Die Behavioral Finance untersucht als wissenschaftliche Disziplin, wie sich Menschen in Bezug auf Finanzentscheidungen verhalten – und warum sie dabei oft klar irrational handeln. Die Wissenschaft bietet damit auch Anlegern wertvolle Anhaltspunkte, welche Fallen bei Finanzentscheidungen lauern können – und wie sie funktionieren. Sogenannte Heuristiken stellen dabei einen sehr großen Bereich an ganz unterschiedlichen Entscheidungs-Fallen dar, die wir zudem oft nur sehr schwer erkennen können. In diesem Beitrag unserer kleinen Serie über Behavioral Finance wollen wir den Bereich Heuristiken daher einmal grundlegend unter die Lupe nehmen.
Markteffizienz-Hypothese und persönliche Effizienz bei Finanzentscheidungen
Für die Wirtschaft gilt das Modell der Markteffizienz-Hypothese. Sie erklärt recht schlüssig, wie Dinge auf dem Markt und Märkte allgemein funktionieren. Problematisch dabei ist nur, dass die an sich recht gut funktionierende Hypothese manchmal Ereignisse oder Ergebnisse vorhersagt, die so dann nicht eintreffen.
Das liegt nicht etwa daran, dass die Hypothese nicht stimmen würde (das tut sie erwiesenermaßen sehr wohl), sondern dass sie immer davon ausgeht, dass einzelne Menschen und Anleger immer rational und effizient in Bezug auf ihre Anlage handeln. Das tun sie aber nicht. Der Grund dafür ist, dass Menschen oft irrationale Entscheidungen treffen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Eine ganze Reihe von solchen irrationalen Entscheidungen beruht auf sogenannten Heuristiken.
Was Heuristiken sind, warum wir sie brauchen und wie sie funktionieren
Heuristiken könnte man grob als “Daumenregel” umschreiben – das ist allerdings nur eine sehr näherungsweise und nicht immer exakt zutreffende Beschreibung.
Heuristiken liegen immer dann vor, wenn wir aufgrund selbst aufgestellter Regeln mit nur wenigen Daten besonders schnell zu Entscheidungen kommen – ohne dass wir die Gesamtzahl der verfügbaren Informationen genau und individuell prüfen.
Solche “Abkürzungen” im Entscheidungsprozess sind oft sinnvoll (darum sind sie auch ein evolutionäres Erbe in unserem Gehirn) – sie ermöglichen es uns, in Sekundenschnelle Entscheidungen zu treffen oder Annahmen zu formulieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig sind. Der Knackpunkt liegt hier im Wort: “höchstwahrscheinlich”. Heuristiken können in weiten Bereichen tatsächlich ein zutreffendes Ergebnis bringen – in anderen dagegen überhaupt nicht. Das gilt insbesondere dann, wenn wir nur eine sehr kleine Menge an Daten zur Verfügung haben oder analysieren – obwohl uns ausreichend Daten für eine umfassende Analyse zur Verfügung stünden und wir eigentlich gar keine schnelle Entscheidung treffen müssen.
Heuristiken produzieren eine Vielzahl von Fehler-Effekten, die sich dann auf unsere Einschätzung einer Situation oder eines bestimmten Wertes (zum Beispiel eines Kurswertes) verzerrend auswirken:
- Verfügbarkeitsheuristiken
- Verankerungsheuristiken
- Halo Effekt
- weitgehende Vermeidung von Unbekanntem oder Ambiguität
Das sind die wichtigsten Heuristiken, die uns auch die meisten Probleme bei Geldanlagen und Finanzentscheidungen machen und uns überdurchschnittlich häufig zu sehr schlechten, für uns nachteiligen oder sogar völlig irrationalen Entscheidungen führen.
Nachfolgend wollen wir uns diese Heuristiken und ihre verzerrenden Effekte deshalb einmal im Einzelnen ansehen.
Verfügbarkeitsheuristiken
Kurz gesagt geht es dabei darum, dass wir ein Ereignis umso wahrscheinlicher einschätzen, je leichter wir uns an ähnliche Ereignisse erinnern können.
Umgekehrt schätzen wir ein Ereignis als sehr unwahrscheinlich ein, wenn wir uns an solche Ereignisse nur schwer erinnern können.
Dabei spielt nicht die ZAHL der Ereignisse ein Rolle, an die wir uns erinnern können, sondern ausschließlich, wie schnell uns Beispiele einfallen.
Der Effekt wirkt verzerrend, weil wir tatsächlich nicht statistische Daten und Wahrscheinlichkeiten betrachten, die immerhin neutral wären, sondern lediglich unser Gedächtnis bemühen. Wie leicht oder schwer uns ein Beispiel zu etwas einfällt kann aber individuell unterschiedlich sein.
So könnte beispielsweise ein massives Abrutschen des Dow Jones – gerade nach dem US-Börsencrash im Februar 2018 uns wesentlich mehr Angst machen als eine zunehmende Inflation in China – schlicht und einfach, weil uns dafür gerade kein Beispiel einfällt. Oder wir halten ein Erdbeben in Japan viel wahrscheinlicher als eines in der Eifel – Statistiken beweisen uns dann aber oft das Gegenteil.
Diesen trügerischen Effekt zu umgehen, auf den wir immer wieder hereinfallen, ist eigentlich ganz einfach: anstatt uns auf unser “Gefühl” zu verlassen, wie wahrscheinlich ein bestimmtes Szenario eintreten könnte, brauchen wir nur einfach klare Zahlen und Fakten zusammenzutragen und sorgfältig zu prüfen.
Hierbei besteht zwar das Risiko, dass wir möglicherweise etwas für übermäßig wahrscheinlich halten, weil wir bei unserer Recherche plötzlich zahlreiche Beispiele finden, und deshalb zurückhaltender agieren als nötig – insgesamt ist dieses Risiko aber meist geringer als das Risiko, das der ursprüngliche Irrtum mit sich bringt.
Anker-Heuristiken (Anchoring)
Hierbei handelt es sich um ein komplexes und meist stark wirksames Phänomen, dem wir nie ganz entkommen können.
Ein Anker ist eine Information oder ein Zahlenwert, der einen Ausgangspunkt für Entscheidungen bildet. Selbst wenn wir gegensätzliche Informationen erhalten oder unterschiedliche Zahlenwerte sehen, beeinflusst die Anker-Information immer noch unsere Entscheidungsprozesse.
Anker stellen dabei Basis-Informationen dar, die noch nicht einmal richtig sein müssen. In vielen Fällen bilden wir sie selbst (oft sogar ohne tatsächliche Daten zu kennen) oder übernehmen sie ungefragt. Zahlreiche Experimente belegen, wie stark solche Ankerwerte wirken können.
Teilnehmer wurden gefragt, wie viel Geld sie zur Rettung von Seevögeln nach einer Ölpest spenden würden. Der einen Gruppe stellte man die Frage: “Wären Sie bereit, 5 USD zu spenden?”. Der anderen Gruppe stellte man zusätzlich die Frage: “Wären Sie bereit, 400 USD zu spenden?”
Die erste Gruppe wollte im Durchschnitt Beträge um die 20 USD spenden, die zweite Gruppe Beträge um die 145 USD. Das zeigt bereits, wie stark wirksam völlig willkürliche Informationen für Entscheidungsprozesse sein können.
Wenn wir für uns selbst zu dem Schluss gekommen sind, dass die indische Wirtschaft aufstrebend und gerade sehr erfolgreich im Wachstum ist, werden wir die Wirtschaftsdaten eines indischen Unternehmens immer deutlich positiver bewerten, als das nach nüchternem Dafürhalten angemessen wäre. Selbst wenn wir nach unserer Analyse des Unternehmens Geschäftsergebnisse bekommen, die eher auf zukünftige Gewinnrückgänge und Verluste hindeuten, neigen wir dazu, solche neuen Informationen nur sehr widerstrebend in unsere ursprüngliche Analyse mit einzubeziehen. Wir bleiben lieber unserer ursprünglichen Annahme vom generellen Wachstum in Indien treu.
Derartige Beispiele gibt es viele – das geht sogar soweit, dass sich erfahrene Richter bei ihren Urteilssprüchen über das Strafmaß von fachlich völlig unbelegbaren Ankerwerten oder sogar von Zufallszahlen stark leiten lassen. Die Betroffenen werden das wohl wenig zu schätzen wissen.
Dem Effekt von Anker-Heuristiken entkommt man also nur sehr schwer. Eine Strategie kann sein, dass man alles – aber auch wirklich alles – durch nüchterne Zahlen belegt und so weit wie möglich zu berechnen versucht. Selbst dann ist aber nicht sichergestellt, dass man die Ergebnisse nicht immer noch im Sinn von vorgefassten Erwartungen (sogenanntes “Priming”) in die eine oder andere Richtung “interpretiert”. Je nüchterner und sachlicher man an eine Sache herangeht, desto geringer ist allerdings in der Regel der Effekt, auch wenn man ihn nie ganz ausschließen kann.
Auch Vorurteile, wie etwa bestimmte vorgefasste Meinungen über bestimmte Nationalitäten, sind eigentlich nur Anker-Heuristiken, denen Menschen fast immer in der einen oder anderen Weise treu bleiben – und das in jeder beliebigen Situation. Die vorgefasste Meinung beeinflusst ihr Urteil in allen Bereichen quasi automatisch.
Der Halo-Effekt
Dem einen oder anderen mag dieser Effekt noch bekannt sein – er ist ebenso generell und fast genauso wenig vermeidbar wie die diversen Anker-Heuristiken.
Beim Halo-Effekt schließen wir von einigen wenigen bekannten Informationen auf völlig unbekannte – und folgern automatisch, dass etwas genau auf diese oder jene Weise sein muss.
Grundlegend für den Halo-Effekt ist, dass wir mit einzelnen Zügen von Personen oder Unternehmen entweder zahlreiche oder besonders prägende Erfahrungen haben – damit schließen wir dann häufig unwillkürlich auf andere Züge oder Eigenschaften, ohne überhaupt einen Anhaltspunkt dafür zu haben.
Wenn wir beispielsweise bei Unternehmen mit flacher Hierarchie einige Male nicht erfüllte Gewinnerwartungen erlebt haben, neigen wir dazu, dieselbe Befürchtung auf alle anderen Unternehmen mit diesem “hervorstechenden” Merkmal unwillkürlich zu übertragen. Oft lassen – wie bei Ankerheuristiken – selbst klare Zahlen das “ungute Gefühl” nie vollständig verschwinden.
Der Halo-Effekt tritt in zahlreichen, völlig unterschiedlichen Bereichen auf – bis hin zu Situationen, wo wir neue Menschen kennenlernen. Wenn uns bestimmte Merkmale und Eigenschaften an diesen Menschen an sympathische oder unsympathische Menschen aus unserem Bekanntenkreis erinnern, übertragen wir diese Einschätzung meist automatisch auf die Unbekannten und nehmen automatisch Eigenschaften bei ihnen wahr, für die es überhaupt keinen Anhaltspunkt gibt.
Entgehen können wir dem Halo-Effekt nur, wenn wir Anlageprodukte, Unternehmen oder Situationen grundsätzlich als einzigartig betrachten und nicht versuchen, aus Ähnlichem oder Vertrautem Schlüsse auf bestimmte Eigenschaften zu ziehen. Das erfordert oft sehr viel Disziplin und gelingt bei Weitem nicht immer – zahlt sich zumeist aber im Sinne einer realistischeren Einschätzung stark aus.
Vermeidung von Unbekanntem oder Ambiguität
Dinge, die wir nicht kennen oder die wir überhaupt nicht einschätzen können, versuchen wir meist grundsätzlich zu vermeiden.
Bis zu einem gewissen Punkt entspringen auch alle bisher erwähnten Heuristiken diesem Wunsch, mit Unbekanntem oder nicht Einschätzbarem fertig zu werden – indem wir es durch die heuristischen Methoden wenigstens teilweise zu etwas Einschätzbarem machen. Damit liegen wir oft falsch – aber zumindest haben wir ein Gefühl der Sicherheit.
Auch der Gambler’s Fallancy Effekt, mit dem wir uns in einem anderen Beitrag ausführlich auseinander gesetzt haben, entspringt in gewissem Maß dieser Angst vor Unbekanntem.
Wenn wir allerdings trotz aller heuristischen Versuche, etwas Klarheit oder Berechenbarkeit zu schaffen, zu viel Unsicherheit fühlen, neigen wir dazu, uns zurückzuhalten – anstatt logisch vorzugehen und neutrale Daten zu sammeln, um etwas Klarheit zu gewinnen.
Aus diesem Grund meiden wir oft gerne Märkte, die wir nicht gut kennen – selbst wenn sie vielversprechend aussehen – und halten uns lieber an den Heimatmarkt (das nennt man im Speziellen in der Behavioral Finance auch den “Home Bias”).
Auf einer anderen Ebene sind wir immer dann bereit zu investieren, wenn der Trend in einem Markt eine klare Richtung aufweist. In übermäßig volatilen Märkten mit schwankenden Kursen halten wir uns dagegen häufig übermäßig zurück, bis wir für uns selbst ein klares Muster in den Schwankungen zu erkennen glauben. Dann sind wir ohne Weiteres bereit, uns auf das Auf und Ab einzulassen.
Alle hier aufgezählten Heuristiken sind natürlich nur eine kleine Auswahl der möglichen “Verzerrungen”, die oft unsere Anlageentscheidungen negativ beeinflussen. Sie stellen aber die häufigsten und die massivsten Verzerrungen dar, denen wir in der Regel ausgesetzt sind.
Weitere Fallen und Ursachen für irrationale Entscheidungen stellen wir in den anderen Beiträgen unserer Serie vor – lesen Sie also weiter!
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