei vielen Finanzdienstleistern äußerst kompliziert und verstrickt sind, macht sich ohnehin kaum jemand Gedanken, weil sie häufig selbst für Leute vom Fach nur nach sehr langer und mühsamer, detaillierter Einarbeitung überhaupt erst grundlegend zu überblicken sind.
Wir müssen Preis und Wert unterscheiden lernen
Den Preis für eine Wirecard-Aktie konnte man als Anleger immer leicht feststellen – der kam immerhin täglich in den Nachrichten auf dem Silbertablett. Das ist auch immer noch so. Wobei man erkennt, dass ein paar Unbelehrbare kurz nach dem Crash den Kurs wieder um bis zu 68 % durch regen Handel nach oben getrieben haben, weil sich Gerüchte um einen zukünftigen Investor breitgemacht hatten. Was die Glücksritter allerdings geflissentlich übersahen, ist die Tatsache, dass das vorhandene Kapital schon kaum ausreichen wird, um die Verluste zu decken, die man über all die Jahre eingefahren hat. Geschweige denn die Entschädigungszahlungen für die Verluste von Anlegern zu leisten, die jetzt die Klagemaschinerien wegen des Betrugs angeworfen haben. Dass der Kurswert eines quasi handlungsunfähigen Unternehmens, das vermutlich Insolvenz anmelden wird müssen, dann so massiv steigt, sollte uns klar sagen, dass der Preis und auch die Kursentwicklung nicht immer allein ausschlaggebend sind.
Wir müssen uns vielmehr mit dem wahren Wert eines Unternehmens auseinandersetzen. Und gerade hier wird es aber knifflig. Wie bestimmt man denn den „Wert“ eines Unternehmens? Wie bestimmt man, was man für den bezahlten Preis bekommt? (Wie Ben Graham richtig sagte: „Was du bezahlst ist der Preis, der Wert ist, was du bekommst“).
Harte und weiche Wertfaktoren
Für den Wert eines Unternehmen spielen „harte“ und „weiche“ Faktoren im Value Investing eine gleich wichtige Rolle. An den „harten“ Fakten gibt es nicht viel zu rütteln. Auch wenn die Bilanzen möglicherweise geschönt oder schlicht gefälscht waren, stellen sie doch zumindest einmal einen „harten“ Faktor dar, dem wir zunächst einmal glauben müssen. Und das Marktpotenzial für diese Art von Dienstleistungen ist sicherlich in hohem Maß gegeben. Cashflow, KGV, Gewinnentwicklung, Marktdurchdringung – all das war top in Ordnung. Wie gesagt, vielleicht so top in Ordnung, dass man ein wenig stutzig werden hätte können – mit viel Erfahrung und viel Misstrauen.
Anders ist es um die „weichen“ Faktoren bestellt. Die Qualität des Managements (nicht nur in unternehmenstechnischer Sicht, sondern auch als Persönlichkeiten) gehört da ebenso mit dazu wie die eigene Identifikation mit dem Geschäftsmodell. „Wir kaufen nur, was wir tatsächlich haben wollen“ – und zwar zu einem Preis, der geringer ist als der eigentliche (Gesamt-)Wert eines Unternehmens. Gerade bei Großkonzernen ist das natürlich sehr schwierig zu beurteilen – als Persönlichkeiten sind die Leiter solcher Unternehmen nur schwer zu fassen.
Haben Sie schon einmal überlegt, in was genau Sie investieren?
Es lohnt sich dabei aber immer auch, ein wenig darüber nachzudenken, ob das Unternehmen tatsächlich auf eine Zukunft hin arbeitet, die wir haben wollen. Bei Ideen wie den „unsichtbaren Bezahlvorgängen“, wo der Kunde automatisch anhand biometrischer Daten identifiziert wird und der fällige Kaufpreis beim Verlassen des Ladens gleich vollautomatisch von seinem Konto abgebucht wird, kann man annehmen, dass durchaus eine Menge Menschen bei dieser Art von Tracking schon etwas Bauchschmerzen bekommen. Bei der Zusammenarbeit mit chinesischen Großkonzernen wie WePay wohl manch andere auch.
Hätte man da irgendwelche Bedenken, oder ist das nicht die Zukunft, die man sich persönlich so wünschen würde, dürfte man im Value Investing in einen solchen Wert nicht investieren. Value Investoren sehen sich mehr als ein Teil des Unternehmens, in das sie investieren. Mit dem sie sich identifizieren können und dem sie auch in schwierigen Zeiten treu bleiben, weil sie an sein echtes Potenzial und an die Fähigkeiten und Werte des Managements glauben.
Das ist uns allen schon ein wenig verloren gegangen. Viele richten sich ausschließlich nach Kursgewinnen, spekulieren abenteuerlich mit Dingen, von denen sie ohnehin nicht wollen, dass sie Wirklichkeit werden und verfolgen nur die Maximierung des eigenen Gewinns. Wenn es sein muss mit allen spekulativen Mitteln. Genau das ist es aber, was unsere mittlerweile sehr werte-los gewordene Welt am allerwenigsten braucht und genau das macht zu weiten Teilen solche Betrügereien überhaupt erst möglich.
Wenn wir wieder zu dem alten, sehr einfachen Leitsatz zurückkehren, dass wir ausschließlich in die von uns gewünschte Zukunft investieren sollten, in Unternehmen, die eine Welt schaffen, wie wir sie auch gerne haben wollen, dann ist das Value Investing – das Investieren in echte Werte – schlechthin. Solche Werte sind wohl eher im Bereich von Menschlichkeit, ökologischer Verträglichkeit und Gerechtigkeit sowie in Nachhaltigkeit angesiedelt – und weniger in Überkonsum, Über-Bequemlichkeit, Profit-Maximierung und Technologien zum Tracken von Menschen und ihrem Verhalten.
Wir bekommen am Ende immer das, was wir zuvor gefördert haben. Dessen sollte man sich als Anleger immer bewusst sein.
Und wer als Wert für Unternehmen auch Ehrlichkeit, Transparenz und Fairness als unterste Messlatte ansetzt, macht es Betrügern schon deutlich schwerer, ihn übers Ohr zu hauen. Wer nur gierig auf den Gewinn schielt, wird dagegen überdurchschnittlich oft zu ihrem Opfer – mit dieser Art von Verhalten können Betrüger nämlich hervorragend umgehen.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.