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Behavioral Finance: der Recency Effekt

In unserer kleinen Serie über Behavioral Finance, die Ihnen helfen soll, psychologische Fallen und Beurteilungsfehler bei Ihren Anlage-Entscheidungen so weit als möglich auszuschließen, wollen wir uns in diesem Beitrag einmal intensiv dem Recency Effekt zuwenden und ihn eingehend beleuchten. Dieser Effekt tritt, wie so viele der psychologischen Effekte in der Behavioral Finance, auch sehr häufig im Alltag auf, ohne dass wir ihn bewusst bemerken. Im Hinblick auf die Beurteilung von finanziellen Situationen und vor allem bei Finanzenscheidungen kann uns dieser Effekt aber zu sehr negativen und für uns nachteiligen Entscheidungen verleiten. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, ihn zu kennen und zu verstehen, um zu einer wirklich rationalen Beurteilung zu kommen.

Behavioral Finance und ihr Nutzen für Anleger

Behavioral Finance ist eine noch sehr junge Wissenschaftsdisziplin, die sich mit den Auswirkungen psychologischer Effekte und üblicher Beurteilungsfehler auf Menschen in Finanzsituationen beschäftigt. Wir handeln sehr oft nicht rational, wenn es um das Treffen von Entscheidungen oder um konsequentes Handeln geht – Grund dafür sind oft „Schwächen“ oder bestimmte Denkmuster unseres Gehirns, die evolutionär allerdings meist ihre Vorteile mit sich brachten, wenn es um das Überleben ging.

In der Welt, in der wir heute leben, haben urzeitliche Überlebensmechanismen dagegen ausgedient. Sie haben ihren Sinn verloren und stehen uns oft mehr im Weg als sie uns nützen. Gerade dann, wenn es um Geld und finanzielle Dinge geht, zählt nur, was am Ende des Tages unter dem Strich herauskommt. Um dieses Ergebnis zu maximieren müssen wir vor allem RATIONELL denken und Fakten UMFASSEND UND UNVOREINGENOMMEN interpretieren können. Dabei schlägt uns unser Gehirn mit seinen evolutionär eingeprägten Denkstrukturen öfter einmal ein Schnippchen – wie beim Recency Effekt.

Was ist der Recency Effekt?

In der Psychologie wird der Recency Effekt immer in einem Atemzug mit seinem „Gegenspieler“ genannt – dem Primäreffekt. Beim Recency Effekt geht es darum, dass wir Fakten oder Erkenntnisse aus der jüngsten Vergangenheit tendenziell stärker bewerten als solche, die weiter in der Vergangenheit liegen.

Beim Primär-Effekt ist genau das Gegenteil der Fall – wir lassen uns von vergangenen Erfahrungen oder Erkenntnissen oder von einer vorgefassten Meinung nur schwer abbringen und beharren eher auf dem, was wir schon (glauben zu) wissen.

Beides ist in vielen Fällen nicht rational, weil wir Entscheidungen zu sehr nach der einen oder anderen Seite hin gewichten. Dabei spielt uns oft auch noch der sogenannte Erwartungs Bias Effekt einen Streich, den wir bereits in einem anderen Beitrag näher beschrieben haben: Wir fokussieren uns vor allem auf die Fakten, die unsere innere Haltung eher bestätigen und neigen dazu, Fakten, die das Gegenteil hinweisen würden, eher zu ignorieren oder geringzuschätzen. Das verstärkt die Auswirkungen und Irrtümer des Recency- oder des Primäreffekts dann noch.

Das Trickreiche dabei ist, dass wir nie genau wissen, WELCHER der beiden Effekte in unserem Kopf uns gerade einen Streich spielt und uns zu einer nicht-rationalen Bewertung der Fakten führt. Wir können nur in vielen Fällen davon ausgehen, dass uns gerade entweder der eine oder der andere Effekt in den Klauen hat.

Die Bedeutung des Recency Effekts bei Anlagen

Am besten kann man die Auswirkungen des Recency Effekts und die Verzerrungen die er verursacht anhand eines konkreten Beispiels verdeutlichen:

Nehmen wir an, eine Aktie war in der Vergangenheit sehr wechselhaft in ihren Bewegungen, hat öfter deutliche Abstürze hingelegt und wir haben sie deshalb eine Weile genau beobachtet. In den letzten zwei Monaten hat die Aktie einen kontinuierlichen Aufwärtstrend hingelegt und scheint sich stetig nach oben zu entwickeln.

Tendenziell nehmen wir nun an, dass es mit der Aktie eine gute Wendung genommen hat, und dass sie auf dem Weg nach oben ist. Wir sehen sie auf der „Gewinnerstraße“ und beginnen sie ernsthaft als Anlagemöglichkeit ins Auge zu fassen. Wir schreiben in diesem Fall allerdings nur die jüngste Vergangenheit in die Zukunft fort, und zwar viel zu weit. Die gerade positive Entwicklung dieser Aktie in den letzten zwei Monaten bedeutet nicht, dass sie sich auch in einem Jahr noch auf die gleiche Weise entwickeln wird. Das ist eine nicht sehr rationelle Annahme, vor allem angesichts des historischen Verlaufs des Kurses.

Rutscht der Aktienkurs nun für ein paar Tage nach unten oder bricht sich der Aufwärtstrend an einer bestimmten Marke, befürchten wir innerlich sofort, dass die Aktie wieder abrutschen könnte und sich in Zukunft weiter nach unten bewegen wird. Wir streichen die Aktie sofort von der Liste unserer potenziellen Anlagemöglichkeiten, weil wir natürlich keine ständigen Abwärtstrends in unserem Portfolio haben wollen. Auch diese Annahme ist nicht rationell – immerhin haben wir zwei Monate konstante Aufwärtsentwicklung bei unserer Beispiel-Aktie erlebt.

Wo liegt aber nun die wirklich rationelle Annahme? Die richtige Antwort: in KEINER der beiden Beurteilungen. Wir lassen uns in beiden Fällen immer viel zu stark vom letzten Eindruck leiten, den wir haben. Wir verlieren das Ganze aus dem Blick und orientieren uns viel zu sehr an dem zuletzt Erfahrenen, wenn es um unsere Entscheidung geht.

Kommt nun der Selection Bias Effekt noch mit dazu, werten wir andere Fakten zu stark ab und schätzen sie bei unserer Entscheidung als viel geringer ein, als sie tatsächlich sind. In unserem Beispiel positionieren wir dann etwa den vergangenen Entwicklungsverlauf des Aktienverlaufs gedanklich in eine entfernte, kaum mehr bedeutsame Vergangenheit, die die Aktie schon längst überwunden hat. Dabei ist die Phase der starken Volatiliät des Kurses gerade einmal drei Monate her – oder im Fall des zweiten Beispiels erst wenige Tage. Diese Gegebenheiten berücksichtigen wir bei unseren Entscheidungen dann nur sehr unangemessen.

Der letzte Eindruck zählt (oft zu viel)

Es ist genau immer dieser „Last Impression Effekt“ der uns in unseren Entscheidungen oft viel zu sehr beeinflusst. Er wird auch manchmal ganz bewusst eingesetzt – etwa von Verkäufern: Sie bekommen eine Reihe von positiven Argumenten und Nutzenanwendungen für das Produkt erzählt, zu jedem Einwand bringt der Verkäufer ein positives Gegenbeispiel. Am Ende kommt dann das „Killerargument“ – sie können ohne dieses Produkt doch fast schon nicht mehr weiterleben! Dieser „mächtige, letzte Eindruck“ wirkt so stark, dass Menschen, die noch mit ihrer Kaufentscheidung hadern, nach einer Weile das Produkt dann doch kaufen. Grund dafür, das kann man wissenschaftlich recht gut herausfinden, ist dann fast immer dieser starke letzte Eindruck.

Genau davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Es geht immer um das GANZE, auch und gerade bei Anlagen.

Die Umkehrung des Effekts: der Primäreffekt

Ziehen wir hier wieder unser Beispiel von oben heran, würde das bedeuten, dass wir die positive Aufwärtsentwicklung der Aktie über zwei Monate hinweg schlicht ignorieren würden – mit dem gedanklichen Hinweis darauf, dass der Aktienkurs immer eine dauernde Berg- und Talfahrt vollführt und nach jedem Aufwärtstrend ohnehin wieder ein ebenso großer Abwärtstrend folgen wird. In unseren Gedanken sagen wir uns deshalb, dass man den zweimonatigen Aufwärtstrend ohnehin nicht allzu ernst zu nehmen braucht.

Wir sind in diesem Fall auf unseren ursprünglichen Eindruck (denn um nichts mehr handelt es sich als um einen bloßen Eindruck ohne jegliche zahlenmäßige Substanz) festgelegt, „geprimed“ nennt das die Wissenschaft. Dieses starke Priming können wir nicht überwinden, aus unterschiedlichen Gründen. Einer davon ist der sogenannte Status quo Effekt, von dem ebenfalls schon in einem anderen Beitrag in unserer Serie ausführlich die Rede war.

Auch das ist genau genommen natürlich nicht rational – immerhin ignorieren wir die konstante Aufwärtsbewegung der Aktie über einen vergleichsweise langen Zeitraum bei unserer Beurteilung fast völlig. Als „rationale Einschätzung“ ist auch das nur schwerlich zu bezeichnen.

Wie man mit beiden Beurteilungsfehlern am besten umgeht

Es gibt kein Patentrezept, wie man beiden Irrtümern in jedem Fall sicher entgehen könnte – dem Recency Effekt und dem Primär-Effekt. Die Wahrheit liegt in den meisten Fällen ziemlich genau in der Mitte der beiden Effekte – meistens.

Was uns in der Praxis aber häufig hilft, ist so weit wir können immer das GANZE ZU SEHEN und unseren Blickwinkel möglichst nicht zu stark einzuschränken. Damit tun wir uns aus evolutionären Gründen durchaus schwer – man kann diese Sichtweise aber lernen und immer wieder trainieren. Daneben hilft es, so viel wie möglich „Einschätzungen“ durch klare Zahlen zu ersetzen – wenn wir etwa feststellen, dass unsere Beispielaktie trotz aller Schwankungen in den letzten zehn Jahren einen durchschnittlichen Gewinn von 3,1 % hingelegt hat, ist das ein wesentlich besseres Entscheidungskriterium als die Betrachtung einzelner Teile des Zeitabschnitts. Dieser Durchschnittswert als Richtlinie hilft uns dann auch, Schwankungen besser und zuverlässiger zu beurteilen: Kann die Aktie in diesem Jahr den durchschnittlichen Gewinn noch schaffen, hat sie es in den letzten beiden Jahren, spricht der monatliche Durchschnitt dafür, dass es in diesem Jahr zu einem Gewinn im Durchschnittsbereich kommt? Andere setzen dagegen lieber die durchschnittliche Volatilität an, um für sich Grenzen festzulegen, welche Schwankungsbreiten sie noch zu tolerieren bereit sind. Das bleibt dann jedem selbst überlassen – klar ist aber: Zahlen helfen ungemein.

Wenn Sie jüngst gute Gewinne mit ihrer Anlage gemacht haben, werden ihnen die Kosten für ihren Broker wahrscheinlich eher nebensächlich erscheinen, wenn Sie in der letzten Zeit eher Verluste hinnehmen mussten, werden Sie vielleicht eher dazu tendieren, alle unnotwendigen oder zu hohen Kosten möglichst zu kappen. Auch wir haben in diesem Fall konkrete und klare Zahlen für Sie: in unserem kostenlosen Brokervergleich.

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