In diesem Beitrag unserer kleinen Serie über Behavioral Finance wollen wir uns noch einmal intensiv mit einem Thema auseinandersetzen, das uns überwiegend häufig betrifft: Stereotype, Wenn/Dann-Beziehungen und einem Effekt, der von den Wissenschaftlern der Behavioral Finance als „Selection Bias Effekt“ bezeichnet wird. Die Wissenschaftsdisziplin der Behavioral Finance untersucht das Verhalten von Menschen in Finanzsituationen und insbesondere, wie wir Entscheidungen in Finanzsituationen treffen. In vielen Fällen entscheiden wir dabei nicht streng rational, sondern werden Opfer bestimmter psychologischer Effekte. Behavioral Finance als Wissenschaft hilft uns dabei, solche psychologischen „Fallen“ aufzudecken und insgesamt zu rationaleren und für uns sinnvolleren Entscheidungen zu kommen.
Zu viele Daten führen zu Vereinfachung
Diesen grundlegenden Effekt, dem wir als Menschen kaum entgehen können, haben wir auch schon im Beitrag über Heuristiken beschrieben. Wir versuchen instinktiv immer, Entscheidungen möglichst schnell zu treffen oder möglichst schnell zu Entscheidungen zu kommen, um uns sicher zu fühlen. Das ist noch ein Erbe unserer urzeitlichen menschlichen Entwicklung, als es darauf ankam, Gefahren in der Natur möglichst rasch zu erkennen, möglichst richtig zu interpretieren und sofort darauf zu reagieren. Das war eine recht profunde Überlebensstrategie.
Bei den Gefahren in der Natur kann man sich eine langatmige Analyse der Situation meist nicht leisten: „Es ist größer als du, es macht fiese Geräusche und es kommt gerade auf dich zu – lauf weg!“ Hier ist nicht die Zeit, um zu analysieren, welchem Tier man hier gegenüber steht, selbst, wenn man es noch nie gesehen hat. Wer zu lange überlegt, wird höchstwahrscheinlich gefressen. Auch Fehlentscheidungen passieren natürlich auf diese Art und Weise: „Die Erde rumpelt, es riecht komisch und der Berg dort drüben raucht an seiner Spitze – also hoch auf den Baum!“. Sich auf einen Baum zu flüchten ist wahrscheinlich nicht die zielführendste Überlebensstrategie bei einem Vulkanausbruch in der Nähe – aber das lernten Menschen erst nach und nach aus Erfahrung (oder den schmerzlichen Erfahrungen anderer).
Wichtig ist dabei, was in unserem Gehirn passiert: um zu einer schnellen Entscheidung zu kommen, nimmt unser Gehirn „Abkürzungen“ – es fügt einige wenige Fakten, die wir bemerken zu einem Bild zusammen und vergleicht dieses Bild mit anderen Bildern, die wir schon kennen. Durch das Einordnen von Fakten in bestimmte „Schubladen“ können wir sehr schnell zu Entscheidungen kommen und reagieren. Das solche Entscheidungen, weil sie nur auf einigen wenigen ausgewählten Informationen beruhen, durchaus falsch sein können, liegt auf der Hand. Für unser Gehirn hat aber Priorität, dass diese Entscheidungen SEHR HÄUFIG richtig sind, und dass es eine Grundlage für eine klare, eindeutige Reaktionsstrategie gefunden hat.
Natürlich wäre es hilfreicher, herauszufinden, was ein Vulkanausbruch ist, was dabei passiert und wie und wo man sich am besten davor schützen kann. In der Natur der Steinzeit hatten wir diese Zeit allerdings nur selten, schnelle Reaktionen hatten Priorität. Heute haben wir diese Zeit eigentlich, wir reagieren instinktiv aber noch genauso mit Schubladen-Denken. Das müssen wir allerdings tunlichst abstellen, wenn wir wirklich RATIONAL agieren wollen.
Stereotype und stereotype Zusammenhänge
Wir haben die unglückliche Neigung, bestimmten Personengruppen, Dingen oder Vorgängen bestimmte Eigenschaften automatisch zuzuschreiben. Das ermöglicht uns, Situationen schnell zu bewerten und zu einer Entscheidung zu gelangen. Das solche generalisierten Zuschreibungen nicht immer zwangsläufig richtig sind, versteht sich eigentlich von selbst. Dennoch „kleben“ wir förmlich an unseren Stereotypen und es fällt uns schwer uns komplett zu lösen – sie geben uns ein Gefühl der Sicherheit, etwas einordnen zu können.
Dass nicht alle Deutschen fleißig, pünktlich und ordentlich sind und nicht alle Italiener unzuverlässig und schlampig, geben wir schon widerstrebend zu, wenn nötig. Dennoch lassen wir uns in unseren Entscheidungen immer wieder unbewusst von solchen Kriterien leiten. Gerade in der jüngsten Zeit hat das zu sehr unschönen Entwicklungen und vielen erbitterten gesellschaftlichen Diskussionen geführt – Ausländer und Flüchtlinge sind eben weder „kriminell, bedrohlich und gefährlich“, noch allesamt „gut, dankbar, freundlich und fleißig“ – es handelt sich um ganz unterschiedliche Menschen mit völlig unterschiedlichen Charakterzügen, die man nicht pauschal in eine Schublade „einordnen“ kann. Genau das WILL unser Gehirn instinktiv aber immer, weil wir ie Unsicherheit, etwas nicht sofort pauschal einordnen zu können, nicht ertragen. Das haben wir auch beim Aversion of Ambiguity Effekt bereits beschrieben. Wir vermeiden Unsicherheiten und Unklares – oder führen dann eben erbitterte Diskussionen über die „Zuordnungs-Schublade“, selbst wenn solche Schubladen noch nicht einmal sinnvoll sind.
Auf genau die gleiche Weise schaffen wir uns auch stereotype Zusammenhänge. Wenn ein bestimmtes Ereignis passiert, sehen wir oft immer wieder die gleichen Folgen voraus. Sehr häufig ist das nicht realistisch, wir schaffen uns damit bestimmte Regeln, die so aber nicht gelten müssen.
Falsche Regeln
Ein Ereignis zieht nicht immer zwangsläufig ein anderes Ereignis nach sich. Wenn ein Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten gerät, bedeutet das nicht automatisch, dass es in der Folge auf eine Pleite zusteuert. Ob der Versuch eines Unternehmens, das Ruder noch einmal herumzureissen, glückt, lässt sich vorab nicht sagen. Hier stehen wir aber schon wieder vor einer Unwägbarkeit oder einer Unsicherheit- und verlassen uns lieber auf unsere stereotypen Regeln: ‚Wer ins Straucheln gerät, wird über kurz oder lang völlig am Ende sein‘. Andere pflegen ihren Optimismus und setzen voraus, dass Unternehmen immer gestärkt aus einer Krise hervorgehen werden und dann für eine gewisse Zeit besonders gut laufen werden. Manchmal sind Krisen aber einfach nur Krisen und eben tatsächlich der Anfang vom Ende.
Regel Nummer eins ist also: es gibt keine Regeln, die immer gelten. Genau damit tun wir uns aber schwer.
Wie sollten wir mit Stereotypen in unserem Denken umgehen?
Eigentlich sollten wir sie grundsätzlich verbannen – und jede Situation, jeden Menschen und jedes Ereignis völlig unabhängig für sich bewerten. Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht bestimmte vergangene „Trends“ bei unserer Entscheidung würdigen – die Entscheidung sollten wir aber nach sorgfältiger Prüfung ALLER Fakten treffen.
Hätte es dem Steinzeitmenschen genützt, den Vulkan weiter zu beobachten und darüber nachzudenken, was da gerade passiert? Höchstwahrscheinlich nicht, er wäre vermutlich mit oder ohne seinen Fluchtbaum in den pyroklastischen Strom geraten und sehr schnell zu einem Häufchen Asche geworden und hätte über nichts mehr nachgedacht. Möglicherweise hätte er aber noch eine kurze Weile beobachtet, was mit den Bäumen und den Tieren im Feuerstrom passiert und wäre zu dem Schluss gekommen, dass bei diesem Geschehen nur helfen kann, eine Anhöhe oder einen höher gelegenen Geländepunkt zu finden, die der Feuerstrom nicht erreichen kann. Dort hätte er möglicherweise überlebt. Selbst in der Natur schützt einen sorgsame Beobachtung und Analyse also manchmal vor dem Untergang.
Genau das gilt auch für unsere Finanzentscheidungen. Wir müssen MEHR DENKEN und sorgsamer und unvoreingenommener BEOBACHTEN. Wir müssen ALLE vorhandenen und erreichbaren Fakten in unsere Entscheidungen miteinbeziehen und Erfahrungen nur als relativ einstufen. Das bedeutet deutlich mehr Denkarbeit und Anstrengung und erfordert immer ein wenig Zeit. Im Gegensatz zu unserem Steinzeit-Kollegen haben wir diese Zeit aber fast immer. Insbesondere bei wichtigen finanziellen Entscheidungen.
Regeln wie „Jeden Oktober rutschen die Aktienkurse nach unten“ sollten wir nicht einfach blindlings immer auf jede Situation anwenden. Sie treffen nicht zu, sondern sind nur weitere Stereotype – die vielleicht recht häufig zutreffen mögen, aber ganz bestimmt nicht AUF JEDE AKTIE JEDEN OKTOBER. Das kann man eindeutig herausfinden.
Der Erwartungs-Bias Effekt
In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einen intensiveren Blick auf den sogenannten Erwartungs-Bias-Effekt zu werfen: dieser Effekt sagt aus, dass wir bei unserer Fakten-Analyse immer die Fakten stärker gewichten, die unsere ursprüngliche oder vorgefasste Erwartung eher bestätigen und unterstützen, die Fakten, die dagegen sprechen aber wiederum eher widerstrebend miteinbeziehen und tendenziell eher als bedeutungslos einstufen.
Wenn wir der (vorgefassten, stereotypen) Meinung sind, dass der Marktbereich neuer Medien durch eine hohe Dynamik und enorm hohes und explosives Wachstum gekennzeichnet sind, werden wir eher geneigt sein zu übersehen, dass es sich im einen oder anderen Fall um eine Blase handelt. Wir werden Hinweise auf eine Blasenbildung eher als „zweifelhaft“ und unsicher abtun und sie versuchen, weitestgehend zu ignorieren.
Wären wir hingegen der umgekehrten Meinung, würde uns das kleinste Anzeichen einer möglichen Blase zu äußerster Vorsicht mahnen und uns sofort in Alarmstimmung versetzen. Hinweise, dass es sich auch um ein wirklich hervorragendes Wachstum bei der Aktie handelt, würden wir eher gering schätzen.
Was nun wirklich zutreffend ist, liegt aber vor allem AN DIESER EINZELNEN AKTIE und den Fakten, die das Unternehmen selbst und seine Marktumgebung betreffen. Wir können nicht einmal TENDENZIELL ein vorgefasste Einschätzung eines ganzen Marktes auf eine einzelne Aktie übertragen – jedes Unternehmen steht und wirtschaftet für sich selbst. Es hat das Potenzial, innerhalb bestimmter Marktumgebungen erfolgreich oder weniger erfolgreich zu sein.
Den Auswirkungen der Dotcom-Blase am Anfang dieses Jahrtausends wäre man als Anleger wahrscheinlich gut entkommen, wenn man JEDE AKTIE FÜR SICH bewertet hätte – und zwar unabhängig vom Markt. Dann wäre bei sorgsamer Faktenprüfung wahrscheinlich aufgefallen, dass hier in vielen Fällen überschäumender und durch Weniges zu rechtfertigender Optimismus im Spiel gewesen wäre.
Es geht also um FAKTEN – und darum, Stereotype so weit wie möglich aus seinem Denken zu verbannen.
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