In unserer kleinen Serie über Behavioral Finance haben wir uns bislang mit den verschiedensten psychologischen Fallen, Wahrnehmungsverzerrungen und Fehlschlüssen beschäftigt. Vermutlich sind Sie sich beim Lesen im einen oder anderen Beitrag auch einmal selbst auf die Schliche gekommen. Nach und nach drängt sich allerdings die Frage auf, was all diese Fehlschlüsse und verzerrten Wahrnehmungen eigentlich bewirken: es wird also einmal Zeit, klare Zahlen und harte Fakten auf den Tisch zu legen. Das wollen wir in diesem Beitrag tun. Behavioral Finance hat tatsächlich messbare Auswirkungen.
Die Fehlschlüsse und Irrationalitäten sind schon lang erkannt
In den Zeiten vorwiegend algorithmischen Tradens gerät der Faktor Mensch und der Faktor „menschliche Unzulänglichkeit“ immer ein wenig in den Hintergrund. Nichtsdestoweniger existieren diese menschlichen Fehlentscheidungen – und zwar fast permanent.
Zu diesem Ergebnis kommt auch ein Arbeitspapier der Munich Business School schon im Jahre 2009: Sie sieht klar ein „quasirationales Verhalten“ von Anlegern – etwa indem sie auf irrelevante Informationen (den sogenannten Noise) reagieren, aber auch auf bewertungsrelevante Informationen abnormal reagieren. Damit kommt es „zu Abweichungen des Preises von seinem Fundamentalwert“. Als Schlussfolgerung daraus wird im Arbeitspapier formuliert: „Der rational handelnde Investor scheint also nicht der Regelfall zu sein“.
Das sitzt. Damit ist es – ja eigentlich schon seit langer Zeit – klar ausgesprochen und schlüssig hergeleitet, dass es an der Börse und überall dort, wo Menschen investieren und ihr Geld anlegen, eben NICHT rational zugeht.
Zwar agieren alle Anleger grundsätzlich als sogenannte „Nutzenmaximierer“ (also darauf bedacht, ihr Vermögen zu mehren), sind aber durch Verzerrungen in der Erwartungsbildung und im Entscheidungsverhalten eingeschränkt. Das sind nach wissenschaftlicher Sicht Verhaltensanomalien. Auch das bestätigt das Arbeitspapier klar und eindeutig.
Dass es also immer wieder zu Überreaktionen auf irrelevante Informationen und zu Unterreaktionen auf eigentlich relevante Informationen kommt, konnten die Wissenschaftler allein schon aus einer sorgfältigen Beobachtung von Preisanpassungsprozessen auf den Finanzmärkten erkennen.
Damit ist die Effizienzmarkthypothese ziemlich deutlich widerlegt – sie funktioniert zwar theoretisch auf dem Papier, aber leider verhält sich in der wirklichen Welt bedauernswerterweise niemand wirklich rational.
Nun interessiert uns aber eine andere Frage ganz brennend: Welche FINANZIELLEN FOLGEN hat dieses irrationale Verhalten eigentlich, wenn es denn nun schon wissenschaftlich klar bestätigt wird?
The Gap – die Renditelücke
Klare Zahlen legt ein Beitrag zu einer Studie der Rating-Agentur Morningstar auf den Tisch: Es gibt eine Lücke zwischen dem „Total Return“ und dem „Investor Return“ bei Investmentfonds.
Um diese beiden Begriffe einmal kurz im verwendeten Zusammenhang zu erklären: Unter Total Return versteht man in diesem Fall die Gewinne, die Investoren aufgrund der Fondsentwicklung machen hätten können.
Als „Investor Return“ sieht man in diesem Fall die Gewinne an, die Investoren tatsächlich mit nach Hause genommen haben.
Zwischen beiden klafft eine Lücke – und zwar eine sehr ansehnliche. Europäische Anleger haben – wenn man die letzten fünf Jahre betrachtet – mit den Fonds pro Jahr 0,6 % weniger Rendite erzielt als eigentlich nach der Fondsentwicklung hätten erzielen müssen.
Setzt man den Rahmen etwas weiter und sieht sich die letzten zehn Jahre an, wird das Desaster sogar noch größer: Jedes Jahr sind Investoren 0,74 % Rendite entgangen, die sie eigentlich erzielen hätten müssen.
Und Investmentfonds bieten nun nicht gerade viele Möglichkeiten, durch Fehlentscheidungen sein Geld zu verlieren. Jedenfalls deutlich weniger als bei anderen Anlageformen. Bei Investment Fonds geht es allein nur um ein einigermaßen vernünftiges TIMING.
Angesichts dessen sind 0,74 % Verlust pro Jahr allein durch IRRATIONALES VERHALTEN doch eine ganz beträchtliche Sache. Über die Jahre summiert sich das.
In Kanada, Hongkong und Singapur fiel diese Renditelücke durchgängig sogar noch größer aus als bei den Europäern – die Amerikaner schnitten wenigstens in den letzten Jahren deutlich besser ab und hatten – zumindest in diesem Zeitraum – der Studie nach keine Return-Lücke aufzuweisen.
Aus diesen Ergebnissen nun zu schließen, dass einige Nationalitäten eben rationaler seien als andere, wäre wohl verfehlt. Möglicherweise haben Anleger in anderen Ländern einfach ihr Timing besser geübt oder dazugelernt. Immerhin hat sich die Renditelücke ja auch in Europa minimal verkleinert – was man immerhin damit begründen könnte, dass Investoren dazulernen können. Wenn auch nur in recht kleinem Maßstab.
Eines wird aber jedoch unmissverständlich klar: Die Wahrnehmungsverzerrungen und Fehlschlüsse, die die Behavioral Finance aufdeckt, kosten tatsächlich MESSBAR GELD. Eigentlich nicht wenig, wenn man sich die jährlichen Verluste ansieht.
Was die Studie noch ans Licht gebracht hat
Einige interessante Zusammenhänge wurden aus der Studie daneben noch sichtbar: etwa dass die Renditelücke umso größer wurde, je teurer Fonds waren. Das bestätigt indirekt die Erkenntnisse der Behavioral Finance, nämlich dass Investoren überall dort, wo es um mehr Geld geht oder höhere Kosten auf dem Spiel stehen noch viel eher dazu neigen, schnelle, irrationale Entscheidungen zu treffen.
Vielfach bestand auch ein Zusammenhang zwischen steigendem Risiko und der Renditelücke. Wenn das Risiko stieg, vergrößerte sich die Renditelücke. Das war zwar nicht überall gleichermaßen der Fall, aber sehr häufig. Auch das bestätigt die Erkenntnis der Behavioral Finance, dass Menschen immer dann, wenn es um Risiken geht, immer noch irrationaler reagieren. Überzogene, überoptimistische Erwartungen an den Gewinn und übermäßige Verlustängste und hohe Nervosität schütteln den Investor hin und her, bis nur mehr sehr wenig rationale Entscheidungen getroffen werden.
Ein gerade für Kleinanleger sehr interessanter Punkt kam neben all dem auch noch ans Licht: überall dort, wo es automatisierte Investmentpläne oder Sparpläne gab, war der Investor Return deutlich besser.
Wenn man uns Entscheidungen abnimmt und gar nicht erst treffen lässt, treffen wir offensichtlich viel weniger schlechte Entscheidungen. Automatische Sparpläne können einen also offensichtlich sehr gut davon abhalten, mit eher unglücklichen Entscheidungen die eigenen Gewinne zu torpedieren. Das sollte man zumindest im Hinterkopf behalten.
Unser Fazit
Beide Studien, das Arbeitspapier der Munich Business School und auch die Morningstar-Studie bestätigen die Erkenntnisse der Behavioral Finance sehr klar und im Falle der Rating Agentur sogar mit klaren Zahlen.
Die klaffende Renditelücke sollte uns dazu animieren, ein wenig mehr nachzudenken und zu versuchen, uns ein wenig rationeller zu verhalten. Wenn das nicht immer so ganz klappt – gibt es immerhin automatische Sparpläne. Die funktionieren jedenfalls.