Auf das KGV als wichtige und vor allem für Anleger bedeutsame Kennzahl sind wir auch schon in einigen anderen Beiträgen eingegangen. Beim KGV – und auch bei anderen, verwandten Kennzahlen wie etwa dem P/BV oder dem KUV – gibt es natürlich immer bestimmte Einschränkungen, wie aussagekräftig die Zahlen tatsächlich sind. Der Nobelpreisträger Robert Shiller hat in seinem Ansatz versucht, diese Einschränkungen etwas zu verringern, insgesamt werden die Zahlen dadurch etwas aussagekräftiger. Wie Shillers Ansatz aussieht und welche Vorteile er mit sich bringt, wollen wir deshalb in diesem Beitrag einmal untersuchen – und natürlich, welche Einschränkungen in der Aussagekraft vorhanden bleiben.
Probleme bei KGV, KBV, KCV und KUV
Alle vier Werte, das KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis), das KBV (Kurs-Buchwert-Verhältnis), das KCV (Kurs-Cashflow-Verhältnis) und das KUV (Kurs-Umsatz-Verhältnis) gelten als wichtige Kennzahlen für Aktienanleger. In der Aktienanalyse dienen sie dazu, Gewinnschätzungen für die Zukunft abzugeben und somit Aktien zu bewerten. Auch vergangene Werte können natürlich so analysiert werden – das tun Anleger zumindest aber eher selten.
Das KGV ist bei weitem die wichtigste und meistgebrauchte Kennzahl der drei. Anleger benutzen das Kurs-Gewinn-Verhältnis oft auch dazu, um zu ermitteln, wann sich der Aktienkauf amortisiert hat – sprich: nach wie vielen Jahren der entstehende Gewinn den Preis der Aktie praktisch von selbst bezahlt hat. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass solche Kennzahlen, insbesondere wenn sie als Schätzung in der Zukunft angelegt sind, natürlich ihre Einschränkungen haben, wenn es um die Aussagekraft geht.
Einschränkungen in der Aussagekraft
Keinesfalls kann man einen Wert wie das KGV als feststehende, unveränderliche Größe betrachten wie etwa den Preis der Aktie. Leider tun aber viele Anleger genau das.
Zuallererst muss man sich aber vergegenwärtigen, dass sich vergangene Gewinne nicht zwangsläufig in der Zukunft wiederholen werden. Für eine solche Annahme gibt es keinen Grund. Nur weil ein Unternehmen im letzten Jahr gute Gewinne erwirtschaftet hat und das KGV deshalb hoch ist, bedeutet das nicht, dass das im nächsten Jahr genauso sein muss. Unternehmen existieren nicht im luftleeren Raum. Ihr Erfolg und ihre Gewinne sind von vielen Randfaktoren abhängig, die das Unternehmen selbst nicht beeinflussen kann:
- von Konjunkturschwankungen, die unvermeidlich sind
- von Änderungen auf den Märkten
- von Änderungen im Bedarf der Kunden (die man nicht immer durch bloße Anpassung daran kompensieren kann)
- von geldpolitischen Maßnahmen der Zentralbanken
- von Devisenkursen (eine Aufwertung der Währung führt zu einer Verteuerung der Exporte und damit oft zu einer Verringerung des Exportvolumens)
- von politischen Rahmenbedingungen
- in manchen Branchen auch von Wetterbedingungen (niemand kauft Ski, wenn nirgends Schnee liegt)
- von Zahlungsmoral der Kunden und Ausfallquoten (auch die können sich ändern, allerdings meist nicht so dramatisch)
Was man natürlich ebenso berücksichtigen muss ist, dass Unternehmen auch immer wieder Investitionen tätigen, für die ein Teil des Gewinns verwendet wird. Ist eine solche Investition erfolgreich, wird sich zukünftig der Gewinn möglicherweise deutlich erhöhen. Ist sie es nicht, droht oft sogar ein Verlust an bestehenden Gewinnen (notwendige Investitionen – wer nicht wächst, schrumpft). Dieser Faktor wird beim KGV überhaupt nicht in Betracht gezogen, lediglich das Investitionsvolumen fehlt beim Gewinn – ob das zukünftig deutlich mehr Gewinne verheißt, bleibt damit unerheblich. (Das kann auch niemand vorhersagen, aber zumindest könnte man bewerten, DASS es Investitionen gibt, die die MÖGLICHKEIT für höhere Gewinne bergen – oder eben nicht).
Schon diese kurze Aufstellung macht deutlich, dass sich Gewinne vom Vorjahr nicht zwangsläufig in den folgenden Jahren wiederholen müssen. Dazu kommen aber noch einige weitere Faktoren, die man zumindest durch sorgfältige Analyse ausschließen kann (was aber ziemlich viel Recherche und eine Menge Zeit erfordert):
- außerordentliche Gewinne, die in das KGV mit einfließen
- steuerliche Veränderungen für das Unternehmen (Veränderung der Steuersätze, angewandte steuerschonende Maßnahmen, etc.)
- Veränderungen in der Kapitalzusammensetzung (Rückstellungen, Auflösung von Reserven, etc. – das kann man ausschließen, indem man den Cashflow anstatt des Gewinns betrachtet)
- man muss genau nachsehen, welchen Gewinn man eigentlich betrachtet (das EBITDA, oder das EBIT, den Gesamtgewinn oder den Gewinnanteil, der tatsächlich dem Unternehmen gehört und nicht jemand anders)
- dazu muss man sich ansehen, welchen Kurs man für die Berechnung verwendet (Jahresanfang, Jahresende, aktueller Kurs)
Je nachdem, welche Werteauswahl man trifft, kann man das KGV durchaus schönen oder auch deutlich schlechter werden lassen. Die möglichen Abweichungen zwischen den Werten sind durchaus beträchtlich, es gibt also IMMER mehr als ein KGV.
Das Shiller KGV
Der amerikanische Nobelpreisträger und Ökonom Robert J. Shiller erkannte diese Problematik auch und versuchte deshalb, die Kennzahl aussagekräftiger zu machen.
Er erkannte zunächst, dass die Aussagekraft von Zahlenwerten zunimmt, wenn einfach mehr Daten verwendet werden. Beim Shiller KGV (oder der CAPE-Wert, wie es auch genannt wird) wird deshalb nicht der Vorjahresgewinn eines Unternehmens betrachtet, sondern grundsätzlich auf die letzten 10 Jahre geschaut.
Das hat gleich mehrere positive Effekte: Eventuelle Sondereinnahmen, die den Gewinn nur einmalig erhöhen, verändern das KGV nicht mehr über Gebühr. Auch außerordentliche Aufwendungen, die den Gewinn eines Jahres einmalig schmälern können, werden so wirkungsvoll herausgerechnet. Einnahmen oder Ausgaben, die während zehn aufeinanderfolgender Jahre auftreten, kann man umgekehrt ruhig als dauerhaft und unvermeidbar ansehen.
Der Wert von Investitionen wird – in gewissem Rahmen – auch berücksichtigt. Eine Investition, die sich innerhalb von zehn Jahren nicht in höheren, regelmäßigen Gewinnen rentiert, war es vermutlich nicht wert. Gleichzeitig sollte auch die Quote zwischen dem Investitionsvolumen und Gewinnerhöhungen für ein Unternehmen möglichst positiv sein. Auch das ist in einer längerfristigen Betrachtung erkennbar, wenn man einfach den Durchschnitt der Gewinne der letzten zehn Jahre für die Berechnung heranzieht.
Um die Berechnung mathematisch noch exakter zu machen, wird hier aber nicht einfach ein Durchschnittswert aus den Gewinnen erzielt, sondern der sogenannte gleitende Durchschnitt errechnet. Beim gleitenden Mittelwert werden Datenreihen zusätzlich mathematisch „geglättet“, was den entstehenden Durchschnittswert exakter und aussagekräftiger macht.
Um die einzelnen Werte auch im Hinblick auf die Kaufkraft besser vergleichbar zu machen, verwendet Shiller immer inflationsbereinigte Werte. 60 Euro vor zehn Jahren entsprechen in ihrem tatsächlichen Wert (Kaufkraft) ja nicht unbedingt 60 Euro von heute.
Die Vorteile von Shillers Ansatz
Anstatt einen einmaligen, nicht zwangsläufig reproduzierbaren Gewinn für die Berechnung des KGV zu verwenden, findet bei Shiller eine Vielzahl von Werten über einen längeren Zeithorizont Verwendung. Die meisten häufiger auftretenden Schwankungen sind damit berücksichtigt, größere Katastrophenfälle oder Gewinnspitzen werden dagegen im Gewinnmittel herausgerechnet. Aus der Berechnung mit einer soliden Datenbasis kann die grundsätzliche Ertragskraft eines Unternehmens weitaus besser sichtbar gemacht werden als durch Einzelleistungen, die oft wegen unterschiedlicher verwendeter Daten (EBIT, EBITDA, etc.) gar nicht miteinander vergleichbar sind. Sollte ein Unternehmen tatsächlich überbewertet sein, kann man das am Shiller KGV relativ gut erkennen. Zeigen gleich mehrere Unternehmen in einem Markt oder in einer bestimmten Branche eine Überbewertung im Hinblick auf das Shiller KGV, kann man eventuell auf eine sich bildende Blase schließen.
Unvorhergesehene Veränderungen kann man natürlich auch mit dem Shiller KGV nicht vollends ausschließen. Ein gutes Beispiel dafür wäre etwa der Abgasskandal von VW, der dem Unternehmen durch die fälligen Entschädigungen und Strafzahlungen und den Imageverlust wahrscheinlich deutlich weniger Gewinne bescheren wird. Die Ertragskraft des Unternehmens ist grundsätzlich gut – allerdings kann natürlich niemand die durch die außergewöhnlichen (und immer noch vom Unternehmen selbst verschuldeten) Kurseinbrüche oder Gewinnverminderungen tatsächlich vorhersagen.
Shiller KGV für ETFs
Auch bei einigen Smart ETFs findet das Shiller KGV Anwendung. Ausgewählt und höher gewichtet werden für diese Indexfonds vor allem jene Unternehmen, deren Shiller KGV auf eine grundlegend gute Ertragskraft hinweist.
Das scheint mithin ein recht brauchbarer Ansatz zu sein, da ja auch Investoren vor allem langfristig auf eine konstante Wertentwicklung setzen. Unternehmen mit guter, grundsätzlicher Ertragskraft sind dafür sicherlich besser geeignet, als Unternehmen, die nur kurzfristig durch hohe Gewinne glänzen. Bis zu einem gewissen Grad ist das bei Index-Unternehmen zwar ohnehin ausgeschlossen, aber die Praxis zeigt dennoch, dass eine spezielle Gewichtung nach dem Shiller KGV in der Lage ist, den Index zu schlagen. Beim MSCI Europe kommt es beispielsweise durch diese spezielle Gewichtung zu einer regelmäßigen Überperformance von mehr als 4 % gegenüber dem Index und auch beim S&P 500 ist der Smart Beta meist deutlich besser, immerhin die meiste Zeit auch um rund 3 %. Für Anleger ist das also durchaus eine interessante Strategie.
Im englischen Sprachraum wird übrigens anstatt der Bezeichnung Shiller KGV immer die Bezeichnung CAPE-Ratio (cyclically adjusted price earnings ratio) oder P/E 10 verwendet, die Bezeichnung Shiller KGV ist nur im deutschsprachigen Raum üblich.
Weiterführende Links
- Broker-Konditionen im Vergleich
- Value, Quality oder Growth: Welche Anlagestrategie verfolgen Sie?
- Wie erkenne ich, ob Aktien überbewertet sind?
- Was versteht man unter Trendlinie?
- Was ist Smart Beta? – eine neue Generation von ETF?
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