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Der „neue“ DAX hat 40 Unternehmen – welche Folgen hat das?

Es ist eigentlich bemerkenswert: Es ist die größte, einzelne Veränderung, die der DAX in seiner gesamten Geschichte erfährt und dennoch dümpelt die Nachricht darüber in den Medien eher unter „ferner liefen“. Die Erweiterung des DAX von bisher 30 Teilnehmern, die abgebildet werden, auf nunmehr 40. Gut, die Erweiterung soll erst ab September 2021 kommen. Es ist also noch eine Weile hin und momentan haben wohl viele mit den Corona-Zahlen und mit dem Lockdown-Wirrwarr andere Sorgen. Trotzdem sollte man sich mit dieser Erweiterung und ihren Folgen auseinandersetzen – selbst wenn man keinen DAX-ETF besitzt.

Grund für die Erweiterung: Eine Erkenntnis der Lage und eine fast schon demokratische Entscheidung

Als ursächlicher Grund für die doch relativ kurzfristig entschiedene Erweiterung wird einhellig das Wirecard-Debakel angegeben – wiewohl die Börse selbst und auch die DAX-Struktur wohl nur wenig Schuld daran trägt für das, was da ablief. Man nimmt es vonseiten der Deutschen Börse aber dennoch zum Anlass, über Veränderungen nachzudenken. Das ist durchaus löblich.

Die „weichen“ Gründe sind dabei, dass der DAX in Zukunft „moderner“, „bunter“ und „vielfältiger“ werden soll. Auch die Annäherung an in vielen anderen europäischen Ländern übliche Standards spielt als Grund mit. Wer dann genau in den DAX aufsteigen soll, ist bisher noch Gegenstand zahlreicher Spekulationen – infrage kommen neben Airbus und Zalando auch einige Siemens-Unternehmen (etwa Siemens Healthineers oder Siemens Energy) und einige in der breiten Öffentlichkeit weniger bekannte Großunternehmen wie Symrise, Evonik oder Knorr-Bremse (nicht der Nahrungsmittelhersteller, sondern ein Bremsenspezialist).

Ebenfalls recht löblich ist, dass man zuvor die Meinung von über 600 Akteuren in der Wirtschaft, darunter auch einige Privatanleger, eingeholt und ausgewertet hat. Das ist zwar nicht wirklich die „breite“ Masse, aber immerhin ein Versuch, eine solche – durchaus ziemlich weitreichende – Entscheidung wenigstens einigermaßen demokratisch zu fällen und Bedenken und Meinungen einer recht vielfältig aufgestellten Zahl von Akteuren zumindest mit zu berücksichtigen.

Schärfere Regeln gibt es auch

Der Wirecard-Skandal hat bei vielen das Gefühl geweckt, es würde nicht genug kontrolliert und man käme mit geschönten Bilanzen einfach allzu leicht durch. Auch das ist – wie man klar feststellen muss – natürlich keine Sache des DAX oder der Deutschen Börse, sondern hauptsächlich der zuständigen Prüfbehörden und gegebenenfalls auch der anderen beteiligten staatlichen Institutionen, die in der Vergangenheit Hinweisen von verschiedenen Seiten eher nur unwillig, zögerlich und schleppend nachgekommen sind.

Dennoch hat sich Theodor Weimer, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse, dazu berufen gefühlt, auch die Regeln zu verschärfen. Die jetzt beschlossene Erweiterung stand auch von Anfang an auf seiner persönlichen Agenda, seit er 2018 seinen Posten als Vorstandsvorsitzender antrat. Bei den Verschärfungen der Kriterien gilt nun als beschlossen: Künftig müssen Unternehmen, um sich für eine Aufnahme zu qualifizieren, mindestens zwei Finanzberichte mit einem positiven EBTDA vorweisen können. Ab März müssen die Unternehmen zudem zwingend Jahres- und Quartalsberichte veröffentlichen, ansonsten werden sie ausgeschlossen. Ein Prüfungsausschuss mit Fachleuten, die den Jahresabschluss prüfen können und zudem ausreichend Fachwissen über interne Kontrollen haben, wird ebenfalls eingerichtet. Für alle neu hinzukommenden Unternehmen gelten diese Regelungen sofort, für die Unternehmen, die im DAX schon gelistet sind, gilt dagegen eine Übergangsfrist für die Regelungen bis 2022.

Wer in den DAX kommt, ist ebenfalls neu geregelt

Die Zusammensetzung des Index wird überdies zukünftig zweimal jährlich anstatt nur einmal pro Jahr wie bisher geprüft. Als Kriterium dient zukünftig nur noch die Marktkapitalisierung der Unternehmen, andere Kriterien fallen weg. Ob ein Unternehmen im DAX gelistet wird oder nicht, hängt also zukünftig allein und ausschließlich von der Höhe seiner Marktkapitalisierung ab. Das soll das Ganze überschaubarer und einfacher machen – eine bestimmte Mindestliquidität des Unternehmens ist das einzige zusätzliche Kriterium, das darüber hinaus erfüllt sein muss. Wie genau diese Mindestliquiditätskriterien aussehen sollen und wie man sie prüfen will, ist bislang aber noch nicht entschieden.

Ein vielleicht ebenfalls sehr wichtiger Veränderungspunkt, der vor allem international agierende Unternehmen betrifft ist, dass künftig der Handelsschwerpunkt einer Aktie nicht mehr in Deutschland liegen muss. Ein Unternehmen muss nur an der Deutschen Börse gelistet sein, um auch in den DAX aufsteigen zu können, selbst wenn die Aktie überwiegend an anderen Börsen gehandelt wird. Gelistet müssen die Unternehmen allerdings sein, ansonsten bleibt der Zugang verwehrt. Aktuell betrifft das etwa gerade Biontech, den deutschen Impfstoffhersteller des Corona-Impfstoffes. Für ihn würde keine Chance bestehen, in den DAX zu gelangen, obwohl das Unternehmen in Deutschland sitzt.

Nachhaltiger, fairer und ökologischer wird es nicht

Zwar war von Anfang an angedacht, einige Nachhaltigkeitskriterien mit einfließen zu lassen, davon ist man aufgrund des Widerstands von „zahlreichen Seiten“ dann aber doch abgerückt. Konkret ging es dabei um den Ausschluss von Unternehmen, die mehr als 10 % an in irgendeiner Weise umstrittenen Waffengeschäften betreiben. Das lehnte anscheinend die Mehrzahl der Befragten rundheraus ab, man wollte eine rein auf Marktkapitalisierung basierende Zugangsmöglichkeit. Woher das Geld des Unternehmens stammt oder womit es verdient wurde, wollten viele dabei anscheinend nicht berücksichtigt haben.

Andere Nachhaltigkeitskriterien, wie etwa der Grad des ökologischen oder verantwortlichen Wirtschaftens, die Einhaltung von Menschenregeln oder Fairness-Regeln haben es ohnehin noch nicht einmal bis zum ernstzunehmenden Vorschlag geschafft. Einerseits ist das bei einem Börsenindex verständlich, bei dem es natürlich nur rein um Geld und Gewinne geht. Andererseits ist es aber auch traurig, weil man damit schon wieder einmal nationale und internationale Wirtschaft und die ebenso wichtigen anderen Baustellen wie den drohenden Klimawandel, Ausbeutung und die Problematik von umweltzerstörenden Produktionswegen oder Produktionsvorgängen nur getrennt voneinander betrachtet. Es wäre wünschenswert, zu der Einsicht zu kommen, dass Unternehmen eine hohe Marktkapitalisierung haben müssen und dabei weder die Umwelt zerstören noch jemanden ausbeuten dürfen, um sie als „wertvoll“ anzusehen. Insbesondere, wo mehr und mehr Menschen zu der Auffassung gelangen, dass ein Unternehmen, das sein Geld zu großen Teilen mit Kriegen und Kriegsgerät verdient, ganz allgemein als nicht so „wertvoll“ anzusehen sei.

Welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Als die Pläne das erste Mal auf den Tisch kamen, war der Widerstand von vielen Seiten enorm hoch. Selbst von Unternehmen, die gute Chancen hätten, in den DAX aufzurücken. Das hat sich mittlerweile etwas gelegt. Kritisch sehen viele aber immer noch die im Zuge der DAX-Erweiterung gleichzeitig erfolgende Verkleinerung des M-DAX von 60 auf nunmehr zukünftig 50 Teilnehmer. Nach Ansicht vieler Unternehmen, aber auch anderer Akteure, würde das die Bedeutung des M-DAX und auch seine Marktkapitalisierung stark schwächen, was nicht wünschenswert ist. Mittelständische, sehr mächtige Unternehmen spielen in der deutschen Wirtschaft durchaus eine gewichtige Rolle als „mittlere Unternehmen“. Wird der M-DAX abgewertet, verzerre das nach Ansicht vieler noch mehr das „Bild der deutschen Wirtschaft“, das der neue DAX dann noch besser abgeben soll. Da allerdings sehr viele bedeutende Mittelständler in Deutschland ohnehin nicht an der Börse sind, stellt sich natürlich die Frage wie „repräsentativ“ beide überhaupt sein können. Der DAX als „Bild der deutschen Wirtschaft“ und der M-DAX als Abbild der deutschen mittelständischen Unternehmen.

Auch mit dem Wegfall des zuvor verpflichtenden Prime Standards und dem Ersatz durch die reine Höhe der Marktkapitalisierung sind viele nicht einverstanden – oder zumindest nicht glücklich. Dazu kommt, dass viele relativ neue Geschäftsmodelle, die sich in Zukunft durchaus sehr stark entwickeln könnten, kaum Eingang in den DAX finden, da viele von ihnen noch nicht in der Gewinnzone sind, da sie viel ins Marketing investieren müssen. Das ist zwar angesichts der neuen Sicherheits-Regeln so gewünscht, bildet andererseits aber wiederum eben nicht die Realität der „wichtigen“ Wirtschaft in Deutschland ab. Lieferservices, Online-Handel und andere eigentlich jetzt schon sehr bedeutende Marken haben zum größten Teil wenig Chancen, Zugang zu finden. Das wird sich aber ändern, wenn sich diese Geschäftsmodelle etabliert haben und die Unternehmen sich tatsächlich in der Gewinnzone befinden.

Insgesamt gesehen – jedenfalls aus heutiger Sicht – wird der zukünftige DAX sicherlich ein Stückchen „realistischer“ werden und die Vielfalt der deutschen Wirtschaft wahrscheinlich ein klein wenig besser abbilden. Von einem vollständigen Bild kann nicht die Rede sein. Fondsmanager von aktiv gemanagten Fonds werden es vielleicht in Zukunft ein wenig leichter haben, das ist allerdings höchstens ein Randeffekt. Über die Auswirkungen auf die künftige Wertentwicklung des DAX und eine möglicherweise höhere internationale Relevanz kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlicht noch gar nichts sagen. Das muss man erst einmal auf sich zukommen lassen.

Die Veränderungen auf einen Blick

  • Der DAX wird ab September 2021 40 Unternehmen umfassen statt bisher 30.
  • Der M-DAX wird gleichzeitig von 60 Unternehmen auf 50 Unternehmen reduziert.
  • Als Kriterium für die Aufnahme gilt ausschließlich, dass ein Unternehmen an der deutschen Börse gelistet sein muss. Es kann auch anderswo bevorzugt gehandelt werden.
  • Eingeteilt wird nur noch nach der Marktkapitalisierung.
  • Unternehmen können nur in den DAX aufgenommen werden, wenn sie mindestens zwei Finanzberichte mit positivem EBITDA vorweisen können.
  • Der Prime Standard fällt zukünftig ersatzlos weg.
  • Nachhaltigkeitskriterien bleiben grundsätzlich unberücksichtigt (z. B. Waffengeschäfte des Unternehmens in größerem Umfang, aber auch alle anderen Nachhaltigkeitskriterien).
  • Die Zusammensetzung des DAX wird künftig zweimal jährlich (statt einmal jährlich wie bisher) überprüft.
  • Schon ab Jahresanfang 2021 gelten verschärfte Sicherheitsregelungen:
    • Berichtspflicht (Jahresabschlüsse und Quartalsberichte), bei Verstoß kann das Unternehmen mit sofortiger Wirkung vom Index ausgeschlossen werden.
    • Es wird eine bestimmte Mindestliquidität gefordert (genaue Kriterien und die Art der Prüfung sind derzeit noch nicht festgelegt).
    • Es wird zusätzlich ein Prüfungsausschuss mit Fachleuten gefordert, die über das nötige Wissen verfügen, um Jahresabschlüsse überprüfen zu können und auch Wissen über interne Kontrollen mitbringen.
    • Für Unternehmen, die bereits im DAX gelistet sind, gilt bei den Sicherheitskriterien eine Übergangsfrist bis 2022
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