Wenn man sich mit psychologischen Effekten auseinandersetzt, die unsere Entscheidungen negativ beeinflussen und unsere Beurteilung von Fakten verzerren können, kommt man um sogenannte Framing Effekte nicht herum. Auch im Bereich der Behavioral Finance, einer Wissenschaft die sich mit dem Verhalten von Menschen in Finanzsituationen befasst, spielen diese Effekte eine sehr wichtige Rolle. Wir wollen uns in diesem Beitrag ebenfalls einmal etwas eingehender mit der Thematik beschäftigen, um zu verdeutlichen, warum Sie bei Ihren Entscheidungen manchmal aufpassen müssen.
Informationen und Kontext
Informationen existieren immer nur in einem bestimmten, gegebenen Kontext. Wir nehmen Fakten zwar einzeln wahr, interpretieren sie aber immer innerhalb eines bestimmten „Deutungsrahmens“.
Ein Beispiel: Die Information „Aktie XY hat in den letzten zwei Wochen 3,4 % Verlust gemacht“ ist an sich bedeutungslos – sie wird erst in einem bestimmten Rahmen bedeutsam. Der Rahmen, auf den wir diese Information beziehen (müssen), kann dabei unterschiedlich sein:
- wir sind Inhaber dieser Aktie
- wir sind Inhaber des Unternehmens, das diese Aktie ausgibt
- wir sind Inhaber eines direkt konkurrierenden Unternehmens
- wir betreiben ein Unternehmen im gleichen Marktsegment
- wir sind auf der Suche nach potenziellen Anlagemöglichkeiten
- wir sind Fondsmanager
- wir beobachten lediglich den Aktienmarkt und einzelne Unternehmen genauer
- wir haben ein allgemeines Interesse an einem bestimmten Marktsegment
- …
Je nachdem, auf welcher Position wir stehen, wird diese Information unterschiedliche Bedeutung für uns haben. Wir werden sie jeweils unterschiedlich INTERPRETIEREN.
Das lässt sich in der Praxis auch nicht vermeiden – wir verfolgen alle unsere ureigenen, individuellen Interessen. Und in Bezug auf unsere individuelle Interessenlage hat eine Information unterschiedliche Bedeutung, Aussagekraft oder mehr oder weniger Wert für uns.
Sieht man sich die oben beispielhaft aufgezählten Bezugsrahmen einmal genauer an, wird auch deutlich WIE unterschiedlich man diese Information interpretieren kann – und das obwohl es sich in allen Fällen eigentlich um ein und die selbe, in sich völlig neutrale Information handelt.
Es gibt für diese Information also völlig unterschiedliche Deutungsrahmen (psychologisch „Frames“) innerhalb derer man sie interpretieren kann. Damit sind wir auch schon mitten im Thema „Framing“.
Der Framing Effekt
Nach der gängigen Theorie der Behavioral Finance gilt: Wir interpretieren Informationen unterschiedlich, je nachdem in welchem Bedeutungsrahmen sie auftreten. Das gilt sogar für Informationen, die uns persönlich oder unsere eigenen Interessen gar nicht ursächlich betreffen.
Ein sehr anschauliches Beispiel für Framing Effekte bietet das berühmte ‚Asian Disease Problem‘. Dazu führen wir ein kleines, rasches Experiment mit Ihnen durch:
Wir wollen einmal annehmen, in einem kleinen asiatischen Land ist in einer abgelegenen Gebirgsgegend eine Seuche ausgebrochen. Durch die Seuche sind 600 Menschen unmittelbar vom Tod bedroht.
Nun geht es darum, verschiedene Maßnahmen mit unterschiedlicher Wirksamkeit zu bewerten und zu einer Entscheidung zu kommen, welche Maßnahme bevorzugt eingesetzt werden soll. Und zwar
Maßnahme A | rettet 200 Menschen sicher das Leben
Maßnahme B | rettet mit einem Drittel Wahrscheinlichkeit allen 600 Menschen das Leben, mit zwei Drittel Wahrscheinlichkeit nicht.
Sie können sich nun entscheiden: Sie haben die Wahl zwischen Maßnahme A oder Maßnahme B. Welcher Maßnahme würden Sie den Vorzug geben?
Notieren Sie sich Ihre Antworten bitte irgendwo, bevor Sie weiterlesen.
Danach betrachten Sie das Problem bitte erneut völlig unvoreingenommen und entscheiden sich auf die gleiche Weise, ob Sie Maßnahme C oder D einsetzen würden:
Maßnahme C | führt dazu dass 400 Menschen sicher sterben werden
Maßnahme D | führt mit einem Drittel Wahrscheinlichkeit dazu, dass niemand sterben muss, und damit zu 2/3 Wahrscheinlichkeit, dass alle sterben
Notieren Sie sich bitte auch diese Antwort und lesen Sie erst dann weiter.
Was sagt das Experiment nun aus?
Wenn Sie ein wenig mathematisch begabt sind, wird Ihnen bei näherer Betrachtung vielleicht folgendes aufgefallen sein: alle vier Maßnahmen haben genau betrachtet (mathematisch gesehen) den gleichen Effekt.
Im ersten Durchgang entscheiden sich die Menschen überwiegend (zu 72 %) für Maßnahme A. Im zweiten Durchgang entscheiden sich die selben Menschen dagegen überwiegend für Maßnahme D (78 %). Warum?
Zunächst wird einmal klar, dass die meisten Menschen im ersten Fall (bei der AB-Entscheidung) überwiegend die „sichere“ Perspektive bevorzugen. Wenn man 200 Menschen retten kann, dann tun wir das bitte. Dass bei 1/3 Wahrscheinlichkeit ebenfalls 200 Menschen überleben werden, wird nicht wahrgenommen.
Im zweiten Fall (bei der CD-Entscheidung) ist es dagegen umgekehrt: der überwiegende Teil der Menschen versucht zu verdrängen, dass jemand sicher sterben muss. Man fühlt sich eher von der Perspektive, dass niemand sterben muss, deutlich mehr angezogen – auch wenn das nur mit einer gewissen, genau gegebenen Wahrscheinlichkeit geschehen wird. Aber lass es uns doch versuchen, es soll doch möglichst bitte niemand sterben.
Die eigentliche Aussage, das Faktum, ist überall das Gleiche. Von den 600 Menschen kann man mit allen Maßnahmen nur 200 retten. Wenn man von belegten Wahrscheinlichkeiten ausgeht, werden auch bei den Aussagen B und D bei dieser Größe der Ausgangsmenge ziemlich genau 200 Menschen überleben und 400 Menschen sterben.
Wenn also beide Maßnahmen den gleichen Effekt haben, warum präferieren Menschen überwiegend eine Lösung davon? Und warum setzen sie im einen Fall (Entscheidung AB) auf die „sichere“ Variante, und im anderen auf die Wahrscheinlichkeit?
Die Antwort liegt in der unterschiedlichen sprachlichen Formulierung und in dem jeweils vorhandenen Deutungs- oder Bezugsrahmen (Frame).
Wenn man davon ausgeht, dass Menschen ganz allgemein bestrebt sind, das Leben anderer Menschen möglichst zu schützen und zu erhalten, haben wir zwei unterschiedliche Zielsetzungen – nämlich:
1. Dass so VIELE Menschen WIE MÖGLICH am Leben bleiben (Entscheidung AB)
2. Dass MÖGLICHST NIEMAND sterben muss (Entscheidung CD)
Auch diese beiden Zielsetzungen sind von ihrem Kern her identisch – hier werden wir aber Opfer unserer sprachlichen Formulierung.
Entsprechend dieses jeweils vorhandenen Deutungsrahmens optiert ein Großteil der Menschen auf die Lösung, die der (innerlich und still) formulierten Zielsetzung sprachlich am nächsten kommt.
Man kann es auch anders betrachten:
Beim Bedeutungsframe 1 (so viele Menschen wie möglich sollen am Leben bleiben) geht es um einen GEWINN (Gain-Frame), während es bei Bedeutungsframe 2 (möglichst niemand soll sterben) darum geht, VERLUSTE ZU VERMEIDEN (Loss-Frame). Diese beiden grundlegenden Frames finden sich häufig bei Entscheidungen.
Wir erkennen also klar: Informationen können völlig unterschiedlich wahrgenommen werden, je nachdem wie sie uns präsentiert werden.
Was bedeutet das nun für unsere Anlage-Entscheidungen?
Im Wesentlichen bedeutet das, dass wir sehr genau darauf achten müssen, in welchem KONTEXT wir Informationen interpretieren. Informationen erreichen uns leider nie ohne einen bestimmten, meist gleich mitgelieferten (oder von uns geschaffenen) Kontext.
Um eine Information sachlich richtig zu bewerten und ihre Auswirkungen nüchtern und realistisch einschätzen zu können, müssen wir allerdings den Kontext so weit wie möglich vernachlässigen.
Das gelingt uns nicht immer, da die sprachliche Form immer bereits einen gewissen Bedeutungskontext automatisch mitliefert.
Ein Beispiel:
1. Der Wert der Aktie XY ist innerhalb von nur 2 Wochen um 3,4 % gefallen.
2. Die Aktie bewegt sich wieder auf ihren Vorjahresstand zu, der um 3,5 % niedriger lag als die Aktie dieses Jahr hatte.
3. Der Wert der Aktie sinkt aktuell, bislang betragen die Verluste 3,4 %.
4. Die Aktie hat trotz der schwierigen Marktbedingungen nur 3,4 % Verluste hinnehmen müssen.
5. …
Der reine Zahlenwert ist immer der gleiche, der Kontext allerdings jedes Mal unterschiedlich. Bei 1) fokussieren wir und auf einen zeitlich sehr kurzfristigen Absturz des Werts, bei 2) signalisieren wir, dass die Aktie das Hoch dieses Jahres wohl nicht halten kann, bei 3) implizieren wir eine lang dauernde und anhaltende negative Wertentwicklung. Im Fall 4) nehmen wir die Verluste als sehr gering wahr, angesichts dessen was im schlimmsten Fall passieren könnte. Die Aktie wird hier trotz der eingetretenen Verluste als „stark“ wahrgenommen – selbst wenn das gar nicht stimmt.
Sprache hat ihre Tücken. Und bestimmte Bedeutungsframes verleiten uns oft dazu, Informationen auf eine nicht hilfreiche und oft sogar nicht zutreffende Art und Weise zu bewerten.
Wie entkommt man dem Dilemma?
Am besten, indem man so wenig wie möglich Sprache verwendet, sondern vor allem Zahlen.
Schon bei unserem letzten Beitrag, über den Recency Effekt, haben wir darauf hingewiesen, dass man möglichst neutrale, unbestechliche Leitwerte finden sollte, an denen man einzelne Entwicklungen misst.
Wenn wir vor allem auf Gewinne fokussiert sind, neigen wir dazu, Gewinnentwicklungen überzubewerten – wenn wir auf Verlustvermeidung programmiert sind, machen uns oft auch kleine Verluste übermäßig nervös.
Eine wesentlich bessere „Hilfslinie“ für unsere Bewertungen sind hier feste Marken, Durschnittswerte (etwa in Bezug auf Ertrag und Volatilität) oder Tendenz-Werte.
Aussagen wie „die Verluste der Aktie liegen 0,1 % über der durschnittlich üblichen Schwankungsbreite“, „die Aktie liegt bislang 0,2 % unter dem durschnittlich erzielten Jahresgewinn“ oder „der Aktienwert ist unter den Tiefststand von 2008 gerutscht“ bieten eine wesentlich neutralere Bewertungsbasis als Interpretationen in sprachlicher Form.
Zahlenwerte kann man, anders als Sprache, nicht so weithinaus „uminterpretieren“: entweder eine Aktienwert liegt noch in der üblichen Schwankungsbreite – oder eben nicht mehr.
Ganz werden wir Framing-Effekte nie vermeiden können, weil ja auch unsere Gedanken einen bestimmten „Bezugsrahmen“ haben – man kann sich aber dazu erziehen, möglichst die Fakten allein ohne Ansehen der Bedeutung zu bewerten.
Übrigens: Im Hinblick auf Gewinne und Verluste Ihrer Anlagen erscheinen die KOSTEN für Ihre Anlagen oft nebensächlich – das sind sie allerdings nicht.
Gerade Gebühren und Kostensätze können über lange Zeiträume hinweg zu enormen Summen werden. Einige Euro, die sie nicht ausgeben, machen auf lange Sicht mit dem Zinseszinseffekt unter Umständen beträchtlichen zusätzlichen Gewinn aus.
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