Im ersten Teil dieses Beitrags haben wir bereits festgestellt, dass wir schon erhebliche Probleme haben, rational zu handeln, wenn wir mit Asymmetrie konfrontiert sind – wenn also einzelne Handlungen unproportional hohe Gewinne oder Verluste nach sich ziehen können.
Als Anleger sind wir in dieser Situation aber noch mit einem weiteren Problemfaktor konfrontiert: Bei einer Anlageentscheidung können immer BEIDE FAKTOREN GLEICHZEITIG eintreten – Gewinne UND Verluste.
Die Chance für Gewinn oder Verlust ist dabei nicht immer gleichmäßig verteilt. Das gilt manchmal, aber nicht immer.
Der Grundsatz, den wahrscheinlich alle Anleger mittlerweile kennen, lautet:
Hohes Risiko bedeutet hohe Renditechancen, niedriges Risiko bedeutet niedrige Renditechancen.
Klar – wer sein Geld auf ein Sparbuch legt, hat zwar ein geringes Risiko – dafür aber auch nur geringe Zinsen. Wer sein Geld mit sehr hohem Risiko in einen CFD-Handel steckt, wird im Erfolgsfall auch eine vielfach höhere Rendite erwarten können.
In diesem Fall sind Chance und Risiko symmetrisch verteilt – zumindest grob näherungsweise. Es kann in der Praxis aber passieren, dass Chancen und Risiken eines Investments nicht symmetrisch verteilt sind.
Ein Beispiel wäre etwa die Situation vor der letzten Präsidentschaftswahl in Frankreich. Es herrschte zunächst Unsicherheit darüber, wer die Wahl tatsächlich gewinnen wird.
Hätte Marine Le Pen mit dem Front National die Wahl gewonnen, hätte für die meisten französischen Aktien das Risiko von erheblichen Kursverlusten bestanden. Umgekehrt hat die Wahl eines anderen Kandidaten (etwa des jetzigen Präsidenten, Emmanuel Macron) keine ebenso großen Kurssteigerungen für ebendiese Aktien erbracht. Zum Zeitpunkt vor der Wahl bestand also für die Aktien ein sehr asymmetrisches Chance-Risiko-Verhältnis: Es wären massive Verluste zu befürchten gewesen, dabei wäre aber kein entsprechend höherer Ertrag zu erwarten gewesen, wenn man das Risiko eingegangen wäre.
Mit solchen Konstellationen fällt es uns in der Regel noch viel schwerer umzugehen. Wenn wir schon mit Gewinnen und Verlusten teilweise große Schwierigkeiten haben, rationale und wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen, dann wird es bei solchen Konstellationen fast unmöglich.
Hätte man sich dem höheren Risiko ausgesetzt, indem man die gefährdeten Aktien im Portfolio behält, wäre dadurch nichts zu gewinnen gewesen. Hätte man aufgrund des Risikos verkauft, hätte man den Gewinn durch das nachfolgende Anziehen der Kurse verschenkt.
Was wäre die rationale Strategie gewesen?
Rational am sinnvollsten wäre wohl gewesen, zuvor – in der Phase der Unsicherheit, in der das Risiko plötzlich überproportional hoch geworden wäre – Risikominimierung zu betreiben und die am meisten gefährdeten Aktien abzustoßen beziehungsweise gegen Verluste ausreichend abzusichern.
Sobald das Risiko wieder im “normalen” Bereich gelegen hätte, wäre es sinnvoll gewesen, wieder zu kaufen, weil durch die nachfolgende Entspannung ein zumindest leichter Kursaufschwung zu erwarten gewesen wäre. Hätte man hier mit Bedacht und sinnvoll gekauft, wäre es sogar möglich gewesen, durch den Kauf günstiger Einzeltitel den Index deutlich zu schlagen.
Auf diese Art und Weise arbeiten aber wohl nur die wenigsten. Gerade als Privatanleger ist die Strategie von “Buy and Hold” die am meisten verwendete. Das kann vielfach sinnvoll sein, wenn lediglich das “übliche” Risiko zu erwarten ist und die Chance auf einen durchschnittlichen Ertrag besteht. In den meisten Fällen wird das so sein.
Bei Konstellationen wie der, die wir zuvor beschrieben haben, wo das Risiko im Vergleich zur Ertragschance plötzlich überproportional hoch wird, ist Buy and Hold nicht unbedingt die wirtschaftlich sinnvollste Strategie.
Dazu ein – schnell und einfach gerechnetes – Beispiel: Würde man aus der Performance des S&P 500 in den letzten 20 Jahren lediglich die 5 schlechtesten Monate herausrechnen, würde man kumuliert statt 300 % Gewinn in dieser Zeit 600 % Gewinn sehen. Hier geht es also um den sogenannten Drawdown, auf den wir später noch einmal zurückkommen werden.
Wir brauchen (rechnerische) Hilfe, um besonders asymmetrische Risiken besser einschätzen zu können
Unser Rechengehirn ist beim plausiblen und rationellen Einschätzen von Risiken ohnehin nicht besonders gut – bei ungleich verteilten Chance-Risiko-Konstellationen ist es dann beinahe hilflos. Solche Dinge kann man kaum mehr zuverlässig “im Kopf” abschätzen.
Auch als Kleinanleger sollte man deshalb immer klare Zahlen zu Hilfe nehmen, um Risiken ganz allgemein abzuschätzen. Dafür eignen sich etwa Kennzahlen wie der Drawdown und der maximale Drawdown sowie der Profit Factor. Bei kurzfristig auftretenden Chance-Risiko-Asymmetrien muss man dann einfach situativ versuchen, das mögliche persönliche Risiko für die eigene Anlage abzuschätzen.
Natürlich muss man sich zunächst ein wenig mit den einzelnen Kennzahlen auseinandersetzen, um sie einigermaßen sinnvoll verwenden zu können. Die Mühe lohnt sich aber – auf lange Sicht kann man so Risiken bei Anlagen deutlich verlässlicher einschätzen.
Das Verhältnis von Risiko zu Ertrag
Nehmen wir einmal an, es gäbe eine festverzinsliche Anleihe, die innerhalb eines Jahres 4 % Zinsen bringt. Daneben gibt es noch eine Aktie, bei der die erwartete Rendite 8,15 % beträgt.
Unser Investor möchte nun 10.000 Euro investieren. Bei der festverzinslichen Anleihe ist klar, was er am Jahresende bekommt – nämlich 400 EUR Zinsen auf sein Investment.
Bei der Aktie sieht das anders aus:
mit einer Wahrscheinlichkeit von 6 % erwirtschaftet er 40 % Rendite. Mit einer ebenso hohen Wahrscheinlichkeit von 6 % erwirtschaftet er 20 % Verlust. Dazwischen bestehen für Erträge unterschiedlich hohe Wahrscheinlichkeiten, die wir für Sie in der nachfolgenden Tabelle einmal übersichtlich zusammengestellt haben:
Ertrag [Wahrscheinlichkeit von x %]
40 % [6 %]
20 % [25 %]
15 % [38 %]
-15 % [25 %]
-20 % [6 %]
Die Wahrscheinlichkeitswerte werden aus vergangenen Häufigkeiten abgeleitet. Diese Schwankungen nennt man bei Aktien Volatilität. Das “Risiko” einer Aktie liegt also in den Abweichungen vom erwarteten Ertrag begründet.
Dabei muss man auch noch folgende Rechnung bedenken: Wenn eine Aktie beispielsweise einen Verlust von 20 % hinnehmen muss, muss ein deutlich höherer Gewinn erfolgen, bis man wieder auf dem Ausgangswert ist.
Als Beispiel:
Ausgangswert: 10.000 EUR
Verlust: 20 % – 8.000 EUR
danach:
Ausgangswert: 8.000 EUR
Gewinn 25 % – 10.000 EUR
Das heißt, nach einem Verlust von 20 % benötigt man einen Gewinn von 25 % um überhaupt wieder auf den Ausgangswert zu kommen. Auch das sollte man im Blick haben.
Der Drawdown und der maximale Drawdown
Der Drawdown stellt ein Risikomaß dar, das verständlich und auch gut als Kennzahl verwendbar ist. Offiziell angegeben wird als Kennzahl vor allem der maximale Drawdown.
Hierbei handelt es sich ganz einfach um die Differenz zwischen dem höchsten, je erreichten Kurs und dem tiefsten je erreichten Kurs in einem bestimmten Zeitraum. Es werden also historische Daten ausgewertet und daraus wird die größtmögliche Schwankung abgeleitet.
Ein Beispiel:
Eine Aktie hat im definierten Zeitraum (etwa: die letzten 5 Jahre) einen Höchststand beim Kurswert von 105 EUR erreicht, und einen Tiefststand von 94 EUR.
Der maximale Drawdown für den betrachteten Zeitraum liegt bei 11 EUR, also bei 10,48 %. (Die Formel: (Minimum x 100/Maximum) – 100 = Maximum Drawdown
Den Drawdown können Sie auch für die Gesamtperformance Ihrer eigene Anlagen oder Ihres eigenen Portfolios wöchentlich, monatlich oder jährlich berechnen. Damit können Sie jederzeit auch sehr gut Ihr Risikomanagement und seine Wirksamkeit überprüfen.
Der Gedankenansatz für die Risikobewertung ist auch klar: Wenn eine Aktie einen Absturz von 50 % erleiden würde, bräuchte man in diesem Fall bereits eine nachfolgende Performance mit 100 % Gewinn, um zum Ausgangswert zu gelangen. Das ist nur bei den wenigsten Aktien realistisch, und wenn dann nur über sehr lange Zeiträume. Der Maximum Drawdown gibt also auch an, wie weit eine Aktie im schlimmsten Fall abrutscht (basierend auf Daten in der Vergangenheit). Ist dieser Wert sehr hoch, muss man damit rechnen, dass man den Verlust kaum mehr aufholen kann.
Für die Entnahme von Kapital oder Erträgen – beispielsweise bei einer Altersvorsorge – spielt der Drawdown auch eine Rolle. Entnahmen sollten so geplant werden, dass der maximale Drawdown immer noch weitgehend aufgefangen werden kann, damit sich das Kapital nicht zu stark verringert. Eine generelle Empfehlung liegt dabei bei rund 4 % Entnahme. Wenn der Maximum Drawdown der Anlage höher ist als üblich, muss man dann aber auch die Entnahme reduzieren.
Der Drawdown spielt also eine wichtige Rolle in vielen Bereichen.
Der Profit Factor
Der Profit Factor ist ebenfalls eine recht aussagekräftige Kennzahl, die man häufig in Performance Berichten finden kann. Er ist ganz einfach definiert als die Summe der Gewinne geteilt durch die Summe der Verluste in einem betrachteten Zeitraum.
Je höher dieses Verhältnis liegt, desto besser die Anlage (etwa ein Fonds). Mit einem Verhältnis von 2 kann man in diesem Fall schon sehr zufrieden sein. Über längere Zeiträume hinweg betrachtet gibt das auch eine Sicherheit über eine durchwegs recht gute Performance.
Risikomanagement ist auch für Privatanleger wichtig
Das sind nur zwei Werte, die man aber schon gut für Risiko-Management einsetzen kann. Da wir – wie wir anfangs schon eingehend beleuchtet haben – auch und gerade bei asymmetrischen Chance-Risiko-Verhältnissen mit Schätzen kaum mehr weiterkommen und uns sehr schwer damit tun, Gesamtrisiken verlässlich abzuschätzen ist ein Risikomanagement auch als Kleinanleger wichtig. Wir müssen wenigtens zuverlässig wissen, welches Risiko wir tatsächlich eingehen – und ob wir das noch sinnvollerweise eingehen können.
Für die Bewertung von Risiken gibt es natürlich noch zahlreiche andere hilfreiche Werte – etwa die Volatilität oder den Value at Risk, aber darauf wollen wir in einem eigenen Beitrag zu sprechen kommen, indem wir uns speziell mit Risikomanagement und Risikoberechnung als Kleinanleger auseinandersetzen wollen.
Übrigens: Eine Asymmetrie besteht auch bei den Kosten für Ihr Depot – selbst geringe Gebührenunterschiede können sich über die Anlagedauer durch den Zinseszinseffekt deutlich summieren. Wenn Sie nur einen kleinen Teil von Gebühren sparen können, kann das mit den Zinseszinsen längerfristig einen deutlichen Unterschied bei Ihrem Gesamtgewinn machen – das wird fast immer unterschätzt.
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